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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Ostpreußen gilt in Deutschland für eine arme Provinz, und selbst Leute, die
hier wohnen und auf Reisen in andern Gegenden ein bunteres, genußreicheres
Leben gesunden und t'euren gelernt haben, sprechen dieselbe Allsicht aus; ich kann
sie nicht theilen.

Ackerbau, mit Viehzucht vereinigt, und Handel zur See siud die Felder,
deuen die Kräfte der Provinz fast ausschließlich zugewandt siud. Fabrikwesen gibt
es hier nicht; ein Paar unbedeutende Hammerwerke und Glashütten siud uicht
der Erwähnung werth. Ebensowenig ist von unterirdische Reichthümern, Kohlell¬
oder Erzlagern die Rede; die geringe Quantität Steinkohlen, welche z. B. bei
deu hiesigen Dampfschiffen und als Luxusartikel in wenigen reichem Häusern auf
dem Kamin verbrannt werden, kommt voll England. Den Bernstein kann man
bei dieser Gelegenheit wohl nennen, doch wird er in erheblichem Massen nur in
einem kleinen Kreise, auf der westlichen Küste des Samlands, zwischen Pillall
lind Bruesterort, gewonnen. Er war früher ein Regal; doch hat sich das Ver¬
hältniß seit etwa 15 Jahren zu Gunsten der Grulldeigeuthümer geändert, was
besonders den Bemühungen des damaligen Landraths Fischhausener Kreises, spä¬
tern Polizeipräsidenten in Königsberg, or. Abegg, zu danken ist. --

Die Resultate des Ackerbaus siud durchweg günstige, obgleich klimatische
Einwirkungen denselben im Verhältniß zu allen andern Gegenden Deutschlands
bedeutend erschweren. Zwei Umstände sind es namentlich, denen ich diese gün¬
stigen Erfolge zuschreibe.

Erstens ist ein richtiges Verhältniß zwischen großem und kleinen Besitz. Ich
kenne aus eigner Anschauung zwei Provinzen, die matt in dieser Beziehung als
Beispiele einander gegenüber halten kann: Ostpreußen und Oberschlesien. In
Oberschlesien -- ich spreche hier hauptsächlich von dem rechten Oderufer, auf
dem linken sind die Verhältnisse in dieser wie in jeder andern Beziehung gün¬
stiger -- sind zahlreiche Beispiele eines kolossalen Grundbesitzes; dem Grafen
Renard gehört der Gr. Strehlitzer Kreis fast ganz und der Lublinitzer wohl zur
Hälfte; der Fürst v. Pleß hat vielleicht den sechsten Theil des Plesser Kreises
als Thiergarten; die Forsten des Herzogs .von Ratibor sollen allein 90,000
Morgen betragen, und mit ähnlichen Zahlen wären da noch 2 oder 3 Henckel'sche
Herrschaften, mehrere Hohenlohesche ze. zu nennen. Daneben findet sich eine An-
zahl kleiner Besitzungen, aber sie sind, im Verhältniß zur Tragfähigkeit des Bo-
dens, wieder zu klein, um sich als Ackernahrungeu selbstständig erhalten zu köunen;
denn diese Rücksicht muß überall das geringste Maß des kleinen Besitzes be¬
stimmen. 15--20 Morgen dürftigen Sandbodens sind nicht genug, um den Be¬
sitzer ordentlich zu ernähren; er wird sich sür seinen Bedarf die nöthigen Kartoffeln
darauf erbauen und im Uebrigen als Tagelöhner oder Vekturaut seinem Verdienste
nachgehen, der nur sehr genug ist, weil er eine Unzahl in ähnlichen Verhältnissen
lebender Concurrenten hat; von den 20 Morgen werden aber dann nur etwa -4


Grenzboten. I. 18SI. 33

Ostpreußen gilt in Deutschland für eine arme Provinz, und selbst Leute, die
hier wohnen und auf Reisen in andern Gegenden ein bunteres, genußreicheres
Leben gesunden und t'euren gelernt haben, sprechen dieselbe Allsicht aus; ich kann
sie nicht theilen.

Ackerbau, mit Viehzucht vereinigt, und Handel zur See siud die Felder,
deuen die Kräfte der Provinz fast ausschließlich zugewandt siud. Fabrikwesen gibt
es hier nicht; ein Paar unbedeutende Hammerwerke und Glashütten siud uicht
der Erwähnung werth. Ebensowenig ist von unterirdische Reichthümern, Kohlell¬
oder Erzlagern die Rede; die geringe Quantität Steinkohlen, welche z. B. bei
deu hiesigen Dampfschiffen und als Luxusartikel in wenigen reichem Häusern auf
dem Kamin verbrannt werden, kommt voll England. Den Bernstein kann man
bei dieser Gelegenheit wohl nennen, doch wird er in erheblichem Massen nur in
einem kleinen Kreise, auf der westlichen Küste des Samlands, zwischen Pillall
lind Bruesterort, gewonnen. Er war früher ein Regal; doch hat sich das Ver¬
hältniß seit etwa 15 Jahren zu Gunsten der Grulldeigeuthümer geändert, was
besonders den Bemühungen des damaligen Landraths Fischhausener Kreises, spä¬
tern Polizeipräsidenten in Königsberg, or. Abegg, zu danken ist. —

Die Resultate des Ackerbaus siud durchweg günstige, obgleich klimatische
Einwirkungen denselben im Verhältniß zu allen andern Gegenden Deutschlands
bedeutend erschweren. Zwei Umstände sind es namentlich, denen ich diese gün¬
stigen Erfolge zuschreibe.

