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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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nach Petersburg führende Straße unterhalb des Szaluiski-Bruches förmlich be¬
lagerte. Die Baude hatte einst drei aufgefangene Officiere nicht blos er¬
mordet, sondern auch an einem Baume am Wege aufgehangen und unter ihren
Füßen die Brilschka verkehrt aufgestellt.

Unter den Flüchtlingen, welche in den Waldwildnissen ein Asyl suchen, sind
die Jünglinge, welche aus Furcht vor dem Soldatenstande fliehen, wegen ihrer Ju¬
gend am meisten zu beklagen. Im I. 1842 entdeckte man in einer sumpfigen Wald-
wildniß, welche vom Wieprzflnß durchströmt wird, fünf solche Leute. Sie hatten
an zwei Jahre in dem Walde gelebt und sich nach Umständen ziemlich gut einge¬
richtet, waren aber doch von Hunger und Angst fast aufgezehrt worden. Als sie
von dem Grundbesitzer, dessen Name hier verschwiegen werden muß, gesunden
wurden, erstach sich einer der armseligen Burschen mit seinem Messer, die anderen
baten herzbrechend, sie den Militärbehörden nicht zu verrathen. Es geschah auch
nicht, sie wurden fortgeschmuggelt. -- Feruer aber, seit die Einrichtung getroffen
ist, daß die Grundbesitzer keinen Bauer aufnehmen dürfen, der nicht von
seinem früheren Herrn ein Zeugniß vorlegen kann, bleibt manchem Bauer kein
Mittel als der öde Wald übrig, um sich der unerträglichen Tyrannei seines alten
Grundherrn zu entziehen. Man hat keinen Begriff von der barbarischen Be¬
handlung, zu der sich manche Edelleute berechtigt glauben und wegen welcher sie von
den russischen Behörden sehr selten zur Rechenschaft gezogen werden.

Durch deu General Richter wende bei den trigonometrischen Vermessungen
behuf der Fortificatiou Polens vor mehreren Jahren eine Ansiedelung in der Wild-
niß eines Waldes im Gubernium Ludim entdeckt, welche nicht weniger als 13
Jahre lang bestanden hatte, ohne daß irgend Jemand von ihr die geringste Notiz
genommen hätte. Ein Bauer, Namens Josua Bentak, hatte nämlich eine Heerde
seines Edelmanns, dessen Name Wsieklica ist, zu Schaden kommen lassen,
und floh in der Nacht, um von seinem gestrengen Herrn nicht todtgeschlagen
zu werden, wie einem andern Bauer bei anderer Gelegenheit geschehen war. Bei
dunkler Nacht kehrte er in das Dorf zurück, nahm Fran, Kinder, Vieh und Geschirr
und zog damit in die Wildniß. Hier richtete er sich eine Wiese und Feldfläche
ein, so groß als sie für die Erhaltung seiner Familie nöthig war, baute sich
eine Hütte, Stall, Scheuer und lebte hier verschollen ein wahres Urwaldleben.
Die Ingenieure des Generals Richter fanden bei der Absteckung eines Wald¬
durchschnittes gegen die Festung Zamosc hin ein Mädchen des Baners beim Sam¬
meln von Birkensaft. Die Kleine floh wie vor Geistern, und als sie ergriffen
wurde, behauptete sie, aus einem Dorfe zu sein, aber sie wußte keinen Namen^
Capitän von D., ein gebildeter, ja gelehrter Kurländer, der später angeblich



Dieser Name bedeutet "toller Hund," und gehört gewiß zu den häßlichsten Namen,
welche von Menschen geführt werden. Man findet mehrere Edelleute dieses Namens in den
Gubernien Ludim und Sandomir.

nach Petersburg führende Straße unterhalb des Szaluiski-Bruches förmlich be¬
lagerte. Die Baude hatte einst drei aufgefangene Officiere nicht blos er¬
mordet, sondern auch an einem Baume am Wege aufgehangen und unter ihren
Füßen die Brilschka verkehrt aufgestellt.

Unter den Flüchtlingen, welche in den Waldwildnissen ein Asyl suchen, sind
die Jünglinge, welche aus Furcht vor dem Soldatenstande fliehen, wegen ihrer Ju¬
gend am meisten zu beklagen. Im I. 1842 entdeckte man in einer sumpfigen Wald-
wildniß, welche vom Wieprzflnß durchströmt wird, fünf solche Leute. Sie hatten
an zwei Jahre in dem Walde gelebt und sich nach Umständen ziemlich gut einge¬
richtet, waren aber doch von Hunger und Angst fast aufgezehrt worden. Als sie
von dem Grundbesitzer, dessen Name hier verschwiegen werden muß, gesunden
wurden, erstach sich einer der armseligen Burschen mit seinem Messer, die anderen
baten herzbrechend, sie den Militärbehörden nicht zu verrathen. Es geschah auch
nicht, sie wurden fortgeschmuggelt. — Feruer aber, seit die Einrichtung getroffen
ist, daß die Grundbesitzer keinen Bauer aufnehmen dürfen, der nicht von
seinem früheren Herrn ein Zeugniß vorlegen kann, bleibt manchem Bauer kein
Mittel als der öde Wald übrig, um sich der unerträglichen Tyrannei seines alten
Grundherrn zu entziehen. Man hat keinen Begriff von der barbarischen Be¬
handlung, zu der sich manche Edelleute berechtigt glauben und wegen welcher sie von
den russischen Behörden sehr selten zur Rechenschaft gezogen werden.

