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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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wegen schlechter Ausführung eines Festuugsgewölbes, im Grunde aber wegen
verpönter Lectüre deutscher Bücher aus dem Staatsdienst entfernt wurde, sah in
dem scheuen Benehmen des Mädchens etwas Räthselhaftes, und forderte von
ihr uach dem Dorfe geleitet zu werden, dazu aber war sie selbst durch harte
Drohungen nicht zu bewegen, und erst nach langem Kampfe gab sie nach und
führte die Herren vor das Gehöft ihres Vaters. Man war natürlich höchst er¬
staunt, hier einen ganz eingerichteten Bauernhof mit Wiesen und einer recht
sauber bearbeitete" Feldfläche zu finden, von welcher nicht einmal der Herr
des Waldes etwas wußte. Da Geueral Richter gerade einen 54 Blätter starken
Atlas von Polen für den Kaiser stechen ließ, ans welchem nach Befehl auch der
kleinste Gegenstand, der unbedeutendste Weg, angegeben sein sollte, und er Po¬
len bis auf seine kleinsten Einzelnheiten zu kennen glaubte, so war ihm der
Bauernhof interessant genng, um sich für deu -- wenn auch unberechtigten --
Besitzer freundlich zu interessiren. Man zwang denselben nicht zurück in das
Dorf des Edelmanns, sondern brachte ihn in einem kaiserlichen Dorfe nnter.

Natürlich sind diese geheimen Ansiedelungen nicht immer so harmlos.

Auf einem Jahrmarkt in Stawißki geschah es, daß ein Pcchbrenner in
eine Prügelei verwickelt wurde, in der ein russischer Iufauterieuntervfsicier sein
Leben verlor. Die Vertraulichkeit zwischen den polnischen Pechbrennern und den
Zigeunern ist aufrichtig, allgemein und anerkannt, ein Polizeidiener trat deshalb als
Zigeuner verkleidet dem flüchtigen Pechbrenner in den Weg, ließ sich von ihm mit in
seine Behausung nehmen und verließ denselben am andern Tage, ohne zu einem
Mißtrauen Veranlassung zu geben. So wurde ein gefährlicher Schlupfwinkel im
Bobrzbrnch verrathen. Man sendete nun eine Abtheilung Fnßgensdarmerie mit
einer Begleitung von Soldaten ab.

Die Niederlassung des Pcchbrenners lag ungefähr drei Meilen tief im Walde
ans einer erhabenen Stelle des Bodens, wo der Laubwald mit Nadelholz ge¬
mischt ist. Man sah, daß der unberechtigte Kolonist seit vielen Jahren hier sein
Handwerk recht emsig getrieben haben mußte. Ungeheure Haufen von Kienholz
standen da des Brandes gewärtig, und viele Hunderte von Baumstümpfen be¬
wiesen, wie viele der herrlichsten Stämme dem Freibeuter bereits ihren harzigen
Saft hatten hergeben müssen. Als man dem Grundherrn, einem lithauischen
Edelmann, Meldung erstattete, äußerte er sehr ruhig: " solche unbekannte Un¬
terthanen mag ich vielleicht in diesen Wäldern noch mehr besitzen." Die Nie¬
derlassung bestand ans einer großen Hütte von dickem Ruthengcflecht, an welchem
empor außerhalb Lehm bis zum Schilfdache aufgeschichtet war. Uuter der Hütte
in der Erde fand man ein ebenso großes Local zur Aufbewahrung von gestohle¬
nen Sachen. Der Fang war sehr ansehnlich, Man fand in dem oberen Raume
der Hütte Frau und Kiuder des Pechbrenners, in dem unteren den Pech¬
brenner selbst, eine ganze Horde von Zigeunern, zwei junge Bauern, die irgend


wegen schlechter Ausführung eines Festuugsgewölbes, im Grunde aber wegen
verpönter Lectüre deutscher Bücher aus dem Staatsdienst entfernt wurde, sah in
dem scheuen Benehmen des Mädchens etwas Räthselhaftes, und forderte von
ihr uach dem Dorfe geleitet zu werden, dazu aber war sie selbst durch harte
Drohungen nicht zu bewegen, und erst nach langem Kampfe gab sie nach und
führte die Herren vor das Gehöft ihres Vaters. Man war natürlich höchst er¬
staunt, hier einen ganz eingerichteten Bauernhof mit Wiesen und einer recht
sauber bearbeitete» Feldfläche zu finden, von welcher nicht einmal der Herr
des Waldes etwas wußte. Da Geueral Richter gerade einen 54 Blätter starken
Atlas von Polen für den Kaiser stechen ließ, ans welchem nach Befehl auch der
kleinste Gegenstand, der unbedeutendste Weg, angegeben sein sollte, und er Po¬
len bis auf seine kleinsten Einzelnheiten zu kennen glaubte, so war ihm der
Bauernhof interessant genng, um sich für deu — wenn auch unberechtigten —
Besitzer freundlich zu interessiren. Man zwang denselben nicht zurück in das
Dorf des Edelmanns, sondern brachte ihn in einem kaiserlichen Dorfe nnter.

Natürlich sind diese geheimen Ansiedelungen nicht immer so harmlos.

