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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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nach Polen zu wandern und uns bei dem General v. Dehn, dem die polnischen
Festungsbauten übertragen waren, zu melden. Keiner von uns allen hatte Lust,
nach dem Lande der Polaken zu gehen; allein der Gubernator drohte uns mit
dem Heer und obendrein mit ein hundert Stuck BaM, Knüttelschlägen. Da blieb
kein Bedenke". Wir begaben uns zu uuserem geistlichen Herrn zur Beichte und
sodann auf die Reise. Wir waren unser zwei hundert und einige zwanzig.
Viele von uns waren verheirathet, durften aber Weib und Kind nicht mitnehmen.
In Rußland war unsere Wanderschaft nicht schlimm, denn in jedem Dorfe erhiel¬
ten wir von dem Herrn und Bauern Nahrungsmittel. Sobald wir aber in die
Polnischen Länder kamen, ging es schlecht, denn Alles floh vor uns -- da hieß
es: Kazapi, Kazapi! als ob die Kazapi nicht Kinder des "uno.in eüsw'en MKa-
iQjuseKku", des lieben Kaisers Nikolauschen, wären. Zum Glück gab es hier
Gurkenfelder genng am Wege, anch bekamen wir in den polnischen Gouverue-
meutsstädteu auf deu Kanzleien der "erlauchten" Gouverneure eine gute Geld¬
unterstützung. So langten wir nach drei Monaten in Warschau an, und wurden
sogleich uach Demvlin gewiesen zum Ausstechen der Waldgräbcu und Aehn-
lichem. Statt eiues Papierrubels täglich, der uus von unserem Herrn Guberna-
tor versprochen wordeu, erhielten wir freilich uur einen halben polnischen Gulden
und zu Mittag warme Grütze, wie sie die Soldaten in der Festung bekamen;
allein wir dienten dem Kaiser und durften darum uicht böse sein. Einige Jahre
laug wurden wir bald bei dieser bald bei jener Festung beschäftigt. Zuletzt waren
wir wieder in Rooo Georgiewsk. Aber auch hier war die Grabeuarbeit so völlig
vollendet, daß wir täglich unsere Entlassung erwarteten. Für die Rückwanderung
nach Rußland waren uns einem Jeden drei Silberrubel versprochen worden;
dazu hatte man uus vou unserem Lohn in Rücksicht ans unsere Rückreise
bereits seit vielen Monaten Geld innebehalten, und zwar in dem Maße, daß
Jeder wohl acht Silberrubel zu bekommen hatte. Da passirte es aber, daß in
dem Gartenhause des Herrn Capitäns, der uns das Geld auszuzahlen hatte,
einiges Geschirr gestohlen wurde. Wir hatten freilich bei dem Gartenhause ge¬
arbeitet, oder eigentlich nicht gearbeitet, denn es gab da nichts zu thun, und wir
begriffen selbst nicht, warum uns der Herr Capitän dahin geschickt hatte; genug,
weil wir in der Nähe des Häuschens gewesen waren, so behauptete der Herr
Capitän, wir hätten ihn bestohlen, ließ uns einem Jeden zehn BaM geben und
schickte uns aus dem kaiserlichen Dienst, ohne das versprochene Wandergeld und
deu Lohn. Wir waren noch über achtzig aus dem Gubernium Kaluga beisammen.
Die Verheirateten kehrten heim, manche von den Unverheirateten aber zogen
es vor, in Polen bei den Edelleuten Dienst zu nehmen. Nur Einigen gelang
dies. Wir dagegen strichen ohne Erfolg durch das Laud und mußten uns endlich
bei Einbruch des Winters hier im Walde ansiedeln. Hier haben wir in Ruhe
bis zum Frühjahr gelebt. An Speise hat es uns nie gefehlt. Es gibt eine


