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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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und die langen Moosbärte der Waldbänme glänzten röthlich im Schein der ver¬
glühenden Holzkloben.

Erst gegen Mittag am nächsten Tage kamen wir mit zerrissenen Kleidern,
beschmutzt, hungrig und todtmüde in Haust an, wo unser Wagen uus erwartete.
Der Riese war reichlich beschenkt nach seiner Hütte zurückgekehrt.

Es scheint unglaublich, daß in der Nähe bewohnter Orte sich Menschen
jahrelang im Walde verbergen können, ohne daß der Grundbesitzer, eine Behörde
oder sonst Jemand eine Ahnung davon hat. Ein Grund davon ist der Aber¬
glaube der Landleute. In den Waldwildnissen wohnen für den polnischen Bauer
gefährliche Geister, vorzüglich höllische; und die Geistlichen unterstützen diesen
Aberglauben, um die Tenfelserscheinnngen geschickt wieder irgend wohin ent¬
schlüpfen zu lassen, die sie von Zeit zu Zeit den Leuten vorlügen, damit diese
zu Messen für die verstorbenen Angehörigen bewegt werden. Die alten
Sarmaten schichteten zum Andenken an vornehme Verstorbene vor ihren Dörfern
birnenförmige, ziemlich hohe Hügel auf. Viele vou diesen Hügeln siud uoch bellte
vorhanden. Da durch die Tataren viele polnische Dörfer gänzlich vernichtet wur¬
den und ihre Stätten allmälig bewaldeten, so sendet man viele dieser uralten
Grabhügel im Walde. Einen Wald aber, der solche Hügel enthält, fürchtet der
Bauer wie die Hölle selbst, er treibt sein Vieh nicht hinein lind betritt ihn nicht.
Heißt doch ein solcher Hügel gorka e^artou, Geisterhügel, und ist selbst vielen
Edelleuten Gegenstand des Gralleus. Die Bauern siud übrigens der Allsicht,
daß sie in der Zwölfzahl vor den Geistern geschützt sind, und wagen daher bis¬
weilen ni solcher Anzahl zur Mitternachtsstunde die alten Todtenhügel anzugreifen
lind zu unterwühlen; denn nicht blos Geister, sondern auch Schätze sitzen in den¬
selben. Durch diese Schatzgräberei ist zuweilen etwas Werthvolleö zu Tage ge¬
kommen, z. B. unfern Palawy alterthümliche Pferdegebisse und ein schwerer kup-
ferner Schild, der mit Pserdegestalteu vou freilich sehr steifer und roher Zeichnung
geschmückt war.

Auch deshalb sind die Wälder Schutzorte fast aller Flüchtlinge, welche das
Tageslicht und das Auge der Behörden oder ihrer Landsleute scheuen müssen.
Die Zigeuner halten in ihnen ihr Winterlager. Ihre zahlreichen Horden bringen
dann einiges Leben ni diese traurigen Oeden, die dnrch die Kälte der rauhen
Jahreszeit zugänglicher werde". Ist es deu Zigeunern aber möglich, noch zur
milden Herbstzeit in die Waldgebirge des Guberniums Krakau und Galiziens zu
gelangen, so verzichten sie gern auf das Lager in den sumpfigen Wäldern Pod-
lachiens, wo wegen der Seltenheit und Armuth der Ortschaften ihr Diebsgewerbe,
welches anch zur Winterzeit emsig getrieben wird, keinen reichen Ertrag geben kann.

Die gefährlichsten Einsiedler sind die russischen Soldaten, welche desertiren.
Eine Bande von zehn bis zwölf Deserteuren hielt sich lange Zeit in den augusto-
woschen Wäldern zum Schrecken der reisenden russischen Officiere, da sie die


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und die langen Moosbärte der Waldbänme glänzten röthlich im Schein der ver¬
glühenden Holzkloben.

Erst gegen Mittag am nächsten Tage kamen wir mit zerrissenen Kleidern,
beschmutzt, hungrig und todtmüde in Haust an, wo unser Wagen uus erwartete.
Der Riese war reichlich beschenkt nach seiner Hütte zurückgekehrt.

Es scheint unglaublich, daß in der Nähe bewohnter Orte sich Menschen
jahrelang im Walde verbergen können, ohne daß der Grundbesitzer, eine Behörde
oder sonst Jemand eine Ahnung davon hat. Ein Grund davon ist der Aber¬
glaube der Landleute. In den Waldwildnissen wohnen für den polnischen Bauer
gefährliche Geister, vorzüglich höllische; und die Geistlichen unterstützen diesen
Aberglauben, um die Tenfelserscheinnngen geschickt wieder irgend wohin ent¬
schlüpfen zu lassen, die sie von Zeit zu Zeit den Leuten vorlügen, damit diese
zu Messen für die verstorbenen Angehörigen bewegt werden. Die alten
Sarmaten schichteten zum Andenken an vornehme Verstorbene vor ihren Dörfern
birnenförmige, ziemlich hohe Hügel auf. Viele vou diesen Hügeln siud uoch bellte
vorhanden. Da durch die Tataren viele polnische Dörfer gänzlich vernichtet wur¬
den und ihre Stätten allmälig bewaldeten, so sendet man viele dieser uralten
Grabhügel im Walde. Einen Wald aber, der solche Hügel enthält, fürchtet der
Bauer wie die Hölle selbst, er treibt sein Vieh nicht hinein lind betritt ihn nicht.
Heißt doch ein solcher Hügel gorka e^artou, Geisterhügel, und ist selbst vielen
Edelleuten Gegenstand des Gralleus. Die Bauern siud übrigens der Allsicht,
daß sie in der Zwölfzahl vor den Geistern geschützt sind, und wagen daher bis¬
weilen ni solcher Anzahl zur Mitternachtsstunde die alten Todtenhügel anzugreifen
lind zu unterwühlen; denn nicht blos Geister, sondern auch Schätze sitzen in den¬
selben. Durch diese Schatzgräberei ist zuweilen etwas Werthvolleö zu Tage ge¬
kommen, z. B. unfern Palawy alterthümliche Pferdegebisse und ein schwerer kup-
ferner Schild, der mit Pserdegestalteu vou freilich sehr steifer und roher Zeichnung
geschmückt war.

