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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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und spiegelglatte Außenseite hat, zuweilen bedenklich den Kopf geschüttelt haben,
wenn ihm so ein englischer Kraftartikel nnter die Augen kam; aber der Deutsche
daheim bekömmt zumeist nur Times, Ehronicle oder Daily News zu Gesichte, die
katholischen Blätter finden deu Weg übers Meer nur in seltenen Fällen. Würden
sie deu Deutschen in jener Epoche allgemeiner Aufregung zu Gesichte gekommen
sein, dann hätten sie sich überzeugen können, daß die Preßfreiheit in England nicht
so einseitig verstanden wird, wie an Elbe, Rhein und Donan. Wohl bilden die
Anglikaner die Majorität, wohl gibt es auf den britischen Inseln eine privilegirte
Hochkirche, wohl hatte die Regierung für dieselbe offen Partei genommen; dennoch
fiel es Niemandem ein, die Gegner "Rebellen" zu nennen. Die katholische Presse
war in den Augen der Regierung keine "Schandpresse," die antigouvcruementale
Ansicht wurde nicht zum Verbrechen gestempelt; es wurden keine Processe einge¬
leitet, keine Ausweisungen von Schriftstellern vorgenommen; ja es wurde den
katholischen Blättern nicht einmal das Postdebit entzogen. Wenn Lord John
Russell den katholischen Ritus "Mummerei" genannt hatte, so schalt ihn dafür
"Tablet" einen Ketzer, einen Ungläubigen, die protestantische Religion einen
Schandfleck der Geschichte, die Ausgeburt des Unglaubens, das Scheusal der Ge¬
sittung! "Haß und Verachtung wurden gepredigt" hier wie dort; der anglikanische
Clerus wurde "in den Koth getreten", wie dort der katholische; die Presse blieb
unbeengt; Sonne und Wind waren gleich getheilt, und die Folge davon war, daß
sich die Lanzen der Kämpfenden allmälig abstumpften, daß sich die Leidenschaften
der Zuschauer abkühlten.

Von den Londoner Tageblättern hatte Flath Chronicle von Anfang an einen mil¬
deren Ton gegen die päpstliche Maßregel angeschlagen. Es gilt für das Organ
der vielverzweigten und vielangestellten Grey's, nud diese mögen eine Ahnung
gehabt haben, daß das heijige Concilium an der Tiber besser wüßte, was eS
dem Buchstaben des englischen Gesetzes gegenüber wagen dürfte, als Lord John
und all' die Millionen Schreier, die ihm Beifall zujauchzten. Die radicalen
Blätter, d. h. die meisten Wochenblätter, faßten von Beginn an die Sache vom
tendenziösen Standpunkte auf. Sie, welche unausgesetzt gegen jede Beschränkung
der Freiheit in eiuer radicalereu Weise, als man der englischen Journalistik in
Deutschland zutraut, ankämpfen, wollten zumeist vou einer Beschränkung der
Katholiken und ihres geistlichen Oberhauptes nichts wissen. Sie hielten auch
hier fest an ihrem Princip, und wir bekamen ein Schauspiel zu sehen, wie eS
uns in den letzten Nevolutionsjahren Deutschlands theilweise vorgeführt wurde:
der katholische Clerus, der eiugestammte Gegner jeder Revolution, trank Brü¬
derschaft mit dem Radikalismus und gab ihm den apostolischen Segen. Die
Radicalen spielten die Rolle der Doctrinäre. In der Feststellung des Princips
liegt ihre Ehre; ob anch der praktische Vortheil, das muß die Zukunft lehren.

Was -- neben der periodischen Presse -- die Literatur dieser Tage betrifft,


Grenzboten. I. 1851. ^l)

und spiegelglatte Außenseite hat, zuweilen bedenklich den Kopf geschüttelt haben,
wenn ihm so ein englischer Kraftartikel nnter die Augen kam; aber der Deutsche
daheim bekömmt zumeist nur Times, Ehronicle oder Daily News zu Gesichte, die
katholischen Blätter finden deu Weg übers Meer nur in seltenen Fällen. Würden
sie deu Deutschen in jener Epoche allgemeiner Aufregung zu Gesichte gekommen
sein, dann hätten sie sich überzeugen können, daß die Preßfreiheit in England nicht
so einseitig verstanden wird, wie an Elbe, Rhein und Donan. Wohl bilden die
Anglikaner die Majorität, wohl gibt es auf den britischen Inseln eine privilegirte
Hochkirche, wohl hatte die Regierung für dieselbe offen Partei genommen; dennoch
fiel es Niemandem ein, die Gegner „Rebellen" zu nennen. Die katholische Presse
war in den Augen der Regierung keine „Schandpresse," die antigouvcruementale
Ansicht wurde nicht zum Verbrechen gestempelt; es wurden keine Processe einge¬
leitet, keine Ausweisungen von Schriftstellern vorgenommen; ja es wurde den
katholischen Blättern nicht einmal das Postdebit entzogen. Wenn Lord John
Russell den katholischen Ritus „Mummerei" genannt hatte, so schalt ihn dafür
„Tablet" einen Ketzer, einen Ungläubigen, die protestantische Religion einen
Schandfleck der Geschichte, die Ausgeburt des Unglaubens, das Scheusal der Ge¬
sittung! „Haß und Verachtung wurden gepredigt" hier wie dort; der anglikanische
Clerus wurde „in den Koth getreten", wie dort der katholische; die Presse blieb
unbeengt; Sonne und Wind waren gleich getheilt, und die Folge davon war, daß
sich die Lanzen der Kämpfenden allmälig abstumpften, daß sich die Leidenschaften
der Zuschauer abkühlten.

