Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Volkes" ihre Negieruugsausichteu mitzutheilen, wie dies in neuester Zeit zu¬
weilen in Wien und Berlin zu geschehen pflegte. Sie muß sich begnügen, ihre
Staatösecretäre für sich sprechen zu lassen. Und da gerade Parlamentsferien wa¬
ren, und sämmtliche Minister ans ihren Landsitzen oder bei guten Freunden Fuchs¬
jagden hielten, war's wohl der bequemste Ausweg, dem Premier einen offenen
Brief an den Bischof v. Durham schreiben zu lassen, und Lord John schrieb.
Ja wohl schrieb er -- einen Brief, leidenschaftlich, als ob ihn ein Mädchen oder
ein Chartist dictirt hätte. Der gutmüthige Russell mit der diplomatische" Sor-
gensmine, wie ihn Vater Punch so herrlich abzuzeichnen versteht, benahm sich
dabei ganz undiplomatisch und cordialsorglos. Er wollte zeigen, daß anch ein
englischer Staatsmann mit steifen Vatermördern und conservativer Unterlage ge¬
gen den Papst und die katholische Religion schimpfen könne, wie ein Fnrioso vom
clllerjnngsten Italien oder ein Demokrat vom altersschwachen Deutschland. Wer
hieß Lord John auch offene Briefe schreiben? Freilich mußte er aus oben an¬
geführten Gründen, freilich schlug die Sache als eine innere in sein Fach. Aber
er konnte dabei unmöglich vermeiden, vom Papste und dessen Verhältnisse zu Eng¬
land zu sprechen, und es ist eine alte Wahrheit, daß ein offizielles Schreibstück,
wo auch uur der Name eines auswärtigen Potentaten genannt werden soll, von
einem feingeschulteu Diplomaten verfaßt werden muß. Palmerston hätte jeden¬
falls die Stylübung besser gemacht; aber -- es ist uicht mehr zu helfen, der
Pfeil war abgeschossen, Lord John hatte die katholische Religion geradezu eine
Complication von "Mummereien" genannt; er hatte vergessen, daß es ein Irland
gebe, und war dafür acht Tage lang bei allen guten Engländern populär, bei
allen vernünftigen Engländern blamirt. --

Mit dem überstürzten Briefe des Premierministers beginnt eine neue Phase
der Agitation. Sie hatte eine Stütze an der Regierung und, wie man gern
glauben wollte, an der Königin gefunden. Geschäftige Köpfe erdichteten allerhöchste
Hofanekdoten; man ließ Dame Victoria in außerordentlichen Zorn gerathen und
ihren Münstern in höchster Aufregung zurufen: "Mylords! Bin ich Königin der
britischen Inseln, oder bin ich's nicht?" Etwas Aehnliches legt unser Schiller
seiner Elisabeth in den Mund; aber Königin Victoria ist keine Elisabeth, und
wenn sie gleich die deutschen Poeten liest und zu schätzen weiß, befleißt sie sich
doch einer sehr englischen Nüchternheit in Ton und Ausdrucksweise, und läßt ihre
Minister und ihr Parlament für den Glanz ihrer Krone sorgen. Die Massen
und, offen gestanden, anch die Gebildeten, glauben gern, was sie glauben wollen;
und hätte man erzählt, die Königin habe --- eilt Gegellstück zu jenem französischen
Könige -- aus dem Erkerbalcone ihres Schlosses ans ihre katholischen Unterthanen
geschossen, mau hätte sich vielleicht zwei Stunden laug mit der Wahrscheinlichkeit
und Unwahrscheinlichkeit des Factums beschäftigt. -- Der Brief Lord Johns
war wie ein Thau aus dem Ackerfelde englischer Geschwätzigkeit. (Mail verzeihe


des Volkes" ihre Negieruugsausichteu mitzutheilen, wie dies in neuester Zeit zu¬
weilen in Wien und Berlin zu geschehen pflegte. Sie muß sich begnügen, ihre
Staatösecretäre für sich sprechen zu lassen. Und da gerade Parlamentsferien wa¬
ren, und sämmtliche Minister ans ihren Landsitzen oder bei guten Freunden Fuchs¬
jagden hielten, war's wohl der bequemste Ausweg, dem Premier einen offenen
Brief an den Bischof v. Durham schreiben zu lassen, und Lord John schrieb.
