Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gnügen, und sie lachten unbändig über die verbissene Wuth des ehrlichen För¬
sters, der uns bis uach Haust, wohin unser Fuhrwerk auf anderen Wegen voraus
geschickt worden, zu begleiten hatte.

,Mi,ed deäöie poedvvalonZ- 5e7us Krisle/", (Gelobt sei Jesus Christ) riefen
uns minder in einem Sumpfloch plötzlich eine Menge stiller Stimmchen zu, und
alsbald krochen ein Dutzend sieben- bis zwölfjähriger Kinder ans Morast und
Busch hervor, um uns als adlig gekleideten Leuten nach Landesgebrauch die Knie
zu umarmen und zu küssen. Es waren Pilzsammler. Die unglücklichen kleinen
Geschöpfe waren beinahe nackt und brann lind blan von der Kühle des Morgens
und dem Schmutz des Wassers, in dem sie umherwateten. Bei ihnen war ein ält¬
licher verkrüppelter Bauer, der wegen seiner jämmerlichen Körperconstitntion Kinder-
dienste verrichtete. Das beklagenswerte Völkchen gehörte einem Edelmanne an,
der, wie wir hier erfuhren, seinen Bauern bei fünfzig Peitschenhieben verboten hatte,
von den feinen, ziemlich seltenen Maipilzen, Majoweczki genannt, etwas für sich zu
sammeln. Dagegen hatte er jedem die VerpfliclMng auferlegt, ihm für seine
Herrentafel mindestens zwei Garrica, Metzen, einzuliefern. Wir wünschten diesem
Schuft von Edelmann, daß er zur Strafe einen Monat lang in denselben
Morästen umhergetrieben werden möchte, in welche seine tyrannische Feinschmeckerei
die armseligen Kinder seiner Sclaven hineinsetzt. Wir fluchten, lachten und zogen
weiter, währeud uus die beschenkten Kinder mehrern Heiligen empfahlen, welche
gilt für Sümpfe sein sollten.

Nachdem wir uus ungefähr zwei Stunden lang durch Gesträuch und Morast
geschlagen, befanden wir uns endlich vor einem nichtswürdigen polnischen Brnch-
fluß. An manchen Stellen war er kaum ki--8 Schritt breit und mehrere Ellen
tief, an andern besaß er gar kein Bett und setzte deu ebenen Boden des Waldes
ans unabsehbare Breite unter Wasser; hier und da bildet er Seen. Unter diesen
besitzt einer, der bei dem Dorfe Sieinen endet, die Länge einer Meile und die
Breite einer halben. -- Wir hielten all, die Bauern, welche nach Gewohnheit
des Landes mit Beilen bewaffnet waren, schlugen behend einen Baum so nieder,
daß er über den Fluß fiel und uns eine Brücke bildete. Wir zogen den greisen
Waldmann, welcher uuserer fröhlichen Laune höchst mißtranisch zusah, mit Mühe
ans dem runden Stamm herüber, und begrüßten mit einem "Hussah!" die echte
podlachische Waldwildniß. Hier standen die Stämme so dicht, daß man oft keine
Spur des Himmels dnrch ihre Blättermasse entdeckte, das Unterholz starrte an
vielen Stellen in nndurchdrillglicher Dichte, denn es ist, wo der Boden nicht
allzu sumpfig ist, mit Schwarzdorn durchwachsen. Zahlreiche Stämme lagen
verwesend am Boden. Oft sah man ganze Baumgruppen, die durch den Sturz
eines riesenhaften Baumes über den Häuser geschoben waren, und halb stehend,
halb liegend umkamen. Da die Wurzeln in dem feuchten Boden keinen kräf¬
tigen Halt gewinnen köunen, so wirft jeder Sturm eine Menge von Bäumen


gnügen, und sie lachten unbändig über die verbissene Wuth des ehrlichen För¬
sters, der uns bis uach Haust, wohin unser Fuhrwerk auf anderen Wegen voraus
geschickt worden, zu begleiten hatte.

