Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nieder, und oft findet man Plätze, wo kein Stamm aufrecht steht, Alles am Erd¬
boden liegt. Allein der Verlust ersetzt sich sehr schnell wieder, denn die Ueppigkeit,
mit der hier die Bäume, selbst die Eichen und Buchen, emporschießen, ist er¬
staunlich.

Der Eindruck, den diese Wildniß macht, ist doch ein peinlicher. Selbst die
tiefe Stille, nnr unterbrochen durch das Hacken eines Spechts oder das ferne
Gewinsel eiues Raubthiers, ist sehr melancholisch, weil das Ange überall ans
Moder und Untergang stößt.

Unsere Reise wurde anstrengend, Sumpf und Gestrüpp waren oft fast un¬
überwindlich. Einmal waren wir so völlig vou Sumpf umgeben, daß wir uns
schou zur Rückreise bequemen wollten. Da fand sich zu uuserer Freude eine aus
zwei niedergefallenen Bäumen gebildete Brücke, die uns wieder ans festen Boden
brachte und einem Erdrücken zuführte, der, vou wunderschönen riesigen Tannen
bewachsen, sich weithin durch deu sumpfigen Laubwald streckte.

Es war gegen zehn Uhr Morgens und wir hungerten vielleicht noch mehr
als die Wölfe, welche jetzt öfter bald in der Nähe, bald in der Ferne ihre heu¬
lenden unangenehmen Fistelstimmen vernehmen ließen. Wir machten Halt; ein
Holzstoß wurde in Flammen gesetzt, um Kohlen für unseren Theesamowar zu ge¬
winnen; die Beefsteakmaschine und das ziemlich ansehnliche Quanmm Rindfleisch,
nebst Brod, Weinflaschen ze. wurden ausgepackt. Wir lagen auf dem Moosgrund
und empfanden deu süßen Gliederschmerz eines müden Ruhenden. Da, horch!
Geräusch im nahen Laubgebüsch. "Es sind Wölfe oder Füchse, die unsere Mahlzeit
wittern, es ist nichts" -- da springen mit größter Vehemenz drei Burschen ans
dem Gesträuch, raffen mit zauberhafter Schnelligkeit das Fleisch aus der Pfanne,
die Branntweinflasche, das Brod und das Beil eiues unserer beiden Bauern ans
und fliehen damit in das Holz. Im Fliehen riefen, sie uns artig zu: Ijo/o.
xaMe/," der Herr Gott vergilt es; die Nedeformel, mit der sich in Polen die
Leute der niedrigen Stände zu bedanken pflegen.

Die schnellen Läufer trugen Leinwandhosen, die unter den Knieen zusammen¬
gebunden waren, Lappeusandalcn, breite Ledergürtel und weiße Filzmützeu, gerade
wie sie die Bajazzo's auf deu deutschen Iahrmarktkommödien zu tragen pflegen,
dabei volle Bärte. Es waren russische Kazapen; wie die aber hierher kamen,
war uns doch wunderbar.

Wir alle waren dnrch den plötzlichen Besuch wie versteinert. Unsere beiden
Bauern standen lange am ganzen Leibe zitternd, ihre großen Schafpelzmützen mit
gefalteten Fäusten gegen die Brust gedrückt und unaufhörlich schreiend: "Jesus
Maria!" Der Förster dagegen wurde höchst unliebenswürdig. Er hatte vor
Räubern nicht minder als vor dem Dickicht gewarn!', und seine Warnung schien
gerechtfertigt. Dies gab ihm ein Recht, jetzt weise zu reden. Endlich drang die
komische Auffassung der Scene dnrch, es wurde gelacht und die Wanderung fortgesetzt.


nieder, und oft findet man Plätze, wo kein Stamm aufrecht steht, Alles am Erd¬
boden liegt. Allein der Verlust ersetzt sich sehr schnell wieder, denn die Ueppigkeit,
mit der hier die Bäume, selbst die Eichen und Buchen, emporschießen, ist er¬
staunlich.

Der Eindruck, den diese Wildniß macht, ist doch ein peinlicher. Selbst die
tiefe Stille, nnr unterbrochen durch das Hacken eines Spechts oder das ferne
Gewinsel eiues Raubthiers, ist sehr melancholisch, weil das Ange überall ans
Moder und Untergang stößt.

Unsere Reise wurde anstrengend, Sumpf und Gestrüpp waren oft fast un¬
überwindlich. Einmal waren wir so völlig vou Sumpf umgeben, daß wir uns
schou zur Rückreise bequemen wollten. Da fand sich zu uuserer Freude eine aus
zwei niedergefallenen Bäumen gebildete Brücke, die uns wieder ans festen Boden
brachte und einem Erdrücken zuführte, der, vou wunderschönen riesigen Tannen
bewachsen, sich weithin durch deu sumpfigen Laubwald streckte.

