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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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die umfassendste Kenntniß aller Style, und neben geschmackvoller Auswahl nur
eine zum Theil überladene Anwendung und eine zu sehr vermischende Zusammen¬
stellung. Aber aus alleu reizenden und zierlichen Einzelnheiten entsteht hier --
nach meiner Auffassung wenigstens -- kein organisches, kein einheitliches Ganzes.
Wenn ich die Einfachheit der inneren Einrichtung im älteren Museum betrachte,
die langen schlichten Säle, welche wirklick) für die Kunstwerke, ihren Genuß und
ihr Studium hergerichtet worden, und blicke dann in das neue Gebäude, in
welchem die alten Werke zu Decorirnng der Architektur beinahe wurden, so kann ich
mich des Eindrucks nicht erwehren, als seien hier die alten Denkmäler der
Kunst nicht Zweck, sondern Mittel gewesen zur Ausführung des
großen Baues der Neuzeit, in welchen die ganze encyklopädistisch-
kunsthistorische Erfahrung der Gegenwart niedergelegt werden
sollte. Der Geist des Baumeisters sprudelt über in Genrebildnngen, welche
aus dem Schatze seines reichen Wissens in ihm auftauchen, die er dann episodisch
gestaltet, in den äußeren Nahmen des Bauwerks hineinträgt und aneinander¬
fügt. Er dichtet in Nhapsodieen; aber noch scheint es mir nicht, als sollte daraus
ein Homerisches Epos entstehen. Jedenfalls findet der Charakter unsrer theore-
tisirender Zeit, wenn wir in deren Unbestimmtheit noch die Eigenschaft eines
Charakters suchen dürfen, in diesem Prachtbau seinen Ausdruck und wird durch
diese Steinschrift der Nachwelt überliefert werden.




Gasparo Spontini.

Der Tod des berühmten Componisten veranlaßt uns zu einigen vorläufigen
Bemerkungen; wir behalten uus vor, noch einmal ausführlicher auf ihn zurück¬
zukommen.

Spontini war 1778 im Kirchenstaat geboren, in Neapel seit 1791 musika¬
lisch ausgebildet; hatte daselbst 1795 seiue erste Oper zur Aufführung gebracht,
und später, theils in Rom, theils in Venedig in der gewöhnlichen Schablonen¬
manier der italienischen Maestros seine Künste versucht, ohne erheblichen Erfolg,
bis er 1803, unzufrieden mit seiner bisherigen Thätigkeit, ohne officielle Auf¬
forderung nach Paris ging. Er hat später vou dieser ersten Periode seiner Thä¬
tigkeit, wie uns Hector Berlioz berichtet, mit großer Geringschätzung gesprochen,
und sie hat auch auf diejenigen Leistungen, wodurch er in der Kunstgeschichte
seine Stellung einnimmt, gar keinen Einfluß gehabt; es ist daher ziemlich über¬
flüssig, sich nach dem Meister zu erkundigen, der ihn gebildet hat, zumal da sie
sich alle einander gleichem, wie ein Wassertropfen den andern.


die umfassendste Kenntniß aller Style, und neben geschmackvoller Auswahl nur
eine zum Theil überladene Anwendung und eine zu sehr vermischende Zusammen¬
stellung. Aber aus alleu reizenden und zierlichen Einzelnheiten entsteht hier —
nach meiner Auffassung wenigstens — kein organisches, kein einheitliches Ganzes.
Wenn ich die Einfachheit der inneren Einrichtung im älteren Museum betrachte,
die langen schlichten Säle, welche wirklick) für die Kunstwerke, ihren Genuß und
ihr Studium hergerichtet worden, und blicke dann in das neue Gebäude, in
welchem die alten Werke zu Decorirnng der Architektur beinahe wurden, so kann ich
mich des Eindrucks nicht erwehren, als seien hier die alten Denkmäler der
Kunst nicht Zweck, sondern Mittel gewesen zur Ausführung des
großen Baues der Neuzeit, in welchen die ganze encyklopädistisch-
kunsthistorische Erfahrung der Gegenwart niedergelegt werden
sollte. Der Geist des Baumeisters sprudelt über in Genrebildnngen, welche
aus dem Schatze seines reichen Wissens in ihm auftauchen, die er dann episodisch
gestaltet, in den äußeren Nahmen des Bauwerks hineinträgt und aneinander¬
fügt. Er dichtet in Nhapsodieen; aber noch scheint es mir nicht, als sollte daraus
ein Homerisches Epos entstehen. Jedenfalls findet der Charakter unsrer theore-
tisirender Zeit, wenn wir in deren Unbestimmtheit noch die Eigenschaft eines
Charakters suchen dürfen, in diesem Prachtbau seinen Ausdruck und wird durch
diese Steinschrift der Nachwelt überliefert werden.




