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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Valentine, die weiße Rose oder die Sensitive -- ist verheirat!)et, allerdings in
einer Ehe, der die höhere sittliche Berechtigung abgeht; ihr Gemahl, Herr von
Lensac, ist eine wenigstens eben so verderbte Natur, als der Gemahl der Eugen
Sue'schen Mathilde. Es findet um ein Kampf der Tugend statt, der aber
ziemlich sinnlich geführt wird; Valentine flüchtet vergebens in religiöse Andachts¬
übungen; nach Ausbrüchen wahrhaft Heiuse'scher Leidenschaft und Gedanken von
Gewaltthat und Selbstmord schwören sie eiuen Eid der Entsagung und besiegeln
diesen Eid durch feurige Küsse! -- Was daraus entsteht, läßt sich den¬
ken. -- Valentine richtet ihrem Geliebten eiuen feenhaften Pavillon mit allen
Comforts des raffinirten Luxus ein, wohin das Geräusch der Welt so wenig
dringt, als in Indiana's Hütte am Wasserfall von Bernina oder in Ardinghello's
glückselige Inseln, bis endlich durch die Rückkehr des Ehemanns die blutige
Katastrophe eintritt. -- Es ist eine verschwenderische Fülle von Liebessophistik
aufgeboten, um das Verhältniß noch raffinirter zu machen; eine Schwester Valen¬
tine's, Luise, eine Gefallene, verwirrt es noch mehr durch deu Kampf ihrer Eiser¬
sucht mit der fixen Idee: sie dürfe die Sünden, welche Valentine und Benedict
begehen wollen, nicht stören, weil sie selbst in ihrem Herzen sündige. -- Trotz¬
dem ist Valentine ein großer Fortschritt; der Strom der Leidenschaft fließt leben¬
diger und entwickelt wunderbare Züge tiefer Naturwahrheit; die verschiedenen
Schichten der Gesellschaft in den ersten Zeiten der Restauration sind glänzend
geschildert und mit künstlerischer Feinheit in eine bestimmte Gruppe concentrirt. ---

Ich komme jetzt zu der unglückseligsten Verirrung G. Sands, zur Lelia. --
Es ist, wie die Lucinde, Wally, Faustine u. s. w., nicht ein Roman, sondern
eine Sammlung paradoxer Einfälle und Blasphemien, die drei Personen in deu
Mund gelegt sind, Personen, die keine audere Realität haben, als eben jene
Einfälle. -- Die eine dieser Personen,*die mit der Apathie eines Weisen dem
Gedränge der irrenden Menschen zusieht, Trenmor, ist früher ein leidenschaftlicher
Spieler gewesen, und fwdet -- um doch eine Probe von dem Gefasel zu geben --
daß diese Leidellschaft eiuen größeren Heroismus erfordert, als der Krieg; denn
der Soldat wagt doch nur sein Leben, aber der Spieler seiue Ehre!! --
Er hat dann auch die Ehre verloren, und ist zehn Jahre laug auf den Galeeren
gewesen. Dort aber hat er das Geheimniß des Lebeus gefunden. "Außerhalb
des Baguo hätte ich die Bestimmung des Menscheit nie verstehen lernen, ich, ein
Mensch ohlie Glauben, ohne Zweck, durch ein Leben ermüdet, dessen Ausgang
mir dunkel blieb, im Besitz einer Freiheit, die ich uicht zu benutzen wußte, und
über die ich uicht nachdenken mochte, so eifrig war ich beschäftigt, die Zeit zu
tödten und die Langeweile des Daseins abzukürzen. Es war nöthig, daß mir
auf einige Zeit der Wille genommen, lind ich unter die Herrschaft eines feindseligen,
brutalen Willens gestellt wurde, der mich deu Werth des meinigen erkennen
lehrte." -- Als tugendhafter Manu findet er später doch, daß anch dieses Leben


Valentine, die weiße Rose oder die Sensitive — ist verheirat!)et, allerdings in
einer Ehe, der die höhere sittliche Berechtigung abgeht; ihr Gemahl, Herr von
Lensac, ist eine wenigstens eben so verderbte Natur, als der Gemahl der Eugen
Sue'schen Mathilde. Es findet um ein Kampf der Tugend statt, der aber
ziemlich sinnlich geführt wird; Valentine flüchtet vergebens in religiöse Andachts¬
übungen; nach Ausbrüchen wahrhaft Heiuse'scher Leidenschaft und Gedanken von
Gewaltthat und Selbstmord schwören sie eiuen Eid der Entsagung und besiegeln
diesen Eid durch feurige Küsse! — Was daraus entsteht, läßt sich den¬
ken. — Valentine richtet ihrem Geliebten eiuen feenhaften Pavillon mit allen
Comforts des raffinirten Luxus ein, wohin das Geräusch der Welt so wenig
dringt, als in Indiana's Hütte am Wasserfall von Bernina oder in Ardinghello's
glückselige Inseln, bis endlich durch die Rückkehr des Ehemanns die blutige
Katastrophe eintritt. — Es ist eine verschwenderische Fülle von Liebessophistik
aufgeboten, um das Verhältniß noch raffinirter zu machen; eine Schwester Valen¬
tine's, Luise, eine Gefallene, verwirrt es noch mehr durch deu Kampf ihrer Eiser¬
sucht mit der fixen Idee: sie dürfe die Sünden, welche Valentine und Benedict
begehen wollen, nicht stören, weil sie selbst in ihrem Herzen sündige. — Trotz¬
dem ist Valentine ein großer Fortschritt; der Strom der Leidenschaft fließt leben¬
diger und entwickelt wunderbare Züge tiefer Naturwahrheit; die verschiedenen
Schichten der Gesellschaft in den ersten Zeiten der Restauration sind glänzend
geschildert und mit künstlerischer Feinheit in eine bestimmte Gruppe concentrirt. —-

Ich komme jetzt zu der unglückseligsten Verirrung G. Sands, zur Lelia. —
Es ist, wie die Lucinde, Wally, Faustine u. s. w., nicht ein Roman, sondern
eine Sammlung paradoxer Einfälle und Blasphemien, die drei Personen in deu
Mund gelegt sind, Personen, die keine audere Realität haben, als eben jene
Einfälle. — Die eine dieser Personen,*die mit der Apathie eines Weisen dem
Gedränge der irrenden Menschen zusieht, Trenmor, ist früher ein leidenschaftlicher
Spieler gewesen, und fwdet — um doch eine Probe von dem Gefasel zu geben —
daß diese Leidellschaft eiuen größeren Heroismus erfordert, als der Krieg; denn
der Soldat wagt doch nur sein Leben, aber der Spieler seiue Ehre!! —
Er hat dann auch die Ehre verloren, und ist zehn Jahre laug auf den Galeeren
gewesen. Dort aber hat er das Geheimniß des Lebeus gefunden. „Außerhalb
des Baguo hätte ich die Bestimmung des Menscheit nie verstehen lernen, ich, ein
Mensch ohlie Glauben, ohne Zweck, durch ein Leben ermüdet, dessen Ausgang
mir dunkel blieb, im Besitz einer Freiheit, die ich uicht zu benutzen wußte, und
über die ich uicht nachdenken mochte, so eifrig war ich beschäftigt, die Zeit zu
tödten und die Langeweile des Daseins abzukürzen. Es war nöthig, daß mir
auf einige Zeit der Wille genommen, lind ich unter die Herrschaft eines feindseligen,
brutalen Willens gestellt wurde, der mich deu Werth des meinigen erkennen
lehrte." — Als tugendhafter Manu findet er später doch, daß anch dieses Leben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/342>, abgerufen am 28.06.2024.