Es war gegen zehn Uhr Morgens und wir hungerten vielleicht noch mehr
als die Wölfe, welche jetzt öfter bald in der Nähe, bald in der Ferne ihre heu¬
lenden unangenehmen Fistelstimmen vernehmen ließen. Wir machten Halt; ein
Holzstoß wurde in Flammen gesetzt, um Kohlen für unseren Theesamowar zu ge¬
winnen; die Beefsteakmaschine und das ziemlich ansehnliche Quanmm Rindfleisch,
nebst Brod, Weinflaschen ze. wurden ausgepackt. Wir lagen auf dem Moosgrund
und empfanden deu süßen Gliederschmerz eines müden Ruhenden. Da, horch!
Geräusch im nahen Laubgebüsch. „Es sind Wölfe oder Füchse, die unsere Mahlzeit
wittern, es ist nichts" — da springen mit größter Vehemenz drei Burschen ans
dem Gesträuch, raffen mit zauberhafter Schnelligkeit das Fleisch aus der Pfanne,
die Branntweinflasche, das Brod und das Beil eiues unserer beiden Bauern ans
und fliehen damit in das Holz. Im Fliehen riefen, sie uns artig zu: Ijo/o.
xaMe/," der Herr Gott vergilt es; die Nedeformel, mit der sich in Polen die
Leute der niedrigen Stände zu bedanken pflegen.

Die schnellen Läufer trugen Leinwandhosen, die unter den Knieen zusammen¬
gebunden waren, Lappeusandalcn, breite Ledergürtel und weiße Filzmützeu, gerade
wie sie die Bajazzo's auf deu deutschen Iahrmarktkommödien zu tragen pflegen,
dabei volle Bärte. Es waren russische Kazapen; wie die aber hierher kamen,
war uns doch wunderbar.