,Mi,ed deäöie poedvvalonZ- 5e7us Krisle/", (Gelobt sei Jesus Christ) riefen
uns minder in einem Sumpfloch plötzlich eine Menge stiller Stimmchen zu, und
alsbald krochen ein Dutzend sieben- bis zwölfjähriger Kinder ans Morast und
Busch hervor, um uns als adlig gekleideten Leuten nach Landesgebrauch die Knie
zu umarmen und zu küssen. Es waren Pilzsammler. Die unglücklichen kleinen
Geschöpfe waren beinahe nackt und brann lind blan von der Kühle des Morgens
und dem Schmutz des Wassers, in dem sie umherwateten. Bei ihnen war ein ält¬
licher verkrüppelter Bauer, der wegen seiner jämmerlichen Körperconstitntion Kinder-
dienste verrichtete. Das beklagenswerte Völkchen gehörte einem Edelmanne an,
der, wie wir hier erfuhren, seinen Bauern bei fünfzig Peitschenhieben verboten hatte,
von den feinen, ziemlich seltenen Maipilzen, Majoweczki genannt, etwas für sich zu
sammeln. Dagegen hatte er jedem die VerpfliclMng auferlegt, ihm für seine
Herrentafel mindestens zwei Garrica, Metzen, einzuliefern. Wir wünschten diesem
Schuft von Edelmann, daß er zur Strafe einen Monat lang in denselben
Morästen umhergetrieben werden möchte, in welche seine tyrannische Feinschmeckerei
die armseligen Kinder seiner Sclaven hineinsetzt. Wir fluchten, lachten und zogen
weiter, währeud uus die beschenkten Kinder mehrern Heiligen empfahlen, welche
gilt für Sümpfe sein sollten.

Nachdem wir uus ungefähr zwei Stunden lang durch Gesträuch und Morast
geschlagen, befanden wir uns endlich vor einem nichtswürdigen polnischen Brnch-
fluß. An manchen Stellen war er kaum ki—8 Schritt breit und mehrere Ellen
tief, an andern besaß er gar kein Bett und setzte deu ebenen Boden des Waldes
ans unabsehbare Breite unter Wasser; hier und da bildet er Seen. Unter diesen
besitzt einer, der bei dem Dorfe Sieinen endet, die Länge einer Meile und die
Breite einer halben. — Wir hielten all, die Bauern, welche nach Gewohnheit
des Landes mit Beilen bewaffnet waren, schlugen behend einen Baum so nieder,
daß er über den Fluß fiel und uns eine Brücke bildete. Wir zogen den greisen
Waldmann, welcher uuserer fröhlichen Laune höchst mißtranisch zusah, mit Mühe
ans dem runden Stamm herüber, und begrüßten mit einem „Hussah!" die echte
podlachische Waldwildniß. Hier standen die Stämme so dicht, daß man oft keine
Spur des Himmels dnrch ihre Blättermasse entdeckte, das Unterholz starrte an
vielen Stellen in nndurchdrillglicher Dichte, denn es ist, wo der Boden nicht
allzu sumpfig ist, mit Schwarzdorn durchwachsen. Zahlreiche Stämme lagen
verwesend am Boden. Oft sah man ganze Baumgruppen, die durch den Sturz
eines riesenhaften Baumes über den Häuser geschoben waren, und halb stehend,
halb liegend umkamen. Da die Wurzeln in dem feuchten Boden keinen kräf¬
tigen Halt gewinnen köunen, so wirft jeder Sturm eine Menge von Bäumen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0274" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92012"/>
          <p xml:id="ID_858" prev="#ID_857"> gnügen, und sie lachten unbändig über die verbissene Wuth des ehrlichen För¬<lb/>
sters, der uns bis uach Haust, wohin unser Fuhrwerk auf anderen Wegen voraus<lb/>
