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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Katholiken handelte, haben selbst cousequenter-tolerante Männer als der D'Js-
raeli von heute gegen die Bill gestimmt; ihr theilweise eingestandener Haupt¬
grund war die Furcht, dem Katholicismus eine Handbreit freien Bodens einzu-
räumen, wo er allmälig Wurzel fassen und die Staatskirche untergraben könne.
Die Minister setzten ihre Existenz an die Durchführung der Bill, und die Katho¬
liken wurden emancipirt, nicht weil die Majorität im Parlamente paftistisch ge¬
sinnt, auch nicht weil sie liberal ans philosophischer Ueberzeugung war, sondern
weil sie der Zeitgeist drängte, weil sie die Unmöglichkeit einsah, daß es länger
beim Alten bleiben könne. Die Bill ging dnrch, nicht weil Lords und Gemeine
wollten, sondern weil sie mußten. Heute freilich kauu der liberale Roebuck
und der Hanswurst D'Jsraeli rufen: "Mau hat es euch vorausgesagt! Ihr
erntet, was ihr gesäet habt!" Aber wenn selbst Herr D'Jsraeli im Jahre 1829
im Unterhaus gesessen, und genan den Tag und die Stunde angegeben hätte,
in welcher Dr. Wiseman zum Erzbischof von Westminster ernannt werden würde,
um das ganze glückselige England in ein unglückseliges theologisches Wörterbuch
zu verwandeln, wahrlich auch dann wäre es nicht mehr möglich gewesen, zu ver¬
hindern, was geschehen mußte.

Das englische Volk (die sogenannten Massen), welches man auf dem Con¬
tinente je nach Umständen und Bequemlichkeit, bald als Prototyp constitutioneller
Gesittung, bald als Ausbund roher Pöbelhaftigkeit darstellt, benahm sich von
Anfang an, als es mit dem Inhalt der päpstlichen Bulle vertraut gemacht wurde,
gerade so, wie sich in ähnlichem Falle die Massen aller Länder, in welchen eine
freie Aeußerung gestattet ist, benehmen würden: es folgte seinem Gefühle; und
dieses sagte ihm -- ob mit Recht oder Unrecht, mag hier unerörtert bleiben --
daß das Geschenk von der Tiber den englischen Inseln keinen Segen bringe.
FlnHs schritt man zu theatralischen Demonstrationen aller Art gegen den Papst
und seine Cardinäle. Der Haß eines Volkes vermag sich eben so kindisch wie
blutig zu äußern. Ersteres war in England der Fall. Lange vor und nach und
am Guypwkestage sah man die komischsten Auszüge sich von Stadt zu Stadt,
vou Dorf zu Dorf bewegen; als Hauptpersonen figurirten der Papst oder Car¬
dinal Wiseman; sie mußten wie Ketzer den Flammentod sterben, und all das
Pulver- und Feuerwerksmateriale, welches bei diesen Puppenspielen verpufft wurde,
wäre genügend gewesen, am rechten Orte angewandt, ganz Italien in Brand zu
stecken. Der gemeine Mann, der kaum seinen Namen nnter eine Monstreadresse,
geschweige denn Leitartikel schreiben kann, der keine Pamphlete verfassen und bei
Meetings uicht sprechen kann, glaubte mit jeder Rakete, die er in. die Lüfte stei¬
gen ließ, seiner Königin ans Windsoreastle deutliche Botschaft zu bringen, daß
er sich mit dem neuen Kirchenlicht nicht befreunden wolle. Die Königin von Eng¬
land hat aber nie Gelegenheit, mit ihrem loyalen Volke zu sprechen. Als Frau
entbehrt sie sogar den Vortheil, bei Wachparaden den "wahren Repräsentanten


Katholiken handelte, haben selbst cousequenter-tolerante Männer als der D'Js-
raeli von heute gegen die Bill gestimmt; ihr theilweise eingestandener Haupt¬
grund war die Furcht, dem Katholicismus eine Handbreit freien Bodens einzu-
räumen, wo er allmälig Wurzel fassen und die Staatskirche untergraben könne.
Die Minister setzten ihre Existenz an die Durchführung der Bill, und die Katho¬
liken wurden emancipirt, nicht weil die Majorität im Parlamente paftistisch ge¬
sinnt, auch nicht weil sie liberal ans philosophischer Ueberzeugung war, sondern
weil sie der Zeitgeist drängte, weil sie die Unmöglichkeit einsah, daß es länger
beim Alten bleiben könne. Die Bill ging dnrch, nicht weil Lords und Gemeine
wollten, sondern weil sie mußten. Heute freilich kauu der liberale Roebuck
und der Hanswurst D'Jsraeli rufen: „Mau hat es euch vorausgesagt! Ihr
erntet, was ihr gesäet habt!" Aber wenn selbst Herr D'Jsraeli im Jahre 1829
im Unterhaus gesessen, und genan den Tag und die Stunde angegeben hätte,
in welcher Dr. Wiseman zum Erzbischof von Westminster ernannt werden würde,
um das ganze glückselige England in ein unglückseliges theologisches Wörterbuch
zu verwandeln, wahrlich auch dann wäre es nicht mehr möglich gewesen, zu ver¬
hindern, was geschehen mußte.

Das englische Volk (die sogenannten Massen), welches man auf dem Con¬
tinente je nach Umständen und Bequemlichkeit, bald als Prototyp constitutioneller
Gesittung, bald als Ausbund roher Pöbelhaftigkeit darstellt, benahm sich von
Anfang an, als es mit dem Inhalt der päpstlichen Bulle vertraut gemacht wurde,
gerade so, wie sich in ähnlichem Falle die Massen aller Länder, in welchen eine
freie Aeußerung gestattet ist, benehmen würden: es folgte seinem Gefühle; und
dieses sagte ihm — ob mit Recht oder Unrecht, mag hier unerörtert bleiben —
daß das Geschenk von der Tiber den englischen Inseln keinen Segen bringe.
FlnHs schritt man zu theatralischen Demonstrationen aller Art gegen den Papst
und seine Cardinäle. Der Haß eines Volkes vermag sich eben so kindisch wie
blutig zu äußern. Ersteres war in England der Fall. Lange vor und nach und
am Guypwkestage sah man die komischsten Auszüge sich von Stadt zu Stadt,
vou Dorf zu Dorf bewegen; als Hauptpersonen figurirten der Papst oder Car¬
dinal Wiseman; sie mußten wie Ketzer den Flammentod sterben, und all das
Pulver- und Feuerwerksmateriale, welches bei diesen Puppenspielen verpufft wurde,
wäre genügend gewesen, am rechten Orte angewandt, ganz Italien in Brand zu
stecken. Der gemeine Mann, der kaum seinen Namen nnter eine Monstreadresse,
geschweige denn Leitartikel schreiben kann, der keine Pamphlete verfassen und bei
Meetings uicht sprechen kann, glaubte mit jeder Rakete, die er in. die Lüfte stei¬
gen ließ, seiner Königin ans Windsoreastle deutliche Botschaft zu bringen, daß
er sich mit dem neuen Kirchenlicht nicht befreunden wolle. Die Königin von Eng¬
land hat aber nie Gelegenheit, mit ihrem loyalen Volke zu sprechen. Als Frau
entbehrt sie sogar den Vortheil, bei Wachparaden den „wahren Repräsentanten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/322>, abgerufen am 24.07.2024.