Wir alle waren dnrch den plötzlichen Besuch wie versteinert. Unsere beiden
Bauern standen lange am ganzen Leibe zitternd, ihre großen Schafpelzmützen mit
gefalteten Fäusten gegen die Brust gedrückt und unaufhörlich schreiend: „Jesus
Maria!" Der Förster dagegen wurde höchst unliebenswürdig. Er hatte vor
Räubern nicht minder als vor dem Dickicht gewarn!', und seine Warnung schien
gerechtfertigt. Dies gab ihm ein Recht, jetzt weise zu reden. Endlich drang die
komische Auffassung der Scene dnrch, es wurde gelacht und die Wanderung fortgesetzt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0275" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92013"/>
          <p xml:id="ID_861" prev="#ID_860"> nieder, und oft findet man Plätze, wo kein Stamm aufrecht steht, Alles am Erd¬<lb/>
boden liegt. Allein der Verlust ersetzt sich sehr schnell wieder, denn die Ueppigkeit,<lb/>
mit der hier die Bäume, selbst die Eichen und Buchen, emporschießen, ist er¬<lb/>
staunlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_862"> Der Eindruck, den diese Wildniß macht, ist doch ein peinlicher. Selbst die<lb/>
tiefe Stille, nnr unterbrochen durch das Hacken eines Spechts oder das ferne<lb/>
Gewinsel eiues Raubthiers, ist sehr melancholisch, weil das Ange überall ans<lb/>
Moder und Untergang stößt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_863"> Unsere Reise wurde anstrengend, Sumpf und Gestrüpp waren oft fast un¬<lb/>
überwindlich. Einmal waren wir so völlig vou Sumpf umgeben, daß wir uns<lb/>
schou zur Rückreise bequemen wollten. Da fand sich zu uuserer Freude eine aus<lb/>
zwei niedergefallenen Bäumen gebildete Brücke, die uns wieder ans festen Boden<lb/>
brachte und einem Erdrücken zuführte, der, vou wunderschönen riesigen Tannen<lb/>
bewachsen, sich weithin durch deu sumpfigen Laubwald streckte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_864"> Es war gegen zehn Uhr Morgens und wir hungerten vielleicht noch mehr<lb/>
als die Wölfe, welche jetzt öfter bald in der Nähe, bald in der Ferne ihre heu¬<lb/>
lenden unangenehmen Fistelstimmen vernehmen ließen. Wir machten Halt; ein<lb/>
Holzstoß wurde in Flammen gesetzt, um Kohlen für unseren Theesamowar zu ge¬<lb/>
winnen; die Beefsteakmaschine und das ziemlich ansehnliche Quanmm Rindfleisch,<lb/>
nebst Brod, Weinflaschen ze. wurden ausgepackt. Wir lagen auf dem Moosgrund<lb/>
und empfanden deu süßen Gliederschmerz eines müden Ruhenden. Da, horch!<lb/>
Geräusch im nahen Laubgebüsch. &#x201E;Es sind Wölfe oder Füchse, die unsere Mahlzeit<lb/>
wittern, es ist nichts" &#x2014; da springen mit größter Vehemenz drei Burschen ans<lb/>
dem Gesträuch, raffen mit zauberhafter Schnelligkeit das Fleisch aus der Pfanne,<lb/>
die Branntweinflasche, das Brod und das Beil eiues unserer beiden Bauern ans<lb/>
und fliehen damit in das Holz. Im Fliehen riefen, sie uns artig zu: Ijo/o.<lb/>
xaMe/," der Herr Gott vergilt es; die Nedeformel, mit der sich in Polen die<lb/>
Leute der niedrigen Stände zu bedanken pflegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_865"> Die schnellen Läufer trugen Leinwandhosen, die unter den Knieen zusammen¬<lb/>
gebunden waren, Lappeusandalcn, breite Ledergürtel und weiße Filzmützeu, gerade<lb/>
wie sie die Bajazzo's auf deu deutschen Iahrmarktkommödien zu tragen pflegen,<lb/>
dabei volle Bärte. Es waren russische Kazapen; wie die aber hierher kamen,<lb/>
war uns doch wunderbar.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_866"> Wir alle waren dnrch den plötzlichen Besuch wie versteinert. Unsere beiden<lb/>
Bauern standen lange am ganzen Leibe zitternd, ihre großen Schafpelzmützen mit<lb/>
gefalteten Fäusten gegen die Brust gedrückt und unaufhörlich schreiend: &#x201E;Jesus<lb/>
Maria!" Der Förster dagegen wurde höchst unliebenswürdig. Er hatte vor<lb/>
Räubern nicht minder als vor dem Dickicht gewarn!', und seine Warnung schien<lb/>
gerechtfertigt. Dies gab ihm ein Recht, jetzt weise zu reden. Endlich drang die<lb/>
komische Auffassung der Scene dnrch, es wurde gelacht und die Wanderung fortgesetzt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0275] nieder, und oft findet man Plätze, wo kein Stamm aufrecht steht, Alles am Erd¬ boden liegt. Allein der Verlust ersetzt sich sehr schnell wieder, denn die Ueppigkeit, mit der hier die Bäume, selbst die Eichen und Buchen, emporschießen, ist er¬ staunlich. Der Eindruck, den diese Wildniß macht, ist doch ein peinlicher. Selbst die tiefe Stille, nnr unterbrochen durch das Hacken eines Spechts oder das ferne Gewinsel eiues Raubthiers, ist sehr melancholisch, weil das Ange überall ans Moder und Untergang stößt. Unsere Reise wurde anstrengend, Sumpf und Gestrüpp waren oft fast un¬ überwindlich. Einmal waren wir so völlig vou Sumpf umgeben, daß wir uns schou zur Rückreise bequemen wollten. Da fand sich zu uuserer Freude eine aus zwei niedergefallenen Bäumen gebildete Brücke, die uns wieder ans festen Boden brachte und einem Erdrücken zuführte, der, vou wunderschönen riesigen Tannen bewachsen, sich weithin durch deu sumpfigen Laubwald streckte. Es war gegen zehn Uhr Morgens und wir hungerten vielleicht noch mehr als die Wölfe, welche jetzt öfter bald in der Nähe, bald in der Ferne ihre heu¬ lenden unangenehmen Fistelstimmen vernehmen ließen. Wir machten Halt; ein Holzstoß wurde in Flammen gesetzt, um Kohlen für unseren Theesamowar zu ge¬ winnen; die Beefsteakmaschine und das ziemlich ansehnliche Quanmm Rindfleisch, nebst Brod, Weinflaschen ze. wurden ausgepackt. Wir lagen auf dem Moosgrund und empfanden deu süßen Gliederschmerz eines müden Ruhenden. Da, horch! Geräusch im nahen Laubgebüsch. „Es sind Wölfe oder Füchse, die unsere Mahlzeit wittern, es ist nichts" — da springen mit größter Vehemenz drei Burschen ans dem Gesträuch, raffen mit zauberhafter Schnelligkeit das Fleisch aus der Pfanne, die Branntweinflasche, das Brod und das Beil eiues unserer beiden Bauern ans und fliehen damit in das Holz. Im Fliehen riefen, sie uns artig zu: Ijo/o. xaMe/," der Herr Gott vergilt es; die Nedeformel, mit der sich in Polen die Leute der niedrigen Stände zu bedanken pflegen. Die schnellen Läufer trugen Leinwandhosen, die unter den Knieen zusammen¬ gebunden waren, Lappeusandalcn, breite Ledergürtel und weiße Filzmützeu, gerade wie sie die Bajazzo's auf deu deutschen Iahrmarktkommödien zu tragen pflegen, dabei volle Bärte. Es waren russische Kazapen; wie die aber hierher kamen, war uns doch wunderbar. Wir alle waren dnrch den plötzlichen Besuch wie versteinert. Unsere beiden Bauern standen lange am ganzen Leibe zitternd, ihre großen Schafpelzmützen mit gefalteten Fäusten gegen die Brust gedrückt und unaufhörlich schreiend: „Jesus Maria!" Der Förster dagegen wurde höchst unliebenswürdig. Er hatte vor Räubern nicht minder als vor dem Dickicht gewarn!', und seine Warnung schien gerechtfertigt. Dies gab ihm ein Recht, jetzt weise zu reden. Endlich drang die komische Auffassung der Scene dnrch, es wurde gelacht und die Wanderung fortgesetzt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/275
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/275>, abgerufen am 23.06.2024.