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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Fäden mit der religiösen und politischen Fortentwickelung des Continents zusammen¬
hangt; ihr Ausgang wäre nichr zweifelhaft, wollte man blos die Stimmung des
englischen Volkes ins Ange fassen, ihre Folgen können dauernd und gewaltig
werden, weil es ohne Beispiel in der Geschichte dasteht, daß die römisch-katholische
Kirche sich ohne langwierigen harten Kampf von dem Boden verdrängen ließe,
den sie einmal als ihr rechtmäßiges Eigenthum zu betrachten angefangen hat.

Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage: Darf der Papst ohne Genehmi¬
gung der Königin in England geistliche Würden und Bischofssitze vertheilen?
oder besser gesagt: Darf ein Unterthan der englischen Krone ohne specielle Ge¬
nehmigung derselbe" Titel und Würde eiues Kirchenfürsten in England vom
Papste annehmen, ohne ein Hochverräther nach dem Worte des Gesetzes zu sein?
Das ist die Rechtsfrage, über welche das Parlament zu entscheiden haben
wird; und wer die Gründlichkeit der Engländer in juristisch-katholischen Streitfragen
kennen gelernt hat, wird sich mit der Schreckensahnng langweiliger Debatten gestehen
müssen, daß diese am allerwenigsten oberflächlich geführt werden dürften. Mittler¬
weile hat die Presse (mit wenigen Allsnahmen), hat das Volk ans den Meetings
seine Stimme abgegeben und die Regierung durch deu Mund Lord John Russell's
ein proviforisches Verdammungsurtheil gesprochen.

Es ist nicht die Absicht dieser Zeilen, eine juridisch begründete Allsicht über
das auszusprechen, was die Engländer mit leichter Zunge "päpstliche Uebergriffe"
(Mpiü aM-essions) nennen. Es wurden und werden noch heute so viele Bücher
über diesen Gegenstand geschrieben; es wird, wie gesagt, im Parlament darüber
so gründlich debattirt werden, daß es beinahe anmaßend wäre, jetzt schon mit
einem deutschen Fähnlein auf dem Kampfplätze zu erscheinen. Es sei hier blos
ein Bild der Bewegung entworfen, wie sie entstand, sich entfaltete und auf ihre
jetzige Höhe gelaugt ist.

Die päpstliche Bulle, welche das protestantische England in katholische Diöce-
sen theilt, kam gewiß den meisten Engländern unerwartet -- das beweist der
Schrei des Entsetzens, der noch vor kurzem durch die ganze Insel tönte -- aber
man thut der Politik jenseits der Alpen Unrecht, wenn matt die Bulle selbst als
die religiös-politische Aufwallung eiues schwergetäuschten Greises, oder als Aus¬
geburt einer momentanen Laune seiner geistlichen Rathgeber ansieht. Ebenso
wenig können wir annehmen, daß die französische Republik, ihrer bösen Stim¬
mung wegen der eigenen schiefen Stellung in der Hauptstadt der Christenheit
zum Troste, und um dem alten Todfeinde ein Kukuksei ins Nest zu legen, ihren
Einfluß dazu verwendet habe, eine religiöse Brandfackel über den Kanal zu
schlendern. Man würde mit dieser Annahme der Politik eines Louis Napoleon
zu viel Ehre erweisen, anderseits die ewige Berechnung der römischen Staats¬
weisheit zu geringe anschlagen. Der Plan war gut allsgedacht, und der Streich
war lange vorbereitet. Als es sich im Parlamente um die Emancipation der


Fäden mit der religiösen und politischen Fortentwickelung des Continents zusammen¬
hangt; ihr Ausgang wäre nichr zweifelhaft, wollte man blos die Stimmung des
englischen Volkes ins Ange fassen, ihre Folgen können dauernd und gewaltig
werden, weil es ohne Beispiel in der Geschichte dasteht, daß die römisch-katholische
Kirche sich ohne langwierigen harten Kampf von dem Boden verdrängen ließe,
den sie einmal als ihr rechtmäßiges Eigenthum zu betrachten angefangen hat.

Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage: Darf der Papst ohne Genehmi¬
gung der Königin in England geistliche Würden und Bischofssitze vertheilen?
oder besser gesagt: Darf ein Unterthan der englischen Krone ohne specielle Ge¬
nehmigung derselbe« Titel und Würde eiues Kirchenfürsten in England vom
Papste annehmen, ohne ein Hochverräther nach dem Worte des Gesetzes zu sein?
Das ist die Rechtsfrage, über welche das Parlament zu entscheiden haben
wird; und wer die Gründlichkeit der Engländer in juristisch-katholischen Streitfragen
kennen gelernt hat, wird sich mit der Schreckensahnng langweiliger Debatten gestehen
müssen, daß diese am allerwenigsten oberflächlich geführt werden dürften. Mittler¬
weile hat die Presse (mit wenigen Allsnahmen), hat das Volk ans den Meetings
seine Stimme abgegeben und die Regierung durch deu Mund Lord John Russell's
ein proviforisches Verdammungsurtheil gesprochen.