geschickt worden, zu begleiten hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_859"> ,Mi,ed deäöie poedvvalonZ- 5e7us Krisle/", (Gelobt sei Jesus Christ) riefen<lb/>
uns minder in einem Sumpfloch plötzlich eine Menge stiller Stimmchen zu, und<lb/>
alsbald krochen ein Dutzend sieben- bis zwölfjähriger Kinder ans Morast und<lb/>
Busch hervor, um uns als adlig gekleideten Leuten nach Landesgebrauch die Knie<lb/>
zu umarmen und zu küssen. Es waren Pilzsammler. Die unglücklichen kleinen<lb/>
Geschöpfe waren beinahe nackt und brann lind blan von der Kühle des Morgens<lb/>
und dem Schmutz des Wassers, in dem sie umherwateten. Bei ihnen war ein ält¬<lb/>
licher verkrüppelter Bauer, der wegen seiner jämmerlichen Körperconstitntion Kinder-<lb/>
dienste verrichtete. Das beklagenswerte Völkchen gehörte einem Edelmanne an,<lb/>
der, wie wir hier erfuhren, seinen Bauern bei fünfzig Peitschenhieben verboten hatte,<lb/>
von den feinen, ziemlich seltenen Maipilzen, Majoweczki genannt, etwas für sich zu<lb/>
sammeln. Dagegen hatte er jedem die VerpfliclMng auferlegt, ihm für seine<lb/>
Herrentafel mindestens zwei Garrica, Metzen, einzuliefern. Wir wünschten diesem<lb/>
Schuft von Edelmann, daß er zur Strafe einen Monat lang in denselben<lb/>
Morästen umhergetrieben werden möchte, in welche seine tyrannische Feinschmeckerei<lb/>
die armseligen Kinder seiner Sclaven hineinsetzt. Wir fluchten, lachten und zogen<lb/>
weiter, währeud uus die beschenkten Kinder mehrern Heiligen empfahlen, welche<lb/>
gilt für Sümpfe sein sollten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_860" next="#ID_861"> Nachdem wir uus ungefähr zwei Stunden lang durch Gesträuch und Morast<lb/>
geschlagen, befanden wir uns endlich vor einem nichtswürdigen polnischen Brnch-<lb/>
fluß. An manchen Stellen war er kaum ki&#x2014;8 Schritt breit und mehrere Ellen<lb/>
tief, an andern besaß er gar kein Bett und setzte deu ebenen Boden des Waldes<lb/>
ans unabsehbare Breite unter Wasser; hier und da bildet er Seen. Unter diesen<lb/>
besitzt einer, der bei dem Dorfe Sieinen endet, die Länge einer Meile und die<lb/>
Breite einer halben. &#x2014; Wir hielten all, die Bauern, welche nach Gewohnheit<lb/>
des Landes mit Beilen bewaffnet waren, schlugen behend einen Baum so nieder,<lb/>
daß er über den Fluß fiel und uns eine Brücke bildete. Wir zogen den greisen<lb/>
Waldmann, welcher uuserer fröhlichen Laune höchst mißtranisch zusah, mit Mühe<lb/>
ans dem runden Stamm herüber, und begrüßten mit einem &#x201E;Hussah!" die echte<lb/>
podlachische Waldwildniß. Hier standen die Stämme so dicht, daß man oft keine<lb/>
Spur des Himmels dnrch ihre Blättermasse entdeckte, das Unterholz starrte an<lb/>
vielen Stellen in nndurchdrillglicher Dichte, denn es ist, wo der Boden nicht<lb/>
allzu sumpfig ist, mit Schwarzdorn durchwachsen. Zahlreiche Stämme lagen<lb/>
verwesend am Boden. Oft sah man ganze Baumgruppen, die durch den Sturz<lb/>
eines riesenhaften Baumes über den Häuser geschoben waren, und halb stehend,<lb/>
halb liegend umkamen. Da die Wurzeln in dem feuchten Boden keinen kräf¬<lb/>
