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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Das stille Leben in den polnischen Wäldern.
2.

Ihr Korrespondent bittet um die Erlaubniß, zunächst zu erzählen, was er
selbst in den polnischen Urwäldern gesehen hat.

In einem Dorfe bei Ostrow, grade vor einer der berühmten Waldwüsten,
suchten meine Reisegefährten einen Förster auf, der vor Jahren ihrem Vater
gedient hatte. Der alte Nimrod, mit einem Gesicht wie Baumrinde und einem
mächtigen Schnantzbart, erzählte die wunderlichsten und schreckhaftesten Dinge von
der Wildniß vor uns. Der leidenschaftliche Hang zu Tollheiten erwachte in der
sarmatischen Natur meiner Freunde, und ich erwies mich als Deutscher, ich machte
einige Einwendungen und fügte mich. Wir beschlossen, die Wildniß nicht ans den
hochgelegenen Gegenden zu umgehen, sondern quer zu durchreisen. Vergebens
rang der alte Waldmann die Hände und versicherte, daß dies wegen des Dickichts
und der schändlichsten Sümpfe -- die allerdings wie ein Polyp mit ihren feuchten
Armen den ganzen, Forst durchflechten und stellenweis als Teiche ganze Flächen
bedecken, -- geradezu unmöglich sei. Mit Mühe setzte er dnrch, daß wir darauf
verzichteten, zu Noß in die Büsche zu dringen, und unsere Füße mit wasserdichten
Lederschieuen versahen.

Früh vor Sonnenaufgang traten wi<unsere Wanderung an, wir drei kräftige
Männer in der fröhlichsten Laune, der Förster ging kopfschüttelnd und murrend als
indianischer Läufer voran, zwei Bäuerlein trüge" eine ganze Küche, nämlich einen
Theesamowar, eine Beefsteakmaschine, einige Pfund Fleisch, Brod, Wein und
Branntwein. Nach wenigen Schritten befanden wir uns im Walde. Der Weg
war trocken und gebahnt, und an dem ausgehauenen Holz erkannte man die
Nähe bewohnter Orte. Aber je weiter wir vorwärts schritten, desto mehr wurde
bemerkbar, daß wir uns einer verwahrlosten Gegend näherten; der Weg wurde
schmäler, die Baumwurzeln stießen kräftiger, die Aeste streiften unverschämt an
unsere Mützen. Endlich erreichten wir die erste Niederung, vor welcher uns der
Förster auf dem ganzen Wege Grauen einzuflößen bemüht war. Sie war aller¬
dings nicht schön. Hier verschwand der Weg ganz, und wir mußten auf gut Glück
nach einer imaginären Richtung uns durch Dickicht und Gestrüpp arbeiten. Der
Boden war dergestalt vom Wasser geschwängert, daß wir ihn nicht hätten betreten
können, wenn nicht das abgestorbene Schilfgras von vielen Jahrgängen eine ziem¬
lich starke und kräftige Decke gebildet hätte, die freilich an manchen Stellen von
dem weidenden Viehe in den Morast hineingetreten war. Ein dunkeles Wasser
von Eisentheilen, mit einem braunen schillernden Häutchen überzogen, stand da zu
Tage, und nöthigte uns, die Aeste der Büsche niederzubeugen, um ans diesen vor¬
wärts zu kommen. Meinen polnischen Freunden machte dies ein maßloses Ver-


Das stille Leben in den polnischen Wäldern.
2.

Ihr Korrespondent bittet um die Erlaubniß, zunächst zu erzählen, was er
selbst in den polnischen Urwäldern gesehen hat.

In einem Dorfe bei Ostrow, grade vor einer der berühmten Waldwüsten,
suchten meine Reisegefährten einen Förster auf, der vor Jahren ihrem Vater
gedient hatte. Der alte Nimrod, mit einem Gesicht wie Baumrinde und einem
mächtigen Schnantzbart, erzählte die wunderlichsten und schreckhaftesten Dinge von
der Wildniß vor uns. Der leidenschaftliche Hang zu Tollheiten erwachte in der
sarmatischen Natur meiner Freunde, und ich erwies mich als Deutscher, ich machte
einige Einwendungen und fügte mich. Wir beschlossen, die Wildniß nicht ans den
hochgelegenen Gegenden zu umgehen, sondern quer zu durchreisen. Vergebens
rang der alte Waldmann die Hände und versicherte, daß dies wegen des Dickichts
und der schändlichsten Sümpfe — die allerdings wie ein Polyp mit ihren feuchten
Armen den ganzen, Forst durchflechten und stellenweis als Teiche ganze Flächen
bedecken, — geradezu unmöglich sei. Mit Mühe setzte er dnrch, daß wir darauf
verzichteten, zu Noß in die Büsche zu dringen, und unsere Füße mit wasserdichten
Lederschieuen versahen.