Gasparo Spontini.

Der Tod des berühmten Componisten veranlaßt uns zu einigen vorläufigen
Bemerkungen; wir behalten uus vor, noch einmal ausführlicher auf ihn zurück¬
zukommen.

Spontini war 1778 im Kirchenstaat geboren, in Neapel seit 1791 musika¬
lisch ausgebildet; hatte daselbst 1795 seiue erste Oper zur Aufführung gebracht,
und später, theils in Rom, theils in Venedig in der gewöhnlichen Schablonen¬
manier der italienischen Maestros seine Künste versucht, ohne erheblichen Erfolg,
bis er 1803, unzufrieden mit seiner bisherigen Thätigkeit, ohne officielle Auf¬
forderung nach Paris ging. Er hat später vou dieser ersten Periode seiner Thä¬
tigkeit, wie uns Hector Berlioz berichtet, mit großer Geringschätzung gesprochen,
und sie hat auch auf diejenigen Leistungen, wodurch er in der Kunstgeschichte
seine Stellung einnimmt, gar keinen Einfluß gehabt; es ist daher ziemlich über¬
flüssig, sich nach dem Meister zu erkundigen, der ihn gebildet hat, zumal da sie
sich alle einander gleichem, wie ein Wassertropfen den andern.


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[0306] die umfassendste Kenntniß aller Style, und neben geschmackvoller Auswahl nur eine zum Theil überladene Anwendung und eine zu sehr vermischende Zusammen¬ stellung. Aber aus alleu reizenden und zierlichen Einzelnheiten entsteht hier — nach meiner Auffassung wenigstens — kein organisches, kein einheitliches Ganzes. Wenn ich die Einfachheit der inneren Einrichtung im älteren Museum betrachte, die langen schlichten Säle, welche wirklick) für die Kunstwerke, ihren Genuß und ihr Studium hergerichtet worden, und blicke dann in das neue Gebäude, in welchem die alten Werke zu Decorirnng der Architektur beinahe wurden, so kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, als seien hier die alten Denkmäler der Kunst nicht Zweck, sondern Mittel gewesen zur Ausführung des großen Baues der Neuzeit, in welchen die ganze encyklopädistisch- kunsthistorische Erfahrung der Gegenwart niedergelegt werden sollte. Der Geist des Baumeisters sprudelt über in Genrebildnngen, welche aus dem Schatze seines reichen Wissens in ihm auftauchen, die er dann episodisch gestaltet, in den äußeren Nahmen des Bauwerks hineinträgt und aneinander¬ fügt. Er dichtet in Nhapsodieen; aber noch scheint es mir nicht, als sollte daraus ein Homerisches Epos entstehen. Jedenfalls findet der Charakter unsrer theore- tisirender Zeit, wenn wir in deren Unbestimmtheit noch die Eigenschaft eines Charakters suchen dürfen, in diesem Prachtbau seinen Ausdruck und wird durch diese Steinschrift der Nachwelt überliefert werden. Gasparo Spontini. Der Tod des berühmten Componisten veranlaßt uns zu einigen vorläufigen Bemerkungen; wir behalten uus vor, noch einmal ausführlicher auf ihn zurück¬ zukommen. Spontini war 1778 im Kirchenstaat geboren, in Neapel seit 1791 musika¬ lisch ausgebildet; hatte daselbst 1795 seiue erste Oper zur Aufführung gebracht, und später, theils in Rom, theils in Venedig in der gewöhnlichen Schablonen¬ manier der italienischen Maestros seine Künste versucht, ohne erheblichen Erfolg, bis er 1803, unzufrieden mit seiner bisherigen Thätigkeit, ohne officielle Auf¬ forderung nach Paris ging. Er hat später vou dieser ersten Periode seiner Thä¬ tigkeit, wie uns Hector Berlioz berichtet, mit großer Geringschätzung gesprochen, und sie hat auch auf diejenigen Leistungen, wodurch er in der Kunstgeschichte seine Stellung einnimmt, gar keinen Einfluß gehabt; es ist daher ziemlich über¬ flüssig, sich nach dem Meister zu erkundigen, der ihn gebildet hat, zumal da sie sich alle einander gleichem, wie ein Wassertropfen den andern.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/306>, abgerufen am 28.06.2024.