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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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diesen Ausdruck; aber der Engländer, der im Privatleben mit Worten geizt, ist
ein wahrer Verschwender, wenn es sich um Behandlung eines staatlichen Stoffes
handelt.) Meetings. Pamphlete, Briefe aller Art und furchtbar langweilige Bro¬
schüren krochen ans dem sonueudurchwärmteu Schlamme wie Negenwürmer, und
demonstrirten die "paM QM'ession" aus politischem, religiösem, historischem und
-- commerciellen Standpunkte. Ein Mr. Turnley suchte sogar die Fisch blutnatnr
der Engländer, die seit William Pitt regelmäßig von Jahr zu Jahr um Aus¬
hebung der Feustersteuer Petitioniren, ohne die Geduld zu verlieren, durch ein
Gelegenheitstrauerspiel in eine Tigernatur zu verwandeln; die Schrecken der
spanischen Inquisition wurden geschildert und dem Katholicismus zur Last gelegt,
gerade so wie man Judenhaß dnrch ein Leidenöbild des Gekreuzigten predigt. An
allen Schaufenstern der sUitioners (Zeitungs- und Schreibmaterialienverkänfer)
waren Bilder ausgehängt; darauf zu schauen: brennende Scheiterhaufen, fanatische
Mönche mit dem Kreuz in der einen Hand, die Pechfackel in der andern, wnth-
verzerrte Gestalten, welche die Verurtheilten zur Richtstätte schleppten, und mitten
unter ihnen die erbarmungswürdigen Gesichter der Verdammten. "Snell i>? poper?,
Alis is ete kQtdolie religion," flüsterten fromme protestantische Mütter ihren Kindern
zu, wenn sie neugierig die schlechten Holzschnitte angafften. Und so wurde der
Haß gegen das Papstthum ans freier Straße gepredigt, so wurde die Agitation
dnrch Schrift, Wort und Kunst ins Werk gesetzt. O! die Engländer verstehen
es, "ans legitime Weise" zu agitiren, wie kein Volk der Erde.

Wenige Wochen vor Eröffnung des Parlaments hatte die Bewegung ihren
Höhepunkt erreicht. Dann folgte sie dem geistigen Naturgesetz: sie erhielt sich
eine kurze Zeit auf dem schwiudelerzeugeuden Gipfel, zu welchem sie mit verbun¬
denen Augen der Leidenschaft hinanfgetobt war, um allmälig in ein ruhigeres
Flußbett zurückzugelangen. Bei keiner Agitation in den Epochen unserer jüngsten,
dnrch bedeutendere Momente markirten Geschichte hat sich die Macht der wahr¬
haft freien Presse wunderthätiger erwiesen, als bei dieser religiösen Bewegung in
England. Die katholischen Organe hatten sich anfänglich schweigsam oder doch
größtenteils zurückhaltend gezeigt. Erst als die maßlosen Angriffe der Gegner,
die unpolitische Taktik der Regierung in der Person des Premiers, die zügellosen, -
halb plumpen, halb kindischen Demonstrationen des Pöbels, verbunden mit der
nach Popularität haschenden Derbheit der großen Blätter Blößen in Fülle gaben,
um einen Erfolg versprechenden Augriff wagen zu lassen: erst dann traten die
katholischen Gegner in die Schränken, und es entspann sich ein Federkampf, der
vom Standpunkt der Aesthetik und journalistischen Würde wohl nie gebilligt wer¬
den kaun, aber in so fern er ein offener, mit gleichen Waffen durchzuführender
war, jedem Verehrer liberaler Institutionen ein thatsächlich willkommener sein
mußte. Der Deutsche jenseits des Canals mag daheim, wo die Journalistik
--- zum größten Theil ans Mangel an Reibung -- gegenwärtig eine sehr polirte


diesen Ausdruck; aber der Engländer, der im Privatleben mit Worten geizt, ist
ein wahrer Verschwender, wenn es sich um Behandlung eines staatlichen Stoffes
handelt.) Meetings. Pamphlete, Briefe aller Art und furchtbar langweilige Bro¬
schüren krochen ans dem sonueudurchwärmteu Schlamme wie Negenwürmer, und
demonstrirten die „paM QM'ession" aus politischem, religiösem, historischem und
— commerciellen Standpunkte. Ein Mr. Turnley suchte sogar die Fisch blutnatnr
der Engländer, die seit William Pitt regelmäßig von Jahr zu Jahr um Aus¬
hebung der Feustersteuer Petitioniren, ohne die Geduld zu verlieren, durch ein
Gelegenheitstrauerspiel in eine Tigernatur zu verwandeln; die Schrecken der
spanischen Inquisition wurden geschildert und dem Katholicismus zur Last gelegt,
gerade so wie man Judenhaß dnrch ein Leidenöbild des Gekreuzigten predigt. An
allen Schaufenstern der sUitioners (Zeitungs- und Schreibmaterialienverkänfer)
waren Bilder ausgehängt; darauf zu schauen: brennende Scheiterhaufen, fanatische
Mönche mit dem Kreuz in der einen Hand, die Pechfackel in der andern, wnth-
verzerrte Gestalten, welche die Verurtheilten zur Richtstätte schleppten, und mitten
unter ihnen die erbarmungswürdigen Gesichter der Verdammten. „Snell i>? poper?,
Alis is ete kQtdolie religion," flüsterten fromme protestantische Mütter ihren Kindern
zu, wenn sie neugierig die schlechten Holzschnitte angafften. Und so wurde der
Haß gegen das Papstthum ans freier Straße gepredigt, so wurde die Agitation
dnrch Schrift, Wort und Kunst ins Werk gesetzt. O! die Engländer verstehen
es, „ans legitime Weise" zu agitiren, wie kein Volk der Erde.

Wenige Wochen vor Eröffnung des Parlaments hatte die Bewegung ihren
Höhepunkt erreicht. Dann folgte sie dem geistigen Naturgesetz: sie erhielt sich
eine kurze Zeit auf dem schwiudelerzeugeuden Gipfel, zu welchem sie mit verbun¬
denen Augen der Leidenschaft hinanfgetobt war, um allmälig in ein ruhigeres
Flußbett zurückzugelangen. Bei keiner Agitation in den Epochen unserer jüngsten,
dnrch bedeutendere Momente markirten Geschichte hat sich die Macht der wahr¬
haft freien Presse wunderthätiger erwiesen, als bei dieser religiösen Bewegung in
England. Die katholischen Organe hatten sich anfänglich schweigsam oder doch
größtenteils zurückhaltend gezeigt. Erst als die maßlosen Angriffe der Gegner,
die unpolitische Taktik der Regierung in der Person des Premiers, die zügellosen, -
halb plumpen, halb kindischen Demonstrationen des Pöbels, verbunden mit der
nach Popularität haschenden Derbheit der großen Blätter Blößen in Fülle gaben,
um einen Erfolg versprechenden Augriff wagen zu lassen: erst dann traten die
katholischen Gegner in die Schränken, und es entspann sich ein Federkampf, der
vom Standpunkt der Aesthetik und journalistischen Würde wohl nie gebilligt wer¬
den kaun, aber in so fern er ein offener, mit gleichen Waffen durchzuführender
war, jedem Verehrer liberaler Institutionen ein thatsächlich willkommener sein
mußte. Der Deutsche jenseits des Canals mag daheim, wo die Journalistik
-— zum größten Theil ans Mangel an Reibung — gegenwärtig eine sehr polirte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/324>, abgerufen am 24.07.2024.