Ja wohl schrieb er — einen Brief, leidenschaftlich, als ob ihn ein Mädchen oder
ein Chartist dictirt hätte. Der gutmüthige Russell mit der diplomatische» Sor-
gensmine, wie ihn Vater Punch so herrlich abzuzeichnen versteht, benahm sich
dabei ganz undiplomatisch und cordialsorglos. Er wollte zeigen, daß anch ein
englischer Staatsmann mit steifen Vatermördern und conservativer Unterlage ge¬
gen den Papst und die katholische Religion schimpfen könne, wie ein Fnrioso vom
clllerjnngsten Italien oder ein Demokrat vom altersschwachen Deutschland. Wer
hieß Lord John auch offene Briefe schreiben? Freilich mußte er aus oben an¬
geführten Gründen, freilich schlug die Sache als eine innere in sein Fach. Aber
er konnte dabei unmöglich vermeiden, vom Papste und dessen Verhältnisse zu Eng¬
land zu sprechen, und es ist eine alte Wahrheit, daß ein offizielles Schreibstück,
wo auch uur der Name eines auswärtigen Potentaten genannt werden soll, von
einem feingeschulteu Diplomaten verfaßt werden muß. Palmerston hätte jeden¬
falls die Stylübung besser gemacht; aber — es ist uicht mehr zu helfen, der
Pfeil war abgeschossen, Lord John hatte die katholische Religion geradezu eine
Complication von „Mummereien" genannt; er hatte vergessen, daß es ein Irland
gebe, und war dafür acht Tage lang bei allen guten Engländern populär, bei
allen vernünftigen Engländern blamirt. —

Mit dem überstürzten Briefe des Premierministers beginnt eine neue Phase
der Agitation. Sie hatte eine Stütze an der Regierung und, wie man gern
glauben wollte, an der Königin gefunden. Geschäftige Köpfe erdichteten allerhöchste
Hofanekdoten; man ließ Dame Victoria in außerordentlichen Zorn gerathen und
ihren Münstern in höchster Aufregung zurufen: „Mylords! Bin ich Königin der
britischen Inseln, oder bin ich's nicht?" Etwas Aehnliches legt unser Schiller
seiner Elisabeth in den Mund; aber Königin Victoria ist keine Elisabeth, und
wenn sie gleich die deutschen Poeten liest und zu schätzen weiß, befleißt sie sich
doch einer sehr englischen Nüchternheit in Ton und Ausdrucksweise, und läßt ihre
Minister und ihr Parlament für den Glanz ihrer Krone sorgen. Die Massen
und, offen gestanden, anch die Gebildeten, glauben gern, was sie glauben wollen;
und hätte man erzählt, die Königin habe —- eilt Gegellstück zu jenem französischen
Könige — aus dem Erkerbalcone ihres Schlosses ans ihre katholischen Unterthanen
geschossen, mau hätte sich vielleicht zwei Stunden laug mit der Wahrscheinlichkeit
und Unwahrscheinlichkeit des Factums beschäftigt. — Der Brief Lord Johns
war wie ein Thau aus dem Ackerfelde englischer Geschwätzigkeit. (Mail verzeihe


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0323" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92061"/>
          <p xml:id="ID_1009" prev="#ID_1008"> des Volkes" ihre Negieruugsausichteu mitzutheilen, wie dies in neuester Zeit zu¬<lb/>
weilen in Wien und Berlin zu geschehen pflegte. Sie muß sich begnügen, ihre<lb/>
Staatösecretäre für sich sprechen zu lassen.  Und da gerade Parlamentsferien wa¬<lb/>
ren, und sämmtliche Minister ans ihren Landsitzen oder bei guten Freunden Fuchs¬<lb/>