Früh vor Sonnenaufgang traten wi<unsere Wanderung an, wir drei kräftige
Männer in der fröhlichsten Laune, der Förster ging kopfschüttelnd und murrend als
indianischer Läufer voran, zwei Bäuerlein trüge» eine ganze Küche, nämlich einen
Theesamowar, eine Beefsteakmaschine, einige Pfund Fleisch, Brod, Wein und
Branntwein. Nach wenigen Schritten befanden wir uns im Walde. Der Weg
war trocken und gebahnt, und an dem ausgehauenen Holz erkannte man die
Nähe bewohnter Orte. Aber je weiter wir vorwärts schritten, desto mehr wurde
bemerkbar, daß wir uns einer verwahrlosten Gegend näherten; der Weg wurde
schmäler, die Baumwurzeln stießen kräftiger, die Aeste streiften unverschämt an
unsere Mützen. Endlich erreichten wir die erste Niederung, vor welcher uns der
Förster auf dem ganzen Wege Grauen einzuflößen bemüht war. Sie war aller¬
dings nicht schön. Hier verschwand der Weg ganz, und wir mußten auf gut Glück
nach einer imaginären Richtung uns durch Dickicht und Gestrüpp arbeiten. Der
Boden war dergestalt vom Wasser geschwängert, daß wir ihn nicht hätten betreten
können, wenn nicht das abgestorbene Schilfgras von vielen Jahrgängen eine ziem¬
lich starke und kräftige Decke gebildet hätte, die freilich an manchen Stellen von
dem weidenden Viehe in den Morast hineingetreten war. Ein dunkeles Wasser
von Eisentheilen, mit einem braunen schillernden Häutchen überzogen, stand da zu
Tage, und nöthigte uns, die Aeste der Büsche niederzubeugen, um ans diesen vor¬
wärts zu kommen. Meinen polnischen Freunden machte dies ein maßloses Ver-


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[0273] Das stille Leben in den polnischen Wäldern. 2. Ihr Korrespondent bittet um die Erlaubniß, zunächst zu erzählen, was er selbst in den polnischen Urwäldern gesehen hat. In einem Dorfe bei Ostrow, grade vor einer der berühmten Waldwüsten, suchten meine Reisegefährten einen Förster auf, der vor Jahren ihrem Vater gedient hatte. Der alte Nimrod, mit einem Gesicht wie Baumrinde und einem mächtigen Schnantzbart, erzählte die wunderlichsten und schreckhaftesten Dinge von der Wildniß vor uns. Der leidenschaftliche Hang zu Tollheiten erwachte in der sarmatischen Natur meiner Freunde, und ich erwies mich als Deutscher, ich machte einige Einwendungen und fügte mich. Wir beschlossen, die Wildniß nicht ans den hochgelegenen Gegenden zu umgehen, sondern quer zu durchreisen. Vergebens rang der alte Waldmann die Hände und versicherte, daß dies wegen des Dickichts und der schändlichsten Sümpfe — die allerdings wie ein Polyp mit ihren feuchten Armen den ganzen, Forst durchflechten und stellenweis als Teiche ganze Flächen bedecken, — geradezu unmöglich sei. Mit Mühe setzte er dnrch, daß wir darauf verzichteten, zu Noß in die Büsche zu dringen, und unsere Füße mit wasserdichten Lederschieuen versahen. Früh vor Sonnenaufgang traten wi<unsere Wanderung an, wir drei kräftige Männer in der fröhlichsten Laune, der Förster ging kopfschüttelnd und murrend als indianischer Läufer voran, zwei Bäuerlein trüge» eine ganze Küche, nämlich einen Theesamowar, eine Beefsteakmaschine, einige Pfund Fleisch, Brod, Wein und Branntwein. Nach wenigen Schritten befanden wir uns im Walde. Der Weg war trocken und gebahnt, und an dem ausgehauenen Holz erkannte man die Nähe bewohnter Orte. Aber je weiter wir vorwärts schritten, desto mehr wurde bemerkbar, daß wir uns einer verwahrlosten Gegend näherten; der Weg wurde schmäler, die Baumwurzeln stießen kräftiger, die Aeste streiften unverschämt an unsere Mützen. Endlich erreichten wir die erste Niederung, vor welcher uns der Förster auf dem ganzen Wege Grauen einzuflößen bemüht war. Sie war aller¬ dings nicht schön. Hier verschwand der Weg ganz, und wir mußten auf gut Glück nach einer imaginären Richtung uns durch Dickicht und Gestrüpp arbeiten. Der Boden war dergestalt vom Wasser geschwängert, daß wir ihn nicht hätten betreten können, wenn nicht das abgestorbene Schilfgras von vielen Jahrgängen eine ziem¬ lich starke und kräftige Decke gebildet hätte, die freilich an manchen Stellen von dem weidenden Viehe in den Morast hineingetreten war. Ein dunkeles Wasser von Eisentheilen, mit einem braunen schillernden Häutchen überzogen, stand da zu Tage, und nöthigte uns, die Aeste der Büsche niederzubeugen, um ans diesen vor¬ wärts zu kommen. Meinen polnischen Freunden machte dies ein maßloses Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/273>, abgerufen am 23.06.2024.