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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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So darf man behaupten, daß Ostpreußen eine nicht arme Provinz sei; es
gab aber eine Zeit, in der man es eine reiche nennen konnte, das war die Zeit,
als in Danzig, Elbing, Königsberg und Memel Handel und Schifffahrt in vol¬
ler Blüthe standen, als Danzig noch der Stapelplatz für polnischen Weitzen,
Memel der für polnische und preußische Hölzer war, als der Weichsel- und Me-
melstrom vom Frühjahr bis zum Herbst bedeckt waren mit unendlich, langen
Flößen, die aus dem innersten Polen und tief aus Rußland dem Meere zuschwam¬
men. Wer uur eine Stunde laug mit offenen Auge durch die Straßen von
Danzig gegangen ist, muß den schneidenden Contrast empfinden zwischen dem,
was es früher war und was es jetzt ist. Ein gewaltiger Platz auf der Spei-
cheriusel, die "Scharapke" genannt, der dazu diente, die Getreideladungen der
polnischen Flöße und "Wittinnen" (flache Lastfahrzeuge ohne eigentliches Ver¬
deck) aufzunehmen, damit sie vor ihrem Verladen in die Seeschiffe umgestochen
würden, gibt uns noch einen Beweis von dem Verkehr, der hier einst war.
Wenn heute die polnischen Greuzbäume fallen, so ist Preußen eine Provinz, die
sich mit jeder andern des preußischen Staates wenigstens messen kann, wenn
sie nicht, was ich für wahrscheinlich halte, alle andern noch überflügelt. -- "Jetzt
ist Polen offen" ist ein in der Provinz übliches Sprichwort, wenn man anzeigen
will, daß eine Sache ihren glücklichen Wendepunkt erreicht hat. -- Daß der
deutsche wie der specifisch preußische Patriotismus in Danzig und Memel ein
sehr rarer Artikel ist, daß die Kaufleute beider Städte ohne sonderliche Kum¬
mer die Einverleibung ihrer Wohnörter in's russische Reich ansehen würden, daß
sich manche sogar danach sehnen und diese Sehnsucht unverhohlen aussprechen,
ist eine traurige, aber nnr natürliche Folge dieser Verhältnisse. Kaum weniger
als durch die russische Grenzsperre leidet der preußische Handel durch die vou
der eigenen Regierung eingeführten Schutzzölle; besonders schmerzlich werden die
auf englisches und schwedisches Eisen, ein zum Schiffsbau unentbehrlicher Artikel,
der durch das schlesische Eisen gar nicht ersetzt werden kann, gelegten empfun¬
den. Der Minister v. d. Heydt mußte, als er im Herbst vorigen Jahres die
östlichen Provinzen bereiste, viele Klagen darüber hören; man setzte ihm das Unrecht
auseinander, daß Schlesien, dessen blühenden Leinwandhandel nach Spanien man
um einer Chimäre willen vernichtet, dessen reichen Absatzweg nach Krcckan man aus
der unverzeihlichsten Unkenntnis; der Verhältnisse im Jahre 1846 mit einem Schlage
versperrte, um einen kärglichen Gewinn auf Kosten der Ostseeprovinzen genießen
sollte. -- Es ist bis jetzt beim Alten geblieben!




So darf man behaupten, daß Ostpreußen eine nicht arme Provinz sei; es
gab aber eine Zeit, in der man es eine reiche nennen konnte, das war die Zeit,
als in Danzig, Elbing, Königsberg und Memel Handel und Schifffahrt in vol¬
ler Blüthe standen, als Danzig noch der Stapelplatz für polnischen Weitzen,
Memel der für polnische und preußische Hölzer war, als der Weichsel- und Me-
melstrom vom Frühjahr bis zum Herbst bedeckt waren mit unendlich, langen
Flößen, die aus dem innersten Polen und tief aus Rußland dem Meere zuschwam¬
men. Wer uur eine Stunde laug mit offenen Auge durch die Straßen von
Danzig gegangen ist, muß den schneidenden Contrast empfinden zwischen dem,
was es früher war und was es jetzt ist. Ein gewaltiger Platz auf der Spei-
cheriusel, die „Scharapke" genannt, der dazu diente, die Getreideladungen der
polnischen Flöße und „Wittinnen" (flache Lastfahrzeuge ohne eigentliches Ver¬
deck) aufzunehmen, damit sie vor ihrem Verladen in die Seeschiffe umgestochen
würden, gibt uns noch einen Beweis von dem Verkehr, der hier einst war.
