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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Menge sehr schöner Wurzeln und Pilze hier, alle Augenblicke läuft uns ein Stück
Vieh zU; (Hoho! brummte der Förster,) uur unser Brod und den Branntwein
vermissen wir mit Schmerzen. Gestört find wir niemals durch Jemand worden.
Sie "erlauchte" Hasmv) Herren find die ersten Fremden, die wir hier bei uns
sehen, und Sie werdeu uus doch wohl nichts Böses thun wollen, da wir zwar
"NosKgl^," Moskowiter, aber gute Leute sind, Niemandem etwas thun, und auch,
sobald es angeht, wieder nach Rußland zurückwandern wollen."

Diesen idyllischen Lebenslauf trug der Riese mit dem Bart mit großem An¬
stand und nicht ohne Behagen theils vor der Hütte, theils auf dem Wege vor.
Wir rasteten wohl eine Stunde neben der Schaukel und dem Muttergottesbild
und erwarteten vergeblich die Rückkehr der Herren, welche uns das Mittagsmahl
fortgetragen hatten. Wahrscheinlich waren sie nicht weit entfernt. Die Bauern
benutzten diese Muße, sich in der Stille reichlich zu bekreuzigen, und der Förster
erlaubte sich respectvoll, uns anch die kleinste Spur von gesundem Menschenver-
stand abzusprechen. Endlich entschlossen sich meine Polen, den anziehenden Auf¬
enthalt zu verlassen. "Du wirst uns führen, Dn kennst einen Weg nach Haust,"
befahl Kasimir dem Bärtigen; dieser verneigte sich gehorsam, ergriff seinen Knüttel,
und marschirte voran; die Sache war sür slavische Naturen ganz in der Ord¬
nung. Mit großer Gemüthlichkeit gingen meine Polen hinter dem Kazapen her,
sie fanden den Strolch höchst liebenswürdig und waren auf dem besten Wege,
ein recht herzliches Zutrauen zu ihm zu fassen. Und der Bursch selbst war
offenbar geschmeichelt und entzückt, so liebenswürdige Herren zu führen. Auch
das war national. Der Kerl war ein Räuber, und ich glaube nicht, daß das
Gewissen ihn nnter Umständen an irgend einer schwarzen That verhindert hätte.
Aber für ächte Slaven waren diese Umstände jetzt nicht vorhanden, und sogleich
war er ein gefälliger, höflicher, ja gutmüthiger Mensch. Ich schritt hinterher
ungefähr in derselben aufsätzigen Stimmung, wie Trinknlo im Sommernachtstraum
hinter dem Kaliban und dem Kellermeister: Höchst lumpige, nichtswürdige Unge¬
heuer, die so pünktlich Ordre pariren!

Aber der neue Führer kannte den Weg, wir kamen schnell vorwärts und
strauchelten noch im Mondenlicht über Baumwurzeln und Schilfstengel. Endlich
anfeiner hohen und lichten Stelle ward Halt gemacht, der Riese und die Bauern
zündeten ein unmäßiges Feuer an, wir rollten unsere Bouruous auf und lagerten
uns um die Flamme; die Hälfte wachte, die Hälfte schlief, wenigstens war so aus¬
gemacht; zuletzt aber schliefen wir alle, denn als ich im Morgeugrau durch den
Frost erweckt wurde und mich ans meinem Mantel wickelte, war das Feuer nie¬
dergebrannt, und um mich lag Alles friedlich neben einander, Russe und Pole,
Graf und Bauer, Strauchdieb und Reisender; am Himmel standen noch die
Sterne, hinten im Gebüsch rauschte das Laub und klang das Knurren der Bestien,


Menge sehr schöner Wurzeln und Pilze hier, alle Augenblicke läuft uns ein Stück
Vieh zU; (Hoho! brummte der Förster,) uur unser Brod und den Branntwein
vermissen wir mit Schmerzen. Gestört find wir niemals durch Jemand worden.
Sie „erlauchte" Hasmv) Herren find die ersten Fremden, die wir hier bei uns
sehen, und Sie werdeu uus doch wohl nichts Böses thun wollen, da wir zwar
„NosKgl^," Moskowiter, aber gute Leute sind, Niemandem etwas thun, und auch,
sobald es angeht, wieder nach Rußland zurückwandern wollen."

Diesen idyllischen Lebenslauf trug der Riese mit dem Bart mit großem An¬
stand und nicht ohne Behagen theils vor der Hütte, theils auf dem Wege vor.
Wir rasteten wohl eine Stunde neben der Schaukel und dem Muttergottesbild
und erwarteten vergeblich die Rückkehr der Herren, welche uns das Mittagsmahl
fortgetragen hatten. Wahrscheinlich waren sie nicht weit entfernt. Die Bauern
benutzten diese Muße, sich in der Stille reichlich zu bekreuzigen, und der Förster
erlaubte sich respectvoll, uns anch die kleinste Spur von gesundem Menschenver-
stand abzusprechen. Endlich entschlossen sich meine Polen, den anziehenden Auf¬
enthalt zu verlassen. „Du wirst uns führen, Dn kennst einen Weg nach Haust,"
befahl Kasimir dem Bärtigen; dieser verneigte sich gehorsam, ergriff seinen Knüttel,
und marschirte voran; die Sache war sür slavische Naturen ganz in der Ord¬
nung. Mit großer Gemüthlichkeit gingen meine Polen hinter dem Kazapen her,
sie fanden den Strolch höchst liebenswürdig und waren auf dem besten Wege,
ein recht herzliches Zutrauen zu ihm zu fassen. Und der Bursch selbst war
offenbar geschmeichelt und entzückt, so liebenswürdige Herren zu führen. Auch
das war national. Der Kerl war ein Räuber, und ich glaube nicht, daß das
Gewissen ihn nnter Umständen an irgend einer schwarzen That verhindert hätte.
Aber für ächte Slaven waren diese Umstände jetzt nicht vorhanden, und sogleich
war er ein gefälliger, höflicher, ja gutmüthiger Mensch. Ich schritt hinterher
ungefähr in derselben aufsätzigen Stimmung, wie Trinknlo im Sommernachtstraum
hinter dem Kaliban und dem Kellermeister: Höchst lumpige, nichtswürdige Unge¬
heuer, die so pünktlich Ordre pariren!

Aber der neue Führer kannte den Weg, wir kamen schnell vorwärts und
strauchelten noch im Mondenlicht über Baumwurzeln und Schilfstengel. Endlich
anfeiner hohen und lichten Stelle ward Halt gemacht, der Riese und die Bauern
zündeten ein unmäßiges Feuer an, wir rollten unsere Bouruous auf und lagerten
uns um die Flamme; die Hälfte wachte, die Hälfte schlief, wenigstens war so aus¬
gemacht; zuletzt aber schliefen wir alle, denn als ich im Morgeugrau durch den
Frost erweckt wurde und mich ans meinem Mantel wickelte, war das Feuer nie¬
dergebrannt, und um mich lag Alles friedlich neben einander, Russe und Pole,
Graf und Bauer, Strauchdieb und Reisender; am Himmel standen noch die
Sterne, hinten im Gebüsch rauschte das Laub und klang das Knurren der Bestien,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/278>, abgerufen am 23.06.2024.