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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Wir blieben auf der von Fichten und Tannen bewachsenen Erderhöhnng, die
uns weithin einen trockenen und uicht allzu mühseligen Pfad absteckte. Nach¬
dem wir eine gute Strecke zurückgelegt, bemerkten wir an einzelnen Baumstämmen
mit einer Axt eingehauene tiefe Kerben, die sich wiederholten, eine Art von Weg¬
weiser. Wir gingen weiter -- mehrere häßliche'Teiche, mit schwarzem Wasser, dem
ein bräunlicher Hautüberzug den Glanz raubte, wieder Laubwald, wieder Unter¬
holz. Die Wildniß wurde immer trostloser. Desto mehr waren wir erstaunt,
uns plötzlich vor einer Art Vergnügungsanstalt zu befinden. Es war eine
Schaukel, bestehend aus einem großen Korbe vom rohesten Geflecht und mehreren
langen Stangen, die im Wipfel dreier zusammengebogener Bäume befestigt
waren. Solche Schaukeln findet man in Rußland, auch in Lief- und Esthland,
fast vor jeder Hütte. Menschen waren uns nah. Zunächst stießen wir ans ein
hohes Kreuz, an welchem ein grob gemaltes Marienbild, das wahrscheinlich
irgendwo aus einer Bauernstube gestohlen worden, befestigt war. Nahe hinter
dem Kreuze stand eine große aus Baumstämmen und Neisigholz erbaute und
ziemlich gut versteckte Hütte. Der eine meiner Begleiter stieß mit dem Fuß an
die Thür, sie sprang auf und einige Kazapen fuhren von ihren Bänken in die
Höhe und starrten uns an. '"Da ist das Nest," lachte Graf Kasimir und trat
mit der unnachahmlichen Gleichgültigkeit eines polnischen Aristokraten in die Hütte.
Die Männer empfingen uus unerschrocken, aber mit den unterwürfigsten Ge¬
berden. In ihrer Hütte wohnten mit ihnen drei Kühe sammt einem Kalbe und
mehrere Schweine. Diese Thiere waren irgendwo von der Weide gestohlen. --
"Was habt ihr zu essen, Kinder? Eure Gevattern haben uns Fleisch und Brot
gemaust, es ist billig, daß ihr uns von dem euren etwas gebt." Die Schufte grin¬
sten und brachten Brot und eine Speckseite. Das Brod bestand ans Birkenrinde
und einem Zusatz von Getreidemehl. Es war nicht die angenehmste Nahrung,
allein die Burschen schienen es auch nur als Zukost zu gebrauchen, das Fleisch war
offenbar Hauptsache, deun zahlreiche Schinken und andere Fleischstücke hingen an
der Decke der Hütte. Von einem Schornstein war natürlich nicht die Rede; der
Rauch des Heerdes stieg wie in deu russischen Seinlanken, halb unterirdischen
Hütten, frei empor und entfernte sich da, wo er in dem gewölbeartig geschichteten
Reisigholz zufällig einen Ausgang fand.

Die sorglosen Scherze und vielleicht Uvah mehr die vornehme Überlegenheit
der Polen bewies den Strauchdieben sehr bald, daß wir nicht als Feinde gekom¬
men, und da, wie Russen pflegen, wurden sie zutraulich und gesprächig. Einer
von ihnen, ein Mann von riesenhaften Wuchs und verständigen Aussehen, dessen
Kinn ein ungewöhnlich großer, schöner Bart schmückte, erzählte auf unser Drängen
ihr Schicksal ungefähr so:

"Vor sechs Jahren, als der Bau der Festung Rooo Georgiewsk (Demplin)
in Angriff genommen wurde, erhielten wir von dem Gubernator Tolstoy Befehl,


Wir blieben auf der von Fichten und Tannen bewachsenen Erderhöhnng, die
uns weithin einen trockenen und uicht allzu mühseligen Pfad absteckte. Nach¬
dem wir eine gute Strecke zurückgelegt, bemerkten wir an einzelnen Baumstämmen
mit einer Axt eingehauene tiefe Kerben, die sich wiederholten, eine Art von Weg¬
weiser. Wir gingen weiter — mehrere häßliche'Teiche, mit schwarzem Wasser, dem
ein bräunlicher Hautüberzug den Glanz raubte, wieder Laubwald, wieder Unter¬
holz. Die Wildniß wurde immer trostloser. Desto mehr waren wir erstaunt,
uns plötzlich vor einer Art Vergnügungsanstalt zu befinden. Es war eine
Schaukel, bestehend aus einem großen Korbe vom rohesten Geflecht und mehreren
langen Stangen, die im Wipfel dreier zusammengebogener Bäume befestigt
waren. Solche Schaukeln findet man in Rußland, auch in Lief- und Esthland,
fast vor jeder Hütte. Menschen waren uns nah. Zunächst stießen wir ans ein
hohes Kreuz, an welchem ein grob gemaltes Marienbild, das wahrscheinlich
irgendwo aus einer Bauernstube gestohlen worden, befestigt war. Nahe hinter
dem Kreuze stand eine große aus Baumstämmen und Neisigholz erbaute und
ziemlich gut versteckte Hütte. Der eine meiner Begleiter stieß mit dem Fuß an
die Thür, sie sprang auf und einige Kazapen fuhren von ihren Bänken in die
Höhe und starrten uns an. '„Da ist das Nest," lachte Graf Kasimir und trat
mit der unnachahmlichen Gleichgültigkeit eines polnischen Aristokraten in die Hütte.
Die Männer empfingen uus unerschrocken, aber mit den unterwürfigsten Ge¬
berden. In ihrer Hütte wohnten mit ihnen drei Kühe sammt einem Kalbe und
mehrere Schweine. Diese Thiere waren irgendwo von der Weide gestohlen. —
„Was habt ihr zu essen, Kinder? Eure Gevattern haben uns Fleisch und Brot
gemaust, es ist billig, daß ihr uns von dem euren etwas gebt." Die Schufte grin¬
sten und brachten Brot und eine Speckseite. Das Brod bestand ans Birkenrinde
und einem Zusatz von Getreidemehl. Es war nicht die angenehmste Nahrung,
allein die Burschen schienen es auch nur als Zukost zu gebrauchen, das Fleisch war
offenbar Hauptsache, deun zahlreiche Schinken und andere Fleischstücke hingen an
der Decke der Hütte. Von einem Schornstein war natürlich nicht die Rede; der
Rauch des Heerdes stieg wie in deu russischen Seinlanken, halb unterirdischen
Hütten, frei empor und entfernte sich da, wo er in dem gewölbeartig geschichteten
Reisigholz zufällig einen Ausgang fand.

Die sorglosen Scherze und vielleicht Uvah mehr die vornehme Überlegenheit
der Polen bewies den Strauchdieben sehr bald, daß wir nicht als Feinde gekom¬
men, und da, wie Russen pflegen, wurden sie zutraulich und gesprächig. Einer
von ihnen, ein Mann von riesenhaften Wuchs und verständigen Aussehen, dessen
Kinn ein ungewöhnlich großer, schöner Bart schmückte, erzählte auf unser Drängen
ihr Schicksal ungefähr so:

„Vor sechs Jahren, als der Bau der Festung Rooo Georgiewsk (Demplin)
in Angriff genommen wurde, erhielten wir von dem Gubernator Tolstoy Befehl,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/276>, abgerufen am 23.06.2024.