Wenn heute die polnischen Greuzbäume fallen, so ist Preußen eine Provinz, die
sich mit jeder andern des preußischen Staates wenigstens messen kann, wenn
sie nicht, was ich für wahrscheinlich halte, alle andern noch überflügelt. — „Jetzt
ist Polen offen" ist ein in der Provinz übliches Sprichwort, wenn man anzeigen
will, daß eine Sache ihren glücklichen Wendepunkt erreicht hat. — Daß der
deutsche wie der specifisch preußische Patriotismus in Danzig und Memel ein
sehr rarer Artikel ist, daß die Kaufleute beider Städte ohne sonderliche Kum¬
mer die Einverleibung ihrer Wohnörter in's russische Reich ansehen würden, daß
sich manche sogar danach sehnen und diese Sehnsucht unverhohlen aussprechen,
ist eine traurige, aber nnr natürliche Folge dieser Verhältnisse. Kaum weniger
als durch die russische Grenzsperre leidet der preußische Handel durch die vou
der eigenen Regierung eingeführten Schutzzölle; besonders schmerzlich werden die
auf englisches und schwedisches Eisen, ein zum Schiffsbau unentbehrlicher Artikel,
der durch das schlesische Eisen gar nicht ersetzt werden kann, gelegten empfun¬
den. Der Minister v. d. Heydt mußte, als er im Herbst vorigen Jahres die
östlichen Provinzen bereiste, viele Klagen darüber hören; man setzte ihm das Unrecht
auseinander, daß Schlesien, dessen blühenden Leinwandhandel nach Spanien man
um einer Chimäre willen vernichtet, dessen reichen Absatzweg nach Krcckan man aus
der unverzeihlichsten Unkenntnis; der Verhältnisse im Jahre 1846 mit einem Schlage
versperrte, um einen kärglichen Gewinn auf Kosten der Ostseeprovinzen genießen
sollte. — Es ist bis jetzt beim Alten geblieben!




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[0272] So darf man behaupten, daß Ostpreußen eine nicht arme Provinz sei; es gab aber eine Zeit, in der man es eine reiche nennen konnte, das war die Zeit, als in Danzig, Elbing, Königsberg und Memel Handel und Schifffahrt in vol¬ ler Blüthe standen, als Danzig noch der Stapelplatz für polnischen Weitzen, Memel der für polnische und preußische Hölzer war, als der Weichsel- und Me- melstrom vom Frühjahr bis zum Herbst bedeckt waren mit unendlich, langen Flößen, die aus dem innersten Polen und tief aus Rußland dem Meere zuschwam¬ men. Wer uur eine Stunde laug mit offenen Auge durch die Straßen von Danzig gegangen ist, muß den schneidenden Contrast empfinden zwischen dem, was es früher war und was es jetzt ist. Ein gewaltiger Platz auf der Spei- cheriusel, die „Scharapke" genannt, der dazu diente, die Getreideladungen der polnischen Flöße und „Wittinnen" (flache Lastfahrzeuge ohne eigentliches Ver¬ deck) aufzunehmen, damit sie vor ihrem Verladen in die Seeschiffe umgestochen würden, gibt uns noch einen Beweis von dem Verkehr, der hier einst war. Wenn heute die polnischen Greuzbäume fallen, so ist Preußen eine Provinz, die sich mit jeder andern des preußischen Staates wenigstens messen kann, wenn sie nicht, was ich für wahrscheinlich halte, alle andern noch überflügelt. — „Jetzt ist Polen offen" ist ein in der Provinz übliches Sprichwort, wenn man anzeigen will, daß eine Sache ihren glücklichen Wendepunkt erreicht hat. — Daß der deutsche wie der specifisch preußische Patriotismus in Danzig und Memel ein sehr rarer Artikel ist, daß die Kaufleute beider Städte ohne sonderliche Kum¬ mer die Einverleibung ihrer Wohnörter in's russische Reich ansehen würden, daß sich manche sogar danach sehnen und diese Sehnsucht unverhohlen aussprechen, ist eine traurige, aber nnr natürliche Folge dieser Verhältnisse. Kaum weniger als durch die russische Grenzsperre leidet der preußische Handel durch die vou der eigenen Regierung eingeführten Schutzzölle; besonders schmerzlich werden die auf englisches und schwedisches Eisen, ein zum Schiffsbau unentbehrlicher Artikel, der durch das schlesische Eisen gar nicht ersetzt werden kann, gelegten empfun¬ den. Der Minister v. d. Heydt mußte, als er im Herbst vorigen Jahres die östlichen Provinzen bereiste, viele Klagen darüber hören; man setzte ihm das Unrecht auseinander, daß Schlesien, dessen blühenden Leinwandhandel nach Spanien man um einer Chimäre willen vernichtet, dessen reichen Absatzweg nach Krcckan man aus der unverzeihlichsten Unkenntnis; der Verhältnisse im Jahre 1846 mit einem Schlage versperrte, um einen kärglichen Gewinn auf Kosten der Ostseeprovinzen genießen sollte. — Es ist bis jetzt beim Alten geblieben!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/272>, abgerufen am 23.06.2024.