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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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den mit der Absicht gezeichnet, einen großen Mann darzustellen; er hat aber das
Unglück, das meistens den Nomanhelden weiblicher Dichter begegnet: er kennt
nur Ein Feld, auf dem er seine Größe entfalten mag, die Liebe. In der Liebe
trägt aber nicht immer der Heroismus den Sieg davon. Jacques kann nicht
einmal die Entschuldigung Benedict's für sich anführen, daß er erst zwanzig Jahre
zählt; er steht bereits hoch in den dreißiger. Trotz seiner häufigen Enttäuschun¬
gen heirathet er ein junges Mädchen, nachdem er ihr vorher erklärt hat, er halte
den Schwur ewiger Treue für eine Ruchlosigkeit, die Fessel der Ehe für eine
Tyrannei; die Treue über die Liebe hinaus zu bewahren, sei ein Frevel gegen
die Allmacht des Herzens. Wegen oder ungeachtet dieser Theorien wird sie ihm
nicht nur untreu mit einem jungen Fant, sondern so cynisch in ihrer Untreue,
daß alle Welt ihn als Hahnrei verhöhnt. Er tödtet Einige der Spötter im Duell,
,in einem Anfall von Naserei; aber den Räuber seines Glückes zu todten, hat er
nicht den Muth, er würde seine Octave zu sehr betrüben! Endlich sieht er kein
besseres Mittel, als sich selbst zu tödten, um den beiden Liebenden Raum zu geben;
und um sie nur ja nicht zu kränken, thut er es unter Umständen, die den Ver¬
dacht des Selbstmords entfernen.

Das Buch hat bei den Franzosen den größten Anstoß erregt; denn Jacques
stößt der einzigen Idee vor den Kopf, an welche diese Nation im Laufe ihrer
ganzen Geschichte geglaubt hat: der Idee der Ehre. --

In dem letzten Roman dieser Reihe, Leone Leoni, hat die Mystik der
Liebe den Gipfel erreicht. -- Die obenangeführte Theorie der christlichen Liebe,
der Liebe zu den Sündern, ist praktisch ausgeführt. Leone ist Kavalier, von
vornehmen Manieren, spricht alle Sprachen, spielt Pianoforte ebenso gut wie
Pharao, ist ein ausgezeichneter Tanzmeister, schön wie Adonis, der Gott der
Mode, hat als Dichter alle Rollen der Menschheit durchempfnnden, weiß alle
Saiten des Gefühls anzuschlagen, wie Jean Paul's Roquairol, ist brutal und
dabei doch empfindsam n. s. w., und dabei ein ausgemachter Schurke, der eine
Reihe von Verbrechen und Ehrlosigkeiten begeht, von denen Diebstahl, falsches
Spiel, Meuchelmord u. tgi. noch die kleinsten sind. Julie liebt ihn erst in gutem
Glauben, nachher entdeckt sie eine seiner Niederträchtigkeiten nach der andern, und
liebt ihn fort. "Nur indem Du mich als Verbrecher, als ehrlosen Schurken
liebst, liebst Du mich wahr; so lauge Du noch an eine Besserung u. s. w.
dachtest, war es uicht mein eigentliches Wesen, das Dn liebtest!!" Als braves
Weib wird sie dann endlich die Mitschuldige seiner Unthaten, und versinkt in
einen wahren Abgrund der Gemeinheit. Trotzdem verläßt er sie; ein gutmüthiger,
restgnirter Raif Brown (es kommen zwei in diesem Stück vor: Paul Henryet
und Bustamente) nimmt sie auf, will sie heirathen; aber ein Blick des vorüber¬
gehenden Leoni, und sie stürzt zu seinen Füßen, als seine Sclavin, sein Geschöpf.
Es ist eben Hexerei und Magnetismus.


den mit der Absicht gezeichnet, einen großen Mann darzustellen; er hat aber das
Unglück, das meistens den Nomanhelden weiblicher Dichter begegnet: er kennt
nur Ein Feld, auf dem er seine Größe entfalten mag, die Liebe. In der Liebe
trägt aber nicht immer der Heroismus den Sieg davon. Jacques kann nicht
einmal die Entschuldigung Benedict's für sich anführen, daß er erst zwanzig Jahre
zählt; er steht bereits hoch in den dreißiger. Trotz seiner häufigen Enttäuschun¬
gen heirathet er ein junges Mädchen, nachdem er ihr vorher erklärt hat, er halte
den Schwur ewiger Treue für eine Ruchlosigkeit, die Fessel der Ehe für eine
Tyrannei; die Treue über die Liebe hinaus zu bewahren, sei ein Frevel gegen
die Allmacht des Herzens. Wegen oder ungeachtet dieser Theorien wird sie ihm
nicht nur untreu mit einem jungen Fant, sondern so cynisch in ihrer Untreue,
daß alle Welt ihn als Hahnrei verhöhnt. Er tödtet Einige der Spötter im Duell,
,in einem Anfall von Naserei; aber den Räuber seines Glückes zu todten, hat er
nicht den Muth, er würde seine Octave zu sehr betrüben! Endlich sieht er kein
besseres Mittel, als sich selbst zu tödten, um den beiden Liebenden Raum zu geben;
und um sie nur ja nicht zu kränken, thut er es unter Umständen, die den Ver¬
dacht des Selbstmords entfernen.

Das Buch hat bei den Franzosen den größten Anstoß erregt; denn Jacques
stößt der einzigen Idee vor den Kopf, an welche diese Nation im Laufe ihrer
ganzen Geschichte geglaubt hat: der Idee der Ehre. —

In dem letzten Roman dieser Reihe, Leone Leoni, hat die Mystik der
Liebe den Gipfel erreicht. — Die obenangeführte Theorie der christlichen Liebe,
der Liebe zu den Sündern, ist praktisch ausgeführt. Leone ist Kavalier, von
vornehmen Manieren, spricht alle Sprachen, spielt Pianoforte ebenso gut wie
Pharao, ist ein ausgezeichneter Tanzmeister, schön wie Adonis, der Gott der
Mode, hat als Dichter alle Rollen der Menschheit durchempfnnden, weiß alle
Saiten des Gefühls anzuschlagen, wie Jean Paul's Roquairol, ist brutal und
dabei doch empfindsam n. s. w., und dabei ein ausgemachter Schurke, der eine
Reihe von Verbrechen und Ehrlosigkeiten begeht, von denen Diebstahl, falsches
Spiel, Meuchelmord u. tgi. noch die kleinsten sind. Julie liebt ihn erst in gutem
Glauben, nachher entdeckt sie eine seiner Niederträchtigkeiten nach der andern, und
liebt ihn fort. „Nur indem Du mich als Verbrecher, als ehrlosen Schurken
liebst, liebst Du mich wahr; so lauge Du noch an eine Besserung u. s. w.
dachtest, war es uicht mein eigentliches Wesen, das Dn liebtest!!" Als braves
Weib wird sie dann endlich die Mitschuldige seiner Unthaten, und versinkt in
einen wahren Abgrund der Gemeinheit. Trotzdem verläßt er sie; ein gutmüthiger,
restgnirter Raif Brown (es kommen zwei in diesem Stück vor: Paul Henryet
und Bustamente) nimmt sie auf, will sie heirathen; aber ein Blick des vorüber¬
gehenden Leoni, und sie stürzt zu seinen Füßen, als seine Sclavin, sein Geschöpf.
Es ist eben Hexerei und Magnetismus.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/346>, abgerufen am 28.06.2024.