Erstens ist ein richtiges Verhältniß zwischen großem und kleinen Besitz. Ich
kenne aus eigner Anschauung zwei Provinzen, die matt in dieser Beziehung als
Beispiele einander gegenüber halten kann: Ostpreußen und Oberschlesien. In
Oberschlesien — ich spreche hier hauptsächlich von dem rechten Oderufer, auf
dem linken sind die Verhältnisse in dieser wie in jeder andern Beziehung gün¬
stiger — sind zahlreiche Beispiele eines kolossalen Grundbesitzes; dem Grafen
Renard gehört der Gr. Strehlitzer Kreis fast ganz und der Lublinitzer wohl zur
Hälfte; der Fürst v. Pleß hat vielleicht den sechsten Theil des Plesser Kreises
als Thiergarten; die Forsten des Herzogs .von Ratibor sollen allein 90,000
Morgen betragen, und mit ähnlichen Zahlen wären da noch 2 oder 3 Henckel'sche
Herrschaften, mehrere Hohenlohesche ze. zu nennen. Daneben findet sich eine An-
zahl kleiner Besitzungen, aber sie sind, im Verhältniß zur Tragfähigkeit des Bo-
dens, wieder zu klein, um sich als Ackernahrungeu selbstständig erhalten zu köunen;
denn diese Rücksicht muß überall das geringste Maß des kleinen Besitzes be¬
stimmen. 15—20 Morgen dürftigen Sandbodens sind nicht genug, um den Be¬
sitzer ordentlich zu ernähren; er wird sich sür seinen Bedarf die nöthigen Kartoffeln
darauf erbauen und im Uebrigen als Tagelöhner oder Vekturaut seinem Verdienste
nachgehen, der nur sehr genug ist, weil er eine Unzahl in ähnlichen Verhältnissen
lebender Concurrenten hat; von den 20 Morgen werden aber dann nur etwa -4


Grenzboten. I. 18SI. 33
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[0269] Ostpreußen gilt in Deutschland für eine arme Provinz, und selbst Leute, die hier wohnen und auf Reisen in andern Gegenden ein bunteres, genußreicheres Leben gesunden und t'euren gelernt haben, sprechen dieselbe Allsicht aus; ich kann sie nicht theilen. Ackerbau, mit Viehzucht vereinigt, und Handel zur See siud die Felder, deuen die Kräfte der Provinz fast ausschließlich zugewandt siud. Fabrikwesen gibt es hier nicht; ein Paar unbedeutende Hammerwerke und Glashütten siud uicht der Erwähnung werth. Ebensowenig ist von unterirdische Reichthümern, Kohlell¬ oder Erzlagern die Rede; die geringe Quantität Steinkohlen, welche z. B. bei deu hiesigen Dampfschiffen und als Luxusartikel in wenigen reichem Häusern auf dem Kamin verbrannt werden, kommt voll England. Den Bernstein kann man bei dieser Gelegenheit wohl nennen, doch wird er in erheblichem Massen nur in einem kleinen Kreise, auf der westlichen Küste des Samlands, zwischen Pillall lind Bruesterort, gewonnen. Er war früher ein Regal; doch hat sich das Ver¬ hältniß seit etwa 15 Jahren zu Gunsten der Grulldeigeuthümer geändert, was besonders den Bemühungen des damaligen Landraths Fischhausener Kreises, spä¬ tern Polizeipräsidenten in Königsberg, or. Abegg, zu danken ist. — Die Resultate des Ackerbaus siud durchweg günstige, obgleich klimatische Einwirkungen denselben im Verhältniß zu allen andern Gegenden Deutschlands bedeutend erschweren. Zwei Umstände sind es namentlich, denen ich diese gün¬ stigen Erfolge zuschreibe. Erstens ist ein richtiges Verhältniß zwischen großem und kleinen Besitz. Ich kenne aus eigner Anschauung zwei Provinzen, die matt in dieser Beziehung als Beispiele einander gegenüber halten kann: Ostpreußen und Oberschlesien. In Oberschlesien — ich spreche hier hauptsächlich von dem rechten Oderufer, auf dem linken sind die Verhältnisse in dieser wie in jeder andern Beziehung gün¬ stiger — sind zahlreiche Beispiele eines kolossalen Grundbesitzes; dem Grafen Renard gehört der Gr. Strehlitzer Kreis fast ganz und der Lublinitzer wohl zur Hälfte; der Fürst v. Pleß hat vielleicht den sechsten Theil des Plesser Kreises als Thiergarten; die Forsten des Herzogs .von Ratibor sollen allein 90,000 Morgen betragen, und mit ähnlichen Zahlen wären da noch 2 oder 3 Henckel'sche Herrschaften, mehrere Hohenlohesche ze. zu nennen. Daneben findet sich eine An- zahl kleiner Besitzungen, aber sie sind, im Verhältniß zur Tragfähigkeit des Bo- dens, wieder zu klein, um sich als Ackernahrungeu selbstständig erhalten zu köunen; denn diese Rücksicht muß überall das geringste Maß des kleinen Besitzes be¬ stimmen. 15—20 Morgen dürftigen Sandbodens sind nicht genug, um den Be¬ sitzer ordentlich zu ernähren; er wird sich sür seinen Bedarf die nöthigen Kartoffeln darauf erbauen und im Uebrigen als Tagelöhner oder Vekturaut seinem Verdienste nachgehen, der nur sehr genug ist, weil er eine Unzahl in ähnlichen Verhältnissen lebender Concurrenten hat; von den 20 Morgen werden aber dann nur etwa -4 Grenzboten. I. 18SI. 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/269>, abgerufen am 23.06.2024.