tigen Halt gewinnen köunen, so wirft jeder Sturm eine Menge von Bäumen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0274] gnügen, und sie lachten unbändig über die verbissene Wuth des ehrlichen För¬ sters, der uns bis uach Haust, wohin unser Fuhrwerk auf anderen Wegen voraus geschickt worden, zu begleiten hatte. ,Mi,ed deäöie poedvvalonZ- 5e7us Krisle/", (Gelobt sei Jesus Christ) riefen uns minder in einem Sumpfloch plötzlich eine Menge stiller Stimmchen zu, und alsbald krochen ein Dutzend sieben- bis zwölfjähriger Kinder ans Morast und Busch hervor, um uns als adlig gekleideten Leuten nach Landesgebrauch die Knie zu umarmen und zu küssen. Es waren Pilzsammler. Die unglücklichen kleinen Geschöpfe waren beinahe nackt und brann lind blan von der Kühle des Morgens und dem Schmutz des Wassers, in dem sie umherwateten. Bei ihnen war ein ält¬ licher verkrüppelter Bauer, der wegen seiner jämmerlichen Körperconstitntion Kinder- dienste verrichtete. Das beklagenswerte Völkchen gehörte einem Edelmanne an, der, wie wir hier erfuhren, seinen Bauern bei fünfzig Peitschenhieben verboten hatte, von den feinen, ziemlich seltenen Maipilzen, Majoweczki genannt, etwas für sich zu sammeln. Dagegen hatte er jedem die VerpfliclMng auferlegt, ihm für seine Herrentafel mindestens zwei Garrica, Metzen, einzuliefern. Wir wünschten diesem Schuft von Edelmann, daß er zur Strafe einen Monat lang in denselben Morästen umhergetrieben werden möchte, in welche seine tyrannische Feinschmeckerei die armseligen Kinder seiner Sclaven hineinsetzt. Wir fluchten, lachten und zogen weiter, währeud uus die beschenkten Kinder mehrern Heiligen empfahlen, welche gilt für Sümpfe sein sollten. Nachdem wir uus ungefähr zwei Stunden lang durch Gesträuch und Morast geschlagen, befanden wir uns endlich vor einem nichtswürdigen polnischen Brnch- fluß. An manchen Stellen war er kaum ki—8 Schritt breit und mehrere Ellen tief, an andern besaß er gar kein Bett und setzte deu ebenen Boden des Waldes ans unabsehbare Breite unter Wasser; hier und da bildet er Seen. Unter diesen besitzt einer, der bei dem Dorfe Sieinen endet, die Länge einer Meile und die Breite einer halben. — Wir hielten all, die Bauern, welche nach Gewohnheit des Landes mit Beilen bewaffnet waren, schlugen behend einen Baum so nieder, daß er über den Fluß fiel und uns eine Brücke bildete. Wir zogen den greisen Waldmann, welcher uuserer fröhlichen Laune höchst mißtranisch zusah, mit Mühe ans dem runden Stamm herüber, und begrüßten mit einem „Hussah!" die echte podlachische Waldwildniß. Hier standen die Stämme so dicht, daß man oft keine Spur des Himmels dnrch ihre Blättermasse entdeckte, das Unterholz starrte an vielen Stellen in nndurchdrillglicher Dichte, denn es ist, wo der Boden nicht allzu sumpfig ist, mit Schwarzdorn durchwachsen. Zahlreiche Stämme lagen verwesend am Boden. Oft sah man ganze Baumgruppen, die durch den Sturz eines riesenhaften Baumes über den Häuser geschoben waren, und halb stehend, halb liegend umkamen. Da die Wurzeln in dem feuchten Boden keinen kräf¬ tigen Halt gewinnen köunen, so wirft jeder Sturm eine Menge von Bäumen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/274
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/274>, abgerufen am 23.06.2024.