Durch deu General Richter wende bei den trigonometrischen Vermessungen
behuf der Fortificatiou Polens vor mehreren Jahren eine Ansiedelung in der Wild-
niß eines Waldes im Gubernium Ludim entdeckt, welche nicht weniger als 13
Jahre lang bestanden hatte, ohne daß irgend Jemand von ihr die geringste Notiz
genommen hätte. Ein Bauer, Namens Josua Bentak, hatte nämlich eine Heerde
seines Edelmanns, dessen Name Wsieklica ist, zu Schaden kommen lassen,
und floh in der Nacht, um von seinem gestrengen Herrn nicht todtgeschlagen
zu werden, wie einem andern Bauer bei anderer Gelegenheit geschehen war. Bei
dunkler Nacht kehrte er in das Dorf zurück, nahm Fran, Kinder, Vieh und Geschirr
und zog damit in die Wildniß. Hier richtete er sich eine Wiese und Feldfläche
ein, so groß als sie für die Erhaltung seiner Familie nöthig war, baute sich
eine Hütte, Stall, Scheuer und lebte hier verschollen ein wahres Urwaldleben.
Die Ingenieure des Generals Richter fanden bei der Absteckung eines Wald¬
durchschnittes gegen die Festung Zamosc hin ein Mädchen des Baners beim Sam¬
meln von Birkensaft. Die Kleine floh wie vor Geistern, und als sie ergriffen
wurde, behauptete sie, aus einem Dorfe zu sein, aber sie wußte keinen Namen^
Capitän von D., ein gebildeter, ja gelehrter Kurländer, der später angeblich



Dieser Name bedeutet „toller Hund," und gehört gewiß zu den häßlichsten Namen,
welche von Menschen geführt werden. Man findet mehrere Edelleute dieses Namens in den
Gubernien Ludim und Sandomir.
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[0280] nach Petersburg führende Straße unterhalb des Szaluiski-Bruches förmlich be¬ lagerte. Die Baude hatte einst drei aufgefangene Officiere nicht blos er¬ mordet, sondern auch an einem Baume am Wege aufgehangen und unter ihren Füßen die Brilschka verkehrt aufgestellt. Unter den Flüchtlingen, welche in den Waldwildnissen ein Asyl suchen, sind die Jünglinge, welche aus Furcht vor dem Soldatenstande fliehen, wegen ihrer Ju¬ gend am meisten zu beklagen. Im I. 1842 entdeckte man in einer sumpfigen Wald- wildniß, welche vom Wieprzflnß durchströmt wird, fünf solche Leute. Sie hatten an zwei Jahre in dem Walde gelebt und sich nach Umständen ziemlich gut einge¬ richtet, waren aber doch von Hunger und Angst fast aufgezehrt worden. Als sie von dem Grundbesitzer, dessen Name hier verschwiegen werden muß, gesunden wurden, erstach sich einer der armseligen Burschen mit seinem Messer, die anderen baten herzbrechend, sie den Militärbehörden nicht zu verrathen. Es geschah auch nicht, sie wurden fortgeschmuggelt. — Feruer aber, seit die Einrichtung getroffen ist, daß die Grundbesitzer keinen Bauer aufnehmen dürfen, der nicht von seinem früheren Herrn ein Zeugniß vorlegen kann, bleibt manchem Bauer kein Mittel als der öde Wald übrig, um sich der unerträglichen Tyrannei seines alten Grundherrn zu entziehen. Man hat keinen Begriff von der barbarischen Be¬ handlung, zu der sich manche Edelleute berechtigt glauben und wegen welcher sie von den russischen Behörden sehr selten zur Rechenschaft gezogen werden. Durch deu General Richter wende bei den trigonometrischen Vermessungen behuf der Fortificatiou Polens vor mehreren Jahren eine Ansiedelung in der Wild- niß eines Waldes im Gubernium Ludim entdeckt, welche nicht weniger als 13 Jahre lang bestanden hatte, ohne daß irgend Jemand von ihr die geringste Notiz genommen hätte. Ein Bauer, Namens Josua Bentak, hatte nämlich eine Heerde seines Edelmanns, dessen Name Wsieklica ist, zu Schaden kommen lassen, und floh in der Nacht, um von seinem gestrengen Herrn nicht todtgeschlagen zu werden, wie einem andern Bauer bei anderer Gelegenheit geschehen war. Bei dunkler Nacht kehrte er in das Dorf zurück, nahm Fran, Kinder, Vieh und Geschirr und zog damit in die Wildniß. Hier richtete er sich eine Wiese und Feldfläche ein, so groß als sie für die Erhaltung seiner Familie nöthig war, baute sich eine Hütte, Stall, Scheuer und lebte hier verschollen ein wahres Urwaldleben. Die Ingenieure des Generals Richter fanden bei der Absteckung eines Wald¬ durchschnittes gegen die Festung Zamosc hin ein Mädchen des Baners beim Sam¬ meln von Birkensaft. Die Kleine floh wie vor Geistern, und als sie ergriffen wurde, behauptete sie, aus einem Dorfe zu sein, aber sie wußte keinen Namen^ Capitän von D., ein gebildeter, ja gelehrter Kurländer, der später angeblich Dieser Name bedeutet „toller Hund," und gehört gewiß zu den häßlichsten Namen, welche von Menschen geführt werden. Man findet mehrere Edelleute dieses Namens in den Gubernien Ludim und Sandomir.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/280>, abgerufen am 23.06.2024.