Es ist nicht die Absicht dieser Zeilen, eine juridisch begründete Allsicht über
das auszusprechen, was die Engländer mit leichter Zunge „päpstliche Uebergriffe"
(Mpiü aM-essions) nennen. Es wurden und werden noch heute so viele Bücher
über diesen Gegenstand geschrieben; es wird, wie gesagt, im Parlament darüber
so gründlich debattirt werden, daß es beinahe anmaßend wäre, jetzt schon mit
einem deutschen Fähnlein auf dem Kampfplätze zu erscheinen. Es sei hier blos
ein Bild der Bewegung entworfen, wie sie entstand, sich entfaltete und auf ihre
jetzige Höhe gelaugt ist.

Die päpstliche Bulle, welche das protestantische England in katholische Diöce-
sen theilt, kam gewiß den meisten Engländern unerwartet — das beweist der
Schrei des Entsetzens, der noch vor kurzem durch die ganze Insel tönte — aber
man thut der Politik jenseits der Alpen Unrecht, wenn matt die Bulle selbst als
die religiös-politische Aufwallung eiues schwergetäuschten Greises, oder als Aus¬
geburt einer momentanen Laune seiner geistlichen Rathgeber ansieht. Ebenso
wenig können wir annehmen, daß die französische Republik, ihrer bösen Stim¬
mung wegen der eigenen schiefen Stellung in der Hauptstadt der Christenheit
zum Troste, und um dem alten Todfeinde ein Kukuksei ins Nest zu legen, ihren
Einfluß dazu verwendet habe, eine religiöse Brandfackel über den Kanal zu
schlendern. Man würde mit dieser Annahme der Politik eines Louis Napoleon
zu viel Ehre erweisen, anderseits die ewige Berechnung der römischen Staats¬
weisheit zu geringe anschlagen. Der Plan war gut allsgedacht, und der Streich
war lange vorbereitet. Als es sich im Parlamente um die Emancipation der


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[0321] Fäden mit der religiösen und politischen Fortentwickelung des Continents zusammen¬ hangt; ihr Ausgang wäre nichr zweifelhaft, wollte man blos die Stimmung des englischen Volkes ins Ange fassen, ihre Folgen können dauernd und gewaltig werden, weil es ohne Beispiel in der Geschichte dasteht, daß die römisch-katholische Kirche sich ohne langwierigen harten Kampf von dem Boden verdrängen ließe, den sie einmal als ihr rechtmäßiges Eigenthum zu betrachten angefangen hat. Es handelt sich hier um eine Rechtsfrage: Darf der Papst ohne Genehmi¬ gung der Königin in England geistliche Würden und Bischofssitze vertheilen? oder besser gesagt: Darf ein Unterthan der englischen Krone ohne specielle Ge¬ nehmigung derselbe« Titel und Würde eiues Kirchenfürsten in England vom Papste annehmen, ohne ein Hochverräther nach dem Worte des Gesetzes zu sein? Das ist die Rechtsfrage, über welche das Parlament zu entscheiden haben wird; und wer die Gründlichkeit der Engländer in juristisch-katholischen Streitfragen kennen gelernt hat, wird sich mit der Schreckensahnng langweiliger Debatten gestehen müssen, daß diese am allerwenigsten oberflächlich geführt werden dürften. Mittler¬ weile hat die Presse (mit wenigen Allsnahmen), hat das Volk ans den Meetings seine Stimme abgegeben und die Regierung durch deu Mund Lord John Russell's ein proviforisches Verdammungsurtheil gesprochen. Es ist nicht die Absicht dieser Zeilen, eine juridisch begründete Allsicht über das auszusprechen, was die Engländer mit leichter Zunge „päpstliche Uebergriffe" (Mpiü aM-essions) nennen. Es wurden und werden noch heute so viele Bücher über diesen Gegenstand geschrieben; es wird, wie gesagt, im Parlament darüber so gründlich debattirt werden, daß es beinahe anmaßend wäre, jetzt schon mit einem deutschen Fähnlein auf dem Kampfplätze zu erscheinen. Es sei hier blos ein Bild der Bewegung entworfen, wie sie entstand, sich entfaltete und auf ihre jetzige Höhe gelaugt ist. Die päpstliche Bulle, welche das protestantische England in katholische Diöce- sen theilt, kam gewiß den meisten Engländern unerwartet — das beweist der Schrei des Entsetzens, der noch vor kurzem durch die ganze Insel tönte — aber man thut der Politik jenseits der Alpen Unrecht, wenn matt die Bulle selbst als die religiös-politische Aufwallung eiues schwergetäuschten Greises, oder als Aus¬ geburt einer momentanen Laune seiner geistlichen Rathgeber ansieht. Ebenso wenig können wir annehmen, daß die französische Republik, ihrer bösen Stim¬ mung wegen der eigenen schiefen Stellung in der Hauptstadt der Christenheit zum Troste, und um dem alten Todfeinde ein Kukuksei ins Nest zu legen, ihren Einfluß dazu verwendet habe, eine religiöse Brandfackel über den Kanal zu schlendern. Man würde mit dieser Annahme der Politik eines Louis Napoleon zu viel Ehre erweisen, anderseits die ewige Berechnung der römischen Staats¬ weisheit zu geringe anschlagen. Der Plan war gut allsgedacht, und der Streich war lange vorbereitet. Als es sich im Parlamente um die Emancipation der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/321>, abgerufen am 04.07.2024.