Auf einem Jahrmarkt in Stawißki geschah es, daß ein Pcchbrenner in
eine Prügelei verwickelt wurde, in der ein russischer Iufauterieuntervfsicier sein
Leben verlor. Die Vertraulichkeit zwischen den polnischen Pechbrennern und den
Zigeunern ist aufrichtig, allgemein und anerkannt, ein Polizeidiener trat deshalb als
Zigeuner verkleidet dem flüchtigen Pechbrenner in den Weg, ließ sich von ihm mit in
seine Behausung nehmen und verließ denselben am andern Tage, ohne zu einem
Mißtrauen Veranlassung zu geben. So wurde ein gefährlicher Schlupfwinkel im
Bobrzbrnch verrathen. Man sendete nun eine Abtheilung Fnßgensdarmerie mit
einer Begleitung von Soldaten ab.

Die Niederlassung des Pcchbrenners lag ungefähr drei Meilen tief im Walde
ans einer erhabenen Stelle des Bodens, wo der Laubwald mit Nadelholz ge¬
mischt ist. Man sah, daß der unberechtigte Kolonist seit vielen Jahren hier sein
Handwerk recht emsig getrieben haben mußte. Ungeheure Haufen von Kienholz
standen da des Brandes gewärtig, und viele Hunderte von Baumstümpfen be¬
wiesen, wie viele der herrlichsten Stämme dem Freibeuter bereits ihren harzigen
Saft hatten hergeben müssen. Als man dem Grundherrn, einem lithauischen
Edelmann, Meldung erstattete, äußerte er sehr ruhig: „ solche unbekannte Un¬
terthanen mag ich vielleicht in diesen Wäldern noch mehr besitzen." Die Nie¬
derlassung bestand ans einer großen Hütte von dickem Ruthengcflecht, an welchem
empor außerhalb Lehm bis zum Schilfdache aufgeschichtet war. Uuter der Hütte
in der Erde fand man ein ebenso großes Local zur Aufbewahrung von gestohle¬
nen Sachen. Der Fang war sehr ansehnlich, Man fand in dem oberen Raume
der Hütte Frau und Kiuder des Pechbrenners, in dem unteren den Pech¬
brenner selbst, eine ganze Horde von Zigeunern, zwei junge Bauern, die irgend


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[0281] wegen schlechter Ausführung eines Festuugsgewölbes, im Grunde aber wegen verpönter Lectüre deutscher Bücher aus dem Staatsdienst entfernt wurde, sah in dem scheuen Benehmen des Mädchens etwas Räthselhaftes, und forderte von ihr uach dem Dorfe geleitet zu werden, dazu aber war sie selbst durch harte Drohungen nicht zu bewegen, und erst nach langem Kampfe gab sie nach und führte die Herren vor das Gehöft ihres Vaters. Man war natürlich höchst er¬ staunt, hier einen ganz eingerichteten Bauernhof mit Wiesen und einer recht sauber bearbeitete» Feldfläche zu finden, von welcher nicht einmal der Herr des Waldes etwas wußte. Da Geueral Richter gerade einen 54 Blätter starken Atlas von Polen für den Kaiser stechen ließ, ans welchem nach Befehl auch der kleinste Gegenstand, der unbedeutendste Weg, angegeben sein sollte, und er Po¬ len bis auf seine kleinsten Einzelnheiten zu kennen glaubte, so war ihm der Bauernhof interessant genng, um sich für deu — wenn auch unberechtigten — Besitzer freundlich zu interessiren. Man zwang denselben nicht zurück in das Dorf des Edelmanns, sondern brachte ihn in einem kaiserlichen Dorfe nnter. Natürlich sind diese geheimen Ansiedelungen nicht immer so harmlos. Auf einem Jahrmarkt in Stawißki geschah es, daß ein Pcchbrenner in eine Prügelei verwickelt wurde, in der ein russischer Iufauterieuntervfsicier sein Leben verlor. Die Vertraulichkeit zwischen den polnischen Pechbrennern und den Zigeunern ist aufrichtig, allgemein und anerkannt, ein Polizeidiener trat deshalb als Zigeuner verkleidet dem flüchtigen Pechbrenner in den Weg, ließ sich von ihm mit in seine Behausung nehmen und verließ denselben am andern Tage, ohne zu einem Mißtrauen Veranlassung zu geben. So wurde ein gefährlicher Schlupfwinkel im Bobrzbrnch verrathen. Man sendete nun eine Abtheilung Fnßgensdarmerie mit einer Begleitung von Soldaten ab. Die Niederlassung des Pcchbrenners lag ungefähr drei Meilen tief im Walde ans einer erhabenen Stelle des Bodens, wo der Laubwald mit Nadelholz ge¬ mischt ist. Man sah, daß der unberechtigte Kolonist seit vielen Jahren hier sein Handwerk recht emsig getrieben haben mußte. Ungeheure Haufen von Kienholz standen da des Brandes gewärtig, und viele Hunderte von Baumstümpfen be¬ wiesen, wie viele der herrlichsten Stämme dem Freibeuter bereits ihren harzigen Saft hatten hergeben müssen. Als man dem Grundherrn, einem lithauischen Edelmann, Meldung erstattete, äußerte er sehr ruhig: „ solche unbekannte Un¬ terthanen mag ich vielleicht in diesen Wäldern noch mehr besitzen." Die Nie¬ derlassung bestand ans einer großen Hütte von dickem Ruthengcflecht, an welchem empor außerhalb Lehm bis zum Schilfdache aufgeschichtet war. Uuter der Hütte in der Erde fand man ein ebenso großes Local zur Aufbewahrung von gestohle¬ nen Sachen. Der Fang war sehr ansehnlich, Man fand in dem oberen Raume der Hütte Frau und Kiuder des Pechbrenners, in dem unteren den Pech¬ brenner selbst, eine ganze Horde von Zigeunern, zwei junge Bauern, die irgend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/281>, abgerufen am 23.06.2024.