Von den Londoner Tageblättern hatte Flath Chronicle von Anfang an einen mil¬
deren Ton gegen die päpstliche Maßregel angeschlagen. Es gilt für das Organ
der vielverzweigten und vielangestellten Grey's, nud diese mögen eine Ahnung
gehabt haben, daß das heijige Concilium an der Tiber besser wüßte, was eS
dem Buchstaben des englischen Gesetzes gegenüber wagen dürfte, als Lord John
und all' die Millionen Schreier, die ihm Beifall zujauchzten. Die radicalen
Blätter, d. h. die meisten Wochenblätter, faßten von Beginn an die Sache vom
tendenziösen Standpunkte auf. Sie, welche unausgesetzt gegen jede Beschränkung
der Freiheit in eiuer radicalereu Weise, als man der englischen Journalistik in
Deutschland zutraut, ankämpfen, wollten zumeist vou einer Beschränkung der
Katholiken und ihres geistlichen Oberhauptes nichts wissen. Sie hielten auch
hier fest an ihrem Princip, und wir bekamen ein Schauspiel zu sehen, wie eS
uns in den letzten Nevolutionsjahren Deutschlands theilweise vorgeführt wurde:
der katholische Clerus, der eiugestammte Gegner jeder Revolution, trank Brü¬
derschaft mit dem Radikalismus und gab ihm den apostolischen Segen. Die
Radicalen spielten die Rolle der Doctrinäre. In der Feststellung des Princips
liegt ihre Ehre; ob anch der praktische Vortheil, das muß die Zukunft lehren.

Was — neben der periodischen Presse — die Literatur dieser Tage betrifft,


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[0325] und spiegelglatte Außenseite hat, zuweilen bedenklich den Kopf geschüttelt haben, wenn ihm so ein englischer Kraftartikel nnter die Augen kam; aber der Deutsche daheim bekömmt zumeist nur Times, Ehronicle oder Daily News zu Gesichte, die katholischen Blätter finden deu Weg übers Meer nur in seltenen Fällen. Würden sie deu Deutschen in jener Epoche allgemeiner Aufregung zu Gesichte gekommen sein, dann hätten sie sich überzeugen können, daß die Preßfreiheit in England nicht so einseitig verstanden wird, wie an Elbe, Rhein und Donan. Wohl bilden die Anglikaner die Majorität, wohl gibt es auf den britischen Inseln eine privilegirte Hochkirche, wohl hatte die Regierung für dieselbe offen Partei genommen; dennoch fiel es Niemandem ein, die Gegner „Rebellen" zu nennen. Die katholische Presse war in den Augen der Regierung keine „Schandpresse," die antigouvcruementale Ansicht wurde nicht zum Verbrechen gestempelt; es wurden keine Processe einge¬ leitet, keine Ausweisungen von Schriftstellern vorgenommen; ja es wurde den katholischen Blättern nicht einmal das Postdebit entzogen. Wenn Lord John Russell den katholischen Ritus „Mummerei" genannt hatte, so schalt ihn dafür „Tablet" einen Ketzer, einen Ungläubigen, die protestantische Religion einen Schandfleck der Geschichte, die Ausgeburt des Unglaubens, das Scheusal der Ge¬ sittung! „Haß und Verachtung wurden gepredigt" hier wie dort; der anglikanische Clerus wurde „in den Koth getreten", wie dort der katholische; die Presse blieb unbeengt; Sonne und Wind waren gleich getheilt, und die Folge davon war, daß sich die Lanzen der Kämpfenden allmälig abstumpften, daß sich die Leidenschaften der Zuschauer abkühlten. Von den Londoner Tageblättern hatte Flath Chronicle von Anfang an einen mil¬ deren Ton gegen die päpstliche Maßregel angeschlagen. Es gilt für das Organ der vielverzweigten und vielangestellten Grey's, nud diese mögen eine Ahnung gehabt haben, daß das heijige Concilium an der Tiber besser wüßte, was eS dem Buchstaben des englischen Gesetzes gegenüber wagen dürfte, als Lord John und all' die Millionen Schreier, die ihm Beifall zujauchzten. Die radicalen Blätter, d. h. die meisten Wochenblätter, faßten von Beginn an die Sache vom tendenziösen Standpunkte auf. Sie, welche unausgesetzt gegen jede Beschränkung der Freiheit in eiuer radicalereu Weise, als man der englischen Journalistik in Deutschland zutraut, ankämpfen, wollten zumeist vou einer Beschränkung der Katholiken und ihres geistlichen Oberhauptes nichts wissen. Sie hielten auch hier fest an ihrem Princip, und wir bekamen ein Schauspiel zu sehen, wie eS uns in den letzten Nevolutionsjahren Deutschlands theilweise vorgeführt wurde: der katholische Clerus, der eiugestammte Gegner jeder Revolution, trank Brü¬ derschaft mit dem Radikalismus und gab ihm den apostolischen Segen. Die Radicalen spielten die Rolle der Doctrinäre. In der Feststellung des Princips liegt ihre Ehre; ob anch der praktische Vortheil, das muß die Zukunft lehren. Was — neben der periodischen Presse — die Literatur dieser Tage betrifft, Grenzboten. I. 1851. ^l)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/325>, abgerufen am 28.06.2024.