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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Provinzen an sich gerissen hat, kann auf die Länge ebenso wenig die Weichsel-
und Pregel-Mündungen entbehren, als wir uus die Rolle einer von allem Verkeh.r
mit dem Hinterland abgeschlossenen Küste gefallen lassen können. Wir sind das
Rhodus, ans welchem der Staat Friedrichs einst wird tanzen müssen, wenn er
nicht einen Selbstmord begehen will.

Wie mächtig unsere deutsche Gesinnung ist, haben wir ans dem vereinigten
Landtag gezeigt. Damals haben unsere Abgeordneten, mit der Beistimmung des
bei weitem größern Theils im Volke, dem Interesse des Gesammtstaats ein Opfer
gebracht, an welchem unsere Provinz freilich immer noch leidet. Gerade weil die
übrigen deutschen Länder durch das mit einer wunderbaren Schnelligkeit ausgebrei¬
tete Eisenbahnnetz einander so nahe gebracht siud, ist uus unsere isolirte Stellung
doppelt empfindlich. Auf der Eisenbahn ist Jedermann gleichmäßig zu Hause;
von Woldeuberg aber in der Postkutsche in einer endlosen Tour dnrch die lang¬
weiligen Gegenden von Pomerellen, die Tuchelsche Haide mit ihren eintönigen,
verkümmerten Föhren zu fahren, die nur durch das bunte Gras der Senft-Pil-
sach'schen Berieselnngsanstalten ans eine kurze Strecke malerisch unterbrochen wird,--
ein Anblick, der freilich dein Lande theuer zu steheu kommt, denn bekanntlich
kommt das Heu, welches mau dort gewinnt, ziemlich so theuer als Thee -- eine
solche Reise ist uur für deu Meß- und Geschäftsreisenden zu ertragen. Ich bin
aber überzeugt, daß mit dem Zustandekommen der Eisenbahn das Verhältniß sich
ändern wird. Zuerst werden die prächtigen Reliquien, die uns aus uuserer Vor¬
zeit übrig geblieben siud, das Interesse der deutschen Reisenden anziehen, .und
dann wird man sich überzeugen, daß die innern Verhältnisse der Provinz noch
immer von der Art sind, deutschen! Fleiß und deutscher Bildung einen angemessenen
Schauplatz der Wirksamkeit zu bereiten.

Ich behalte mir vor, in einer folgenden Skizze die Physiognomie des Landes
zu zeichnen, die durch seine geographische Grundlage wie durch die ganz eigen¬
thümliche Geschichte seiner Bevölkerung bedingt ist. Hier nur einige allgemeine
Bemerkungen über seine Culturverhältnisse und die Abwehr einiger weit verbreiteten
Irrthümer.

Mau scheint ziemlich allgemein der Allsicht zu sein, in der Bevölkerung Ost¬
preußens, besonders in der niedern Classe derselben, herrsche das polnische Ele¬
ment vor; das ist falsch. Vorwiegend polnisch sind in dem eigentlichen Ost-
preußen (deu Regierungsbezirken Königsberg lind Gumbinnen) die Kreise an der
russisch-polnischen Grenze (Neidellburg, Osterode, Altenstein, Johannesburg, Lyk,
Oletzko), das sogenannte "Masuren"; doch unterscheiden sich auch die polnischen
Bewohner dieser Kreise in einem wesentlichen Punkte von den andern polnischen
Stämmen: sie sind nämlich durchgängig streug protestantisch. Polnisch katholische
Bevölkerung ist vorwiegend in den Theilen Westpreußens, welche auf dem linken
Weichselnser liegen und ans dem rechten Weichselufer der Strich von. Marienwerder


Provinzen an sich gerissen hat, kann auf die Länge ebenso wenig die Weichsel-
und Pregel-Mündungen entbehren, als wir uus die Rolle einer von allem Verkeh.r
mit dem Hinterland abgeschlossenen Küste gefallen lassen können. Wir sind das
Rhodus, ans welchem der Staat Friedrichs einst wird tanzen müssen, wenn er
nicht einen Selbstmord begehen will.

Wie mächtig unsere deutsche Gesinnung ist, haben wir ans dem vereinigten
Landtag gezeigt. Damals haben unsere Abgeordneten, mit der Beistimmung des
bei weitem größern Theils im Volke, dem Interesse des Gesammtstaats ein Opfer
gebracht, an welchem unsere Provinz freilich immer noch leidet. Gerade weil die
übrigen deutschen Länder durch das mit einer wunderbaren Schnelligkeit ausgebrei¬
tete Eisenbahnnetz einander so nahe gebracht siud, ist uus unsere isolirte Stellung
doppelt empfindlich. Auf der Eisenbahn ist Jedermann gleichmäßig zu Hause;
von Woldeuberg aber in der Postkutsche in einer endlosen Tour dnrch die lang¬
weiligen Gegenden von Pomerellen, die Tuchelsche Haide mit ihren eintönigen,
verkümmerten Föhren zu fahren, die nur durch das bunte Gras der Senft-Pil-
sach'schen Berieselnngsanstalten ans eine kurze Strecke malerisch unterbrochen wird,—
ein Anblick, der freilich dein Lande theuer zu steheu kommt, denn bekanntlich
kommt das Heu, welches mau dort gewinnt, ziemlich so theuer als Thee — eine
solche Reise ist uur für deu Meß- und Geschäftsreisenden zu ertragen. Ich bin
aber überzeugt, daß mit dem Zustandekommen der Eisenbahn das Verhältniß sich
ändern wird. Zuerst werden die prächtigen Reliquien, die uns aus uuserer Vor¬
zeit übrig geblieben siud, das Interesse der deutschen Reisenden anziehen, .und
dann wird man sich überzeugen, daß die innern Verhältnisse der Provinz noch
immer von der Art sind, deutschen! Fleiß und deutscher Bildung einen angemessenen
Schauplatz der Wirksamkeit zu bereiten.