jagden hielten, war's wohl der bequemste Ausweg, dem Premier einen offenen<lb/>
Brief an den Bischof v. Durham schreiben zu lassen, und Lord John schrieb.<lb/>
Ja wohl schrieb er &#x2014; einen Brief, leidenschaftlich, als ob ihn ein Mädchen oder<lb/>
ein Chartist dictirt hätte.  Der gutmüthige Russell mit der diplomatische» Sor-<lb/>
gensmine, wie ihn Vater Punch so herrlich abzuzeichnen versteht, benahm sich<lb/>
dabei ganz undiplomatisch und cordialsorglos.  Er wollte zeigen, daß anch ein<lb/>
englischer Staatsmann mit steifen Vatermördern und conservativer Unterlage ge¬<lb/>
gen den Papst und die katholische Religion schimpfen könne, wie ein Fnrioso vom<lb/>
clllerjnngsten Italien oder ein Demokrat vom altersschwachen Deutschland. Wer<lb/>
hieß Lord John auch offene Briefe schreiben? Freilich mußte er aus oben an¬<lb/>
geführten Gründen, freilich schlug die Sache als eine innere in sein Fach. Aber<lb/>
er konnte dabei unmöglich vermeiden, vom Papste und dessen Verhältnisse zu Eng¬<lb/>
land zu sprechen, und es ist eine alte Wahrheit, daß ein offizielles Schreibstück,<lb/>
wo auch uur der Name eines auswärtigen Potentaten genannt werden soll, von<lb/>
einem feingeschulteu Diplomaten verfaßt werden muß.  Palmerston hätte jeden¬<lb/>
falls die Stylübung besser gemacht; aber &#x2014; es ist uicht mehr zu helfen, der<lb/>
Pfeil war abgeschossen, Lord John hatte die katholische Religion geradezu eine<lb/>
Complication von &#x201E;Mummereien" genannt; er hatte vergessen, daß es ein Irland<lb/>
gebe, und war dafür acht Tage lang bei allen guten Engländern populär, bei<lb/>
allen vernünftigen Engländern blamirt. &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1010" next="#ID_1011"> Mit dem überstürzten Briefe des Premierministers beginnt eine neue Phase<lb/>
der Agitation. Sie hatte eine Stütze an der Regierung und, wie man gern<lb/>
glauben wollte, an der Königin gefunden. Geschäftige Köpfe erdichteten allerhöchste<lb/>
Hofanekdoten; man ließ Dame Victoria in außerordentlichen Zorn gerathen und<lb/>
ihren Münstern in höchster Aufregung zurufen: &#x201E;Mylords! Bin ich Königin der<lb/>
britischen Inseln, oder bin ich's nicht?" Etwas Aehnliches legt unser Schiller<lb/>
seiner Elisabeth in den Mund; aber Königin Victoria ist keine Elisabeth, und<lb/>
wenn sie gleich die deutschen Poeten liest und zu schätzen weiß, befleißt sie sich<lb/>
doch einer sehr englischen Nüchternheit in Ton und Ausdrucksweise, und läßt ihre<lb/>
Minister und ihr Parlament für den Glanz ihrer Krone sorgen. Die Massen<lb/>
und, offen gestanden, anch die Gebildeten, glauben gern, was sie glauben wollen;<lb/>
und hätte man erzählt, die Königin habe &#x2014;- eilt Gegellstück zu jenem französischen<lb/>
Könige &#x2014; aus dem Erkerbalcone ihres Schlosses ans ihre katholischen Unterthanen<lb/>
geschossen, mau hätte sich vielleicht zwei Stunden laug mit der Wahrscheinlichkeit<lb/>
und Unwahrscheinlichkeit des Factums beschäftigt. &#x2014; Der Brief Lord Johns<lb/>