Auch deshalb sind die Wälder Schutzorte fast aller Flüchtlinge, welche das
Tageslicht und das Auge der Behörden oder ihrer Landsleute scheuen müssen.
Die Zigeuner halten in ihnen ihr Winterlager. Ihre zahlreichen Horden bringen
dann einiges Leben ni diese traurigen Oeden, die dnrch die Kälte der rauhen
Jahreszeit zugänglicher werde«. Ist es deu Zigeunern aber möglich, noch zur
milden Herbstzeit in die Waldgebirge des Guberniums Krakau und Galiziens zu
gelangen, so verzichten sie gern auf das Lager in den sumpfigen Wäldern Pod-
lachiens, wo wegen der Seltenheit und Armuth der Ortschaften ihr Diebsgewerbe,
welches anch zur Winterzeit emsig getrieben wird, keinen reichen Ertrag geben kann.

Die gefährlichsten Einsiedler sind die russischen Soldaten, welche desertiren.
Eine Bande von zehn bis zwölf Deserteuren hielt sich lange Zeit in den augusto-
woschen Wäldern zum Schrecken der reisenden russischen Officiere, da sie die


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[0279] und die langen Moosbärte der Waldbänme glänzten röthlich im Schein der ver¬ glühenden Holzkloben. Erst gegen Mittag am nächsten Tage kamen wir mit zerrissenen Kleidern, beschmutzt, hungrig und todtmüde in Haust an, wo unser Wagen uus erwartete. Der Riese war reichlich beschenkt nach seiner Hütte zurückgekehrt. Es scheint unglaublich, daß in der Nähe bewohnter Orte sich Menschen jahrelang im Walde verbergen können, ohne daß der Grundbesitzer, eine Behörde oder sonst Jemand eine Ahnung davon hat. Ein Grund davon ist der Aber¬ glaube der Landleute. In den Waldwildnissen wohnen für den polnischen Bauer gefährliche Geister, vorzüglich höllische; und die Geistlichen unterstützen diesen Aberglauben, um die Tenfelserscheinnngen geschickt wieder irgend wohin ent¬ schlüpfen zu lassen, die sie von Zeit zu Zeit den Leuten vorlügen, damit diese zu Messen für die verstorbenen Angehörigen bewegt werden. Die alten Sarmaten schichteten zum Andenken an vornehme Verstorbene vor ihren Dörfern birnenförmige, ziemlich hohe Hügel auf. Viele vou diesen Hügeln siud uoch bellte vorhanden. Da durch die Tataren viele polnische Dörfer gänzlich vernichtet wur¬ den und ihre Stätten allmälig bewaldeten, so sendet man viele dieser uralten Grabhügel im Walde. Einen Wald aber, der solche Hügel enthält, fürchtet der Bauer wie die Hölle selbst, er treibt sein Vieh nicht hinein lind betritt ihn nicht. Heißt doch ein solcher Hügel gorka e^artou, Geisterhügel, und ist selbst vielen Edelleuten Gegenstand des Gralleus. Die Bauern siud übrigens der Allsicht, daß sie in der Zwölfzahl vor den Geistern geschützt sind, und wagen daher bis¬ weilen ni solcher Anzahl zur Mitternachtsstunde die alten Todtenhügel anzugreifen lind zu unterwühlen; denn nicht blos Geister, sondern auch Schätze sitzen in den¬ selben. Durch diese Schatzgräberei ist zuweilen etwas Werthvolleö zu Tage ge¬ kommen, z. B. unfern Palawy alterthümliche Pferdegebisse und ein schwerer kup- ferner Schild, der mit Pserdegestalteu vou freilich sehr steifer und roher Zeichnung geschmückt war. Auch deshalb sind die Wälder Schutzorte fast aller Flüchtlinge, welche das Tageslicht und das Auge der Behörden oder ihrer Landsleute scheuen müssen. Die Zigeuner halten in ihnen ihr Winterlager. Ihre zahlreichen Horden bringen dann einiges Leben ni diese traurigen Oeden, die dnrch die Kälte der rauhen Jahreszeit zugänglicher werde«. Ist es deu Zigeunern aber möglich, noch zur milden Herbstzeit in die Waldgebirge des Guberniums Krakau und Galiziens zu gelangen, so verzichten sie gern auf das Lager in den sumpfigen Wäldern Pod- lachiens, wo wegen der Seltenheit und Armuth der Ortschaften ihr Diebsgewerbe, welches anch zur Winterzeit emsig getrieben wird, keinen reichen Ertrag geben kann. Die gefährlichsten Einsiedler sind die russischen Soldaten, welche desertiren. Eine Bande von zehn bis zwölf Deserteuren hielt sich lange Zeit in den augusto- woschen Wäldern zum Schrecken der reisenden russischen Officiere, da sie die 34*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/279>, abgerufen am 23.06.2024.