Grenzboten. I. 18S1. 34

nach Polen zu wandern und uns bei dem General v. Dehn, dem die polnischen
Festungsbauten übertragen waren, zu melden. Keiner von uns allen hatte Lust,
nach dem Lande der Polaken zu gehen; allein der Gubernator drohte uns mit
dem Heer und obendrein mit ein hundert Stuck BaM, Knüttelschlägen. Da blieb
kein Bedenke«. Wir begaben uns zu uuserem geistlichen Herrn zur Beichte und
sodann auf die Reise. Wir waren unser zwei hundert und einige zwanzig.
Viele von uns waren verheirathet, durften aber Weib und Kind nicht mitnehmen.
In Rußland war unsere Wanderschaft nicht schlimm, denn in jedem Dorfe erhiel¬
ten wir von dem Herrn und Bauern Nahrungsmittel. Sobald wir aber in die
Polnischen Länder kamen, ging es schlecht, denn Alles floh vor uns — da hieß
es: Kazapi, Kazapi! als ob die Kazapi nicht Kinder des „uno.in eüsw'en MKa-
iQjuseKku", des lieben Kaisers Nikolauschen, wären. Zum Glück gab es hier
Gurkenfelder genng am Wege, anch bekamen wir in den polnischen Gouverue-
meutsstädteu auf deu Kanzleien der „erlauchten" Gouverneure eine gute Geld¬
unterstützung. So langten wir nach drei Monaten in Warschau an, und wurden
sogleich uach Demvlin gewiesen zum Ausstechen der Waldgräbcu und Aehn-
lichem. Statt eiues Papierrubels täglich, der uus von unserem Herrn Guberna-
tor versprochen wordeu, erhielten wir freilich uur einen halben polnischen Gulden
und zu Mittag warme Grütze, wie sie die Soldaten in der Festung bekamen;
allein wir dienten dem Kaiser und durften darum uicht böse sein. Einige Jahre
laug wurden wir bald bei dieser bald bei jener Festung beschäftigt. Zuletzt waren
wir wieder in Rooo Georgiewsk. Aber auch hier war die Grabeuarbeit so völlig
vollendet, daß wir täglich unsere Entlassung erwarteten. Für die Rückwanderung
nach Rußland waren uns einem Jeden drei Silberrubel versprochen worden;
dazu hatte man uus vou unserem Lohn in Rücksicht ans unsere Rückreise
bereits seit vielen Monaten Geld innebehalten, und zwar in dem Maße, daß
Jeder wohl acht Silberrubel zu bekommen hatte. Da passirte es aber, daß in
dem Gartenhause des Herrn Capitäns, der uns das Geld auszuzahlen hatte,
einiges Geschirr gestohlen wurde. Wir hatten freilich bei dem Gartenhause ge¬
arbeitet, oder eigentlich nicht gearbeitet, denn es gab da nichts zu thun, und wir
begriffen selbst nicht, warum uns der Herr Capitän dahin geschickt hatte; genug,
weil wir in der Nähe des Häuschens gewesen waren, so behauptete der Herr
Capitän, wir hätten ihn bestohlen, ließ uns einem Jeden zehn BaM geben und
schickte uns aus dem kaiserlichen Dienst, ohne das versprochene Wandergeld und
deu Lohn. Wir waren noch über achtzig aus dem Gubernium Kaluga beisammen.
Die Verheirateten kehrten heim, manche von den Unverheirateten aber zogen
es vor, in Polen bei den Edelleuten Dienst zu nehmen. Nur Einigen gelang
dies. Wir dagegen strichen ohne Erfolg durch das Laud und mußten uns endlich
bei Einbruch des Winters hier im Walde ansiedeln. Hier haben wir in Ruhe
bis zum Frühjahr gelebt. An Speise hat es uns nie gefehlt. Es gibt eine


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[0277] nach Polen zu wandern und uns bei dem General v. Dehn, dem die polnischen Festungsbauten übertragen waren, zu melden. Keiner von uns allen hatte Lust, nach dem Lande der Polaken zu gehen; allein der Gubernator drohte uns mit dem Heer und obendrein mit ein hundert Stuck BaM, Knüttelschlägen. Da blieb kein Bedenke«. Wir begaben uns zu uuserem geistlichen Herrn zur Beichte und sodann auf die Reise. Wir waren unser zwei hundert und einige zwanzig. Viele von uns waren verheirathet, durften aber Weib und Kind nicht mitnehmen. In Rußland war unsere Wanderschaft nicht schlimm, denn in jedem Dorfe erhiel¬ ten wir von dem Herrn und Bauern Nahrungsmittel. Sobald wir aber in die Polnischen Länder kamen, ging es schlecht, denn Alles floh vor uns — da hieß es: Kazapi, Kazapi! als ob die Kazapi nicht Kinder des „uno.in eüsw'en MKa- iQjuseKku", des lieben Kaisers Nikolauschen, wären. Zum Glück gab es hier Gurkenfelder genng am Wege, anch bekamen wir in den polnischen Gouverue- meutsstädteu auf deu Kanzleien der „erlauchten" Gouverneure eine gute Geld¬ unterstützung. So langten wir nach drei Monaten in Warschau an, und wurden sogleich uach Demvlin gewiesen zum Ausstechen der Waldgräbcu und Aehn- lichem. Statt eiues Papierrubels täglich, der uus von unserem Herrn Guberna- tor versprochen wordeu, erhielten wir freilich uur einen halben polnischen Gulden und zu Mittag warme Grütze, wie sie die Soldaten in der Festung bekamen; allein wir dienten dem Kaiser und durften darum uicht böse sein. Einige Jahre laug wurden wir bald bei dieser bald bei jener Festung beschäftigt. Zuletzt waren wir wieder in Rooo Georgiewsk. Aber auch hier war die Grabeuarbeit so völlig vollendet, daß wir täglich unsere Entlassung erwarteten. Für die Rückwanderung nach Rußland waren uns einem Jeden drei Silberrubel versprochen worden; dazu hatte man uus vou unserem Lohn in Rücksicht ans unsere Rückreise bereits seit vielen Monaten Geld innebehalten, und zwar in dem Maße, daß Jeder wohl acht Silberrubel zu bekommen hatte. Da passirte es aber, daß in dem Gartenhause des Herrn Capitäns, der uns das Geld auszuzahlen hatte, einiges Geschirr gestohlen wurde. Wir hatten freilich bei dem Gartenhause ge¬ arbeitet, oder eigentlich nicht gearbeitet, denn es gab da nichts zu thun, und wir begriffen selbst nicht, warum uns der Herr Capitän dahin geschickt hatte; genug, weil wir in der Nähe des Häuschens gewesen waren, so behauptete der Herr Capitän, wir hätten ihn bestohlen, ließ uns einem Jeden zehn BaM geben und schickte uns aus dem kaiserlichen Dienst, ohne das versprochene Wandergeld und deu Lohn. Wir waren noch über achtzig aus dem Gubernium Kaluga beisammen. Die Verheirateten kehrten heim, manche von den Unverheirateten aber zogen es vor, in Polen bei den Edelleuten Dienst zu nehmen. Nur Einigen gelang dies. Wir dagegen strichen ohne Erfolg durch das Laud und mußten uns endlich bei Einbruch des Winters hier im Walde ansiedeln. Hier haben wir in Ruhe bis zum Frühjahr gelebt. An Speise hat es uns nie gefehlt. Es gibt eine Grenzboten. I. 18S1. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/277>, abgerufen am 23.06.2024.