war wie ein Thau aus dem Ackerfelde englischer Geschwätzigkeit. (Mail verzeihe</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0323] des Volkes" ihre Negieruugsausichteu mitzutheilen, wie dies in neuester Zeit zu¬ weilen in Wien und Berlin zu geschehen pflegte. Sie muß sich begnügen, ihre Staatösecretäre für sich sprechen zu lassen. Und da gerade Parlamentsferien wa¬ ren, und sämmtliche Minister ans ihren Landsitzen oder bei guten Freunden Fuchs¬ jagden hielten, war's wohl der bequemste Ausweg, dem Premier einen offenen Brief an den Bischof v. Durham schreiben zu lassen, und Lord John schrieb. Ja wohl schrieb er — einen Brief, leidenschaftlich, als ob ihn ein Mädchen oder ein Chartist dictirt hätte. Der gutmüthige Russell mit der diplomatische» Sor- gensmine, wie ihn Vater Punch so herrlich abzuzeichnen versteht, benahm sich dabei ganz undiplomatisch und cordialsorglos. Er wollte zeigen, daß anch ein englischer Staatsmann mit steifen Vatermördern und conservativer Unterlage ge¬ gen den Papst und die katholische Religion schimpfen könne, wie ein Fnrioso vom clllerjnngsten Italien oder ein Demokrat vom altersschwachen Deutschland. Wer hieß Lord John auch offene Briefe schreiben? Freilich mußte er aus oben an¬ geführten Gründen, freilich schlug die Sache als eine innere in sein Fach. Aber er konnte dabei unmöglich vermeiden, vom Papste und dessen Verhältnisse zu Eng¬ land zu sprechen, und es ist eine alte Wahrheit, daß ein offizielles Schreibstück, wo auch uur der Name eines auswärtigen Potentaten genannt werden soll, von einem feingeschulteu Diplomaten verfaßt werden muß. Palmerston hätte jeden¬ falls die Stylübung besser gemacht; aber — es ist uicht mehr zu helfen, der Pfeil war abgeschossen, Lord John hatte die katholische Religion geradezu eine Complication von „Mummereien" genannt; er hatte vergessen, daß es ein Irland gebe, und war dafür acht Tage lang bei allen guten Engländern populär, bei allen vernünftigen Engländern blamirt. — Mit dem überstürzten Briefe des Premierministers beginnt eine neue Phase der Agitation. Sie hatte eine Stütze an der Regierung und, wie man gern glauben wollte, an der Königin gefunden. Geschäftige Köpfe erdichteten allerhöchste Hofanekdoten; man ließ Dame Victoria in außerordentlichen Zorn gerathen und ihren Münstern in höchster Aufregung zurufen: „Mylords! Bin ich Königin der britischen Inseln, oder bin ich's nicht?" Etwas Aehnliches legt unser Schiller seiner Elisabeth in den Mund; aber Königin Victoria ist keine Elisabeth, und wenn sie gleich die deutschen Poeten liest und zu schätzen weiß, befleißt sie sich doch einer sehr englischen Nüchternheit in Ton und Ausdrucksweise, und läßt ihre Minister und ihr Parlament für den Glanz ihrer Krone sorgen. Die Massen und, offen gestanden, anch die Gebildeten, glauben gern, was sie glauben wollen; und hätte man erzählt, die Königin habe —- eilt Gegellstück zu jenem französischen Könige — aus dem Erkerbalcone ihres Schlosses ans ihre katholischen Unterthanen geschossen, mau hätte sich vielleicht zwei Stunden laug mit der Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit des Factums beschäftigt. — Der Brief Lord Johns war wie ein Thau aus dem Ackerfelde englischer Geschwätzigkeit. (Mail verzeihe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/323
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/323>, abgerufen am 28.06.2024.