Ich behalte mir vor, in einer folgenden Skizze die Physiognomie des Landes
zu zeichnen, die durch seine geographische Grundlage wie durch die ganz eigen¬
thümliche Geschichte seiner Bevölkerung bedingt ist. Hier nur einige allgemeine
Bemerkungen über seine Culturverhältnisse und die Abwehr einiger weit verbreiteten
Irrthümer.

Mau scheint ziemlich allgemein der Allsicht zu sein, in der Bevölkerung Ost¬
preußens, besonders in der niedern Classe derselben, herrsche das polnische Ele¬
ment vor; das ist falsch. Vorwiegend polnisch sind in dem eigentlichen Ost-
preußen (deu Regierungsbezirken Königsberg lind Gumbinnen) die Kreise an der
russisch-polnischen Grenze (Neidellburg, Osterode, Altenstein, Johannesburg, Lyk,
Oletzko), das sogenannte „Masuren"; doch unterscheiden sich auch die polnischen
Bewohner dieser Kreise in einem wesentlichen Punkte von den andern polnischen
Stämmen: sie sind nämlich durchgängig streug protestantisch. Polnisch katholische
Bevölkerung ist vorwiegend in den Theilen Westpreußens, welche auf dem linken
Weichselnser liegen und ans dem rechten Weichselufer der Strich von. Marienwerder


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[0267] Provinzen an sich gerissen hat, kann auf die Länge ebenso wenig die Weichsel- und Pregel-Mündungen entbehren, als wir uus die Rolle einer von allem Verkeh.r mit dem Hinterland abgeschlossenen Küste gefallen lassen können. Wir sind das Rhodus, ans welchem der Staat Friedrichs einst wird tanzen müssen, wenn er nicht einen Selbstmord begehen will. Wie mächtig unsere deutsche Gesinnung ist, haben wir ans dem vereinigten Landtag gezeigt. Damals haben unsere Abgeordneten, mit der Beistimmung des bei weitem größern Theils im Volke, dem Interesse des Gesammtstaats ein Opfer gebracht, an welchem unsere Provinz freilich immer noch leidet. Gerade weil die übrigen deutschen Länder durch das mit einer wunderbaren Schnelligkeit ausgebrei¬ tete Eisenbahnnetz einander so nahe gebracht siud, ist uus unsere isolirte Stellung doppelt empfindlich. Auf der Eisenbahn ist Jedermann gleichmäßig zu Hause; von Woldeuberg aber in der Postkutsche in einer endlosen Tour dnrch die lang¬ weiligen Gegenden von Pomerellen, die Tuchelsche Haide mit ihren eintönigen, verkümmerten Föhren zu fahren, die nur durch das bunte Gras der Senft-Pil- sach'schen Berieselnngsanstalten ans eine kurze Strecke malerisch unterbrochen wird,— ein Anblick, der freilich dein Lande theuer zu steheu kommt, denn bekanntlich kommt das Heu, welches mau dort gewinnt, ziemlich so theuer als Thee — eine solche Reise ist uur für deu Meß- und Geschäftsreisenden zu ertragen. Ich bin aber überzeugt, daß mit dem Zustandekommen der Eisenbahn das Verhältniß sich ändern wird. Zuerst werden die prächtigen Reliquien, die uns aus uuserer Vor¬ zeit übrig geblieben siud, das Interesse der deutschen Reisenden anziehen, .und dann wird man sich überzeugen, daß die innern Verhältnisse der Provinz noch immer von der Art sind, deutschen! Fleiß und deutscher Bildung einen angemessenen Schauplatz der Wirksamkeit zu bereiten. Ich behalte mir vor, in einer folgenden Skizze die Physiognomie des Landes zu zeichnen, die durch seine geographische Grundlage wie durch die ganz eigen¬ thümliche Geschichte seiner Bevölkerung bedingt ist. Hier nur einige allgemeine Bemerkungen über seine Culturverhältnisse und die Abwehr einiger weit verbreiteten Irrthümer. Mau scheint ziemlich allgemein der Allsicht zu sein, in der Bevölkerung Ost¬ preußens, besonders in der niedern Classe derselben, herrsche das polnische Ele¬ ment vor; das ist falsch. Vorwiegend polnisch sind in dem eigentlichen Ost- preußen (deu Regierungsbezirken Königsberg lind Gumbinnen) die Kreise an der russisch-polnischen Grenze (Neidellburg, Osterode, Altenstein, Johannesburg, Lyk, Oletzko), das sogenannte „Masuren"; doch unterscheiden sich auch die polnischen Bewohner dieser Kreise in einem wesentlichen Punkte von den andern polnischen Stämmen: sie sind nämlich durchgängig streug protestantisch. Polnisch katholische Bevölkerung ist vorwiegend in den Theilen Westpreußens, welche auf dem linken Weichselnser liegen und ans dem rechten Weichselufer der Strich von. Marienwerder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/267>, abgerufen am 23.06.2024.