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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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seine Langeweile hat. "Der Geist des Menschen muß sehr arm sein, weil sich
ans dem Boden seiner Freude immer ein entsetzlicher Eindruck von Trauer und
Schrecken vorfindet. Hier ist ein sogenannter Glücklicher der Erde, der, um sich
zu betäuben und zu vergessen, daß seine Tage gezählt sind, nichts Besseres aus-
zusinnen weiß, als deu Ueberrest der Vergangenheit auszugraben, seine Gäste in
Livreen des Todes zu kleiden und die Geister seiner Vorfahren in seinem Palast
tanzen zu lassen!" "Du kämpfst, sagt er zur Lelia, eiuer vornehmen Dame,
deren Freundschaft er dadurch gewonnen hat, daß er sie -- ohne Weiteres annahm (!),
Dn kämpfst noch zuweilen mit dem Feinde des Menschengeschlechts, der Hoffnung.
Der Mensch fängt erst da an, wo die Leidenschaft aufhört. Ruhe ist die Zu¬
kunft, nach der die unsterbliche Seele trachtet." -- Lauter Reminiscenzen aus
Pascal, jenem christlichen Sophisten, der dnrch seine reizende Melancholie nur
uoch verführerischer ist. Auch die christliche Wendung fehlt nicht. -- "Die Liebe
besteht nicht in dem heftigen Streben nach einem geschaffenen Wesen, sondern in
dem heiligen Streben unseres ätherischen Theils uach dem Unbekannten . . . wir
müssen deu Himmel haben und haben ihn nicht. (Ich möchte ans Neugierde
sterben, sagt Lelia). Deshalb suchen wir deu Himmel in einem uns gleichem
Wesen, und vergeuden für dasselbe die ganze Kraft, die uns zu edleren Ge¬
brauch verliehe" wurde. Wir weigern Gott die Anbetung, um sie einem unvoll¬
kommenen Wesen zuzuwenden. Fällt aber der Schleier, und das Geschöpf zeigt
sich hinter der Weihrauchwolke, womit wir es umgeben, armselig und unvollkom¬
men, so erröthen wir über unsere Bethörung, stürzen unser Ideal um und tre¬
ten es unter die Füße. Und nun suchen wir ein anderes, denn lieben müssen
wir; aber wir täuschen uus uoch oft, bis dahin, wo wir, aufgeklärt, die Hoffnung
auf eine dauernde Liebe für die Erde aufgeben, und dann endlich bringen wir
Gott die reine Huldigung dar, die wir ihm nie hätten entziehen sollen." -- Diese
spiritualistische Rechtfertigung für den Wechsel in der Liebe wird dnrch eine eman-
cipirte Frau -- Pulcheria, eine Courtisane, beiläufig die Schwester Lelia's, durch
etwas bestimmtere Motive ergänzt. "Jede Liebe erschöpft; es muß ihr Wider¬
wille und Traurigkeit folgen. Vergebens lehnen wir uus gegen dieses Gesetz
ans. Die Verbindung des Mannes mit dem Weibe sollte nnr vorübergehend
sein; Alles widersetzt sich ihrer Dauer, und der Wechsel ist eine in ihrer Natur
bedingte Nothwendigkeit. -- -- Nichts ist willkürlicher und unbestimmter als
der Begriff: wahre Liebe. Jede Liebe ist wahr, sie möge heftig oder ruhig
sein, sinnlich oder geistig, dauernd oder vorübergehend. Die Liebe, welche ihren
Sitz im Verstände hat, kann zu ebeu so großen Thaten führen, als die, welche
im Herzen wohnt. Die sinnliche Liebe kann durch Kampf und Opfer veredelt
und geheiligt werden. Diese Vergötterung des Egoismus, die nur allein be¬
sitzen und bewahren will, dieses Gesetz der moralischen Ehe in der Liebe ist
ebenso thöricht, ebenso ohnmächtig, den Willen zu bändigen, ebenso lächerlich


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seine Langeweile hat. „Der Geist des Menschen muß sehr arm sein, weil sich
ans dem Boden seiner Freude immer ein entsetzlicher Eindruck von Trauer und
Schrecken vorfindet. Hier ist ein sogenannter Glücklicher der Erde, der, um sich
zu betäuben und zu vergessen, daß seine Tage gezählt sind, nichts Besseres aus-
zusinnen weiß, als deu Ueberrest der Vergangenheit auszugraben, seine Gäste in
Livreen des Todes zu kleiden und die Geister seiner Vorfahren in seinem Palast
tanzen zu lassen!" „Du kämpfst, sagt er zur Lelia, eiuer vornehmen Dame,
deren Freundschaft er dadurch gewonnen hat, daß er sie — ohne Weiteres annahm (!),
Dn kämpfst noch zuweilen mit dem Feinde des Menschengeschlechts, der Hoffnung.
