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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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seite gegenüber, zu welcher zu beiden Seiten der untern Treppe an den Lang¬
seiten zwei Treppen aufwärts führen, deren Stufen und Postamente gleichfalls
aus schlesischen Marmor bestehen. Oberhalb derselben werden die Kanth ach¬
schen Bilder an den beiden Langseiten des Treppenhauses ihren Platz finden,
haben ihn zum Theil schon jetzt gefunden. Der Fall Babels ist vollendet, die
Zerstörung Jerusalems, der Vollendung nahe, und ein Stück des Frieses über dem
erstgenannten Bilde läßt die graziöse Ausführung desselben ahnen. Die Be¬
trachtung der Bilder wie der in einem Saale des Obergeschosses ausgestellten
Cartons von Kaulbach muß ich auf eine spätere Gelegenheit vertagen, um nicht
in der Verfolgung meines nächsten Zweckes, der Schilderung des Gebändes, zu
sehr aufgehalten zu werden. Die Wandflächen, welche zur Aufnahme der Bilder
bestimmt sind, lassen sich von den gegenüberliegenden Treppen aus vortrefflich
übersehen, und empfangen durch die früher beschriebenen Sänleufeuster des Mittel¬
baues ein gutes Seitenlicht.

In der Mitte der oberen Gallerte, zu welcher die Treppen hinaufführen, steht
ein kleiner Tempel, in der Fayade auf vier Karyatiden ruhend, auf der Rückseite
vou vier Pfeilern getragen. Er ist eine Nachbildung des sogenannten Pandro-
seion vom Tempel des Erechtheus zu Athen, und bildet hiereine hübsch decori-
rende Bekrönung, an der ich freilich einen architektonischen Zweck nicht zu entdecken
vermochte. In gerader und einfacher Fläche steigen die Seitenwände empor,
welche das in griechischer Giebelform gebildete Dach tragen. Die Querbalken
unter letzterem liegen ohne eine Spur von Pfeilern, Kämpfergefims oder Con-
solen flach auf der Mauer auf. Der Sinn des Auges vermißt an dieser glatten
Höhe deu Ausdruck der tragenden Kraft dnrch irgend eine Gliederung, und diesen
Mangel, welcher dem sonst so schön und edel construirten Treppenhause bereits
mehrfach vorgeworfen wurde, verstärkt die dunkle Buntheit der in Blan, Noth,
Gelb und Grün bemalten Decke, die sowohl durch diese Färbung, wie dnrch
die vergoldeten Greife und sonstigen geflügelten oder nicht geflügelten Vierfüßler
phantastischer Gestalt ans den Querbalken den Eindruck der Schwere macht. Leicht
aus der Wand tretende Pilaster zwischen den größeren Gemälden würden der
Wirkung derselben schwerlich Abbruch gethan haben. Die Färbung der Decke an
sich dürfte uicht zum Widerspruche reizen; denn die Ansicht, die griechische Archi¬
tektur sei ohne Farben gewesen, und die Spuren derselben an griechischen Bau¬
werken gehörten eiuer spätern, barbarischen Zeit, ist als ein lange gehegter Irr¬
thum erkannt wordeu. Man weiß jetzt, daß die herrlichsten Gebände des
griechischen Alterthums aus der Zeit höchster Cultureutfaltung sehr kunstvoll mit
Farbenschmuck und Ornamenten verziert waren. Nur gegen das Grün würde ich
in der Farbenreihe ein antikes Fragenzeichen einlegen. Die phantastischen Thier¬
gestalten jedoch, diese Verkörperung märchenhafter Romantik, scheinen mir mit den
griechischen Formeu der entwickeltere" Kunstperioden, wie sie im Uebrigen diesen


seite gegenüber, zu welcher zu beiden Seiten der untern Treppe an den Lang¬
seiten zwei Treppen aufwärts führen, deren Stufen und Postamente gleichfalls
aus schlesischen Marmor bestehen. Oberhalb derselben werden die Kanth ach¬
schen Bilder an den beiden Langseiten des Treppenhauses ihren Platz finden,
haben ihn zum Theil schon jetzt gefunden. Der Fall Babels ist vollendet, die
Zerstörung Jerusalems, der Vollendung nahe, und ein Stück des Frieses über dem
erstgenannten Bilde läßt die graziöse Ausführung desselben ahnen. Die Be¬
trachtung der Bilder wie der in einem Saale des Obergeschosses ausgestellten
Cartons von Kaulbach muß ich auf eine spätere Gelegenheit vertagen, um nicht
in der Verfolgung meines nächsten Zweckes, der Schilderung des Gebändes, zu
sehr aufgehalten zu werden. Die Wandflächen, welche zur Aufnahme der Bilder
bestimmt sind, lassen sich von den gegenüberliegenden Treppen aus vortrefflich
übersehen, und empfangen durch die früher beschriebenen Sänleufeuster des Mittel¬
baues ein gutes Seitenlicht.

In der Mitte der oberen Gallerte, zu welcher die Treppen hinaufführen, steht
ein kleiner Tempel, in der Fayade auf vier Karyatiden ruhend, auf der Rückseite
vou vier Pfeilern getragen. Er ist eine Nachbildung des sogenannten Pandro-
seion vom Tempel des Erechtheus zu Athen, und bildet hiereine hübsch decori-
rende Bekrönung, an der ich freilich einen architektonischen Zweck nicht zu entdecken
vermochte. In gerader und einfacher Fläche steigen die Seitenwände empor,
welche das in griechischer Giebelform gebildete Dach tragen. Die Querbalken
unter letzterem liegen ohne eine Spur von Pfeilern, Kämpfergefims oder Con-
solen flach auf der Mauer auf. Der Sinn des Auges vermißt an dieser glatten
Höhe deu Ausdruck der tragenden Kraft dnrch irgend eine Gliederung, und diesen
Mangel, welcher dem sonst so schön und edel construirten Treppenhause bereits
mehrfach vorgeworfen wurde, verstärkt die dunkle Buntheit der in Blan, Noth,
Gelb und Grün bemalten Decke, die sowohl durch diese Färbung, wie dnrch
die vergoldeten Greife und sonstigen geflügelten oder nicht geflügelten Vierfüßler
phantastischer Gestalt ans den Querbalken den Eindruck der Schwere macht. Leicht
aus der Wand tretende Pilaster zwischen den größeren Gemälden würden der
Wirkung derselben schwerlich Abbruch gethan haben. Die Färbung der Decke an
sich dürfte uicht zum Widerspruche reizen; denn die Ansicht, die griechische Archi¬
tektur sei ohne Farben gewesen, und die Spuren derselben an griechischen Bau¬
werken gehörten eiuer spätern, barbarischen Zeit, ist als ein lange gehegter Irr¬
thum erkannt wordeu. Man weiß jetzt, daß die herrlichsten Gebände des
griechischen Alterthums aus der Zeit höchster Cultureutfaltung sehr kunstvoll mit
Farbenschmuck und Ornamenten verziert waren. Nur gegen das Grün würde ich
in der Farbenreihe ein antikes Fragenzeichen einlegen. Die phantastischen Thier¬
gestalten jedoch, diese Verkörperung märchenhafter Romantik, scheinen mir mit den
griechischen Formeu der entwickeltere« Kunstperioden, wie sie im Uebrigen diesen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/300>, abgerufen am 23.06.2024.