Der Mensch fängt erst da an, wo die Leidenschaft aufhört. Ruhe ist die Zu¬
kunft, nach der die unsterbliche Seele trachtet." — Lauter Reminiscenzen aus
Pascal, jenem christlichen Sophisten, der dnrch seine reizende Melancholie nur
uoch verführerischer ist. Auch die christliche Wendung fehlt nicht. — „Die Liebe
besteht nicht in dem heftigen Streben nach einem geschaffenen Wesen, sondern in
dem heiligen Streben unseres ätherischen Theils uach dem Unbekannten . . . wir
müssen deu Himmel haben und haben ihn nicht. (Ich möchte ans Neugierde
sterben, sagt Lelia). Deshalb suchen wir deu Himmel in einem uns gleichem
Wesen, und vergeuden für dasselbe die ganze Kraft, die uns zu edleren Ge¬
brauch verliehe« wurde. Wir weigern Gott die Anbetung, um sie einem unvoll¬
kommenen Wesen zuzuwenden. Fällt aber der Schleier, und das Geschöpf zeigt
sich hinter der Weihrauchwolke, womit wir es umgeben, armselig und unvollkom¬
men, so erröthen wir über unsere Bethörung, stürzen unser Ideal um und tre¬
ten es unter die Füße. Und nun suchen wir ein anderes, denn lieben müssen
wir; aber wir täuschen uus uoch oft, bis dahin, wo wir, aufgeklärt, die Hoffnung
auf eine dauernde Liebe für die Erde aufgeben, und dann endlich bringen wir
Gott die reine Huldigung dar, die wir ihm nie hätten entziehen sollen." — Diese
spiritualistische Rechtfertigung für den Wechsel in der Liebe wird dnrch eine eman-
cipirte Frau — Pulcheria, eine Courtisane, beiläufig die Schwester Lelia's, durch
etwas bestimmtere Motive ergänzt. „Jede Liebe erschöpft; es muß ihr Wider¬
wille und Traurigkeit folgen. Vergebens lehnen wir uus gegen dieses Gesetz
ans. Die Verbindung des Mannes mit dem Weibe sollte nnr vorübergehend
sein; Alles widersetzt sich ihrer Dauer, und der Wechsel ist eine in ihrer Natur
bedingte Nothwendigkeit. — — Nichts ist willkürlicher und unbestimmter als
der Begriff: wahre Liebe. Jede Liebe ist wahr, sie möge heftig oder ruhig
sein, sinnlich oder geistig, dauernd oder vorübergehend. Die Liebe, welche ihren
Sitz im Verstände hat, kann zu ebeu so großen Thaten führen, als die, welche
im Herzen wohnt. Die sinnliche Liebe kann durch Kampf und Opfer veredelt
und geheiligt werden. Diese Vergötterung des Egoismus, die nur allein be¬
sitzen und bewahren will, dieses Gesetz der moralischen Ehe in der Liebe ist
ebenso thöricht, ebenso ohnmächtig, den Willen zu bändigen, ebenso lächerlich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/343>, abgerufen am 24.07.2024.