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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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lebten, und daß sie auch im Sommer in Pelzen gingen. Ich konnte es den Leuten
nicht ausreden, daß die Gensdarmerie in den masurischen Städten vorzüglich zur Be¬
kämpfung der Wölfe bestimmt sei, die des Winters schaarenweise aus den Wal.
dern auswandern und auf den nngepflasterten Märkten melancholisch den Mond
andeuten sollten. Man hörte mit einem gewissen Erstannen, daß ich noch nie
ein Elenthier gesehen haben wollte, und schrieb diese Versicherung meiner über¬
triebenen Bescheidenheit zu, und ich erfuhr, daß die kapornsche Haide der preu¬
ßische Urwald sei, aus welchem die einsamen, halb verfallene Ritterburgen trüb¬
selig ihre steinernen Häupter erheben sollten. Sogar die deutschen Studenten
haben sich eingeredet, der eigentliche Burscheugeist müsse am Pregel erfrieren,
obgleich ich aus eigner Erfahruu-g versichern kauu, daß wir an Faulheit, Lieder¬
lichkeit und ähnlichen Tugenden, im Durchschnitt genommen, mit dem besten Heidel¬
berger Corps hätten wetteifern können.

Das ist nun freilich eine ganze Reihe von Jahren her, und seitdem hat
unser Verkehr mit unseren Nachbarn bedeutend zugenommen. Aber noch immer
betrachtet es der deutsche Beamte oder Lehrer als eine Art von Verbannung,
wenn er in die Provinz geschickt wird, um mit grauen Erbsen und Kümmel gemä¬
stet, von Wölfen zerrissen zu werden.

Und doch ist Ostpreußen für die deutsche Bildung ein wenigstens ebenso
wichtiges Vorland als Schleswig-Holstein. Unsere Väter haben mit dem Schwert
und mit der Pflugschaar zuerst deu heidnischen Ureinwohnern, dann den übermäch¬
tigen Polen den Boden abgerungen; Menschenalter hindurch haben wir, ein kleines
Häuflein, deu Jagellonen siegreich widerstanden, aber Kaiser und Reich hat uns
verkauft und verrathen. Unsere Städte waren voran in dem edlen Bund der
Hause, bis die^ Einfalt und die Romantik der sogenannten römischen Kaiser, die
während der ganzen Geschichte niemals gewußt haben, was das deutsche Volk
bedeute, auch diesen letzten Hort der deutschen Freiheit untergehen ließ. Aber
unsere Städte haben anch unter der polnischen Herrschaft am deutschen Wesen
festgehalten, und als wir brandenbnrgisch wurden, und dnrch ein sonderbares
Spiel des Zufalls, der aber eine höhere geschichtliche Bedeutung hat, der jungen
norddeutschen Monarchie, welche dazu bestimmt war, Deutschland den Fesseln des
römischen Reichs zu entreißen, den Namen gaben, da wurde das Band mit Deutsch¬
land neu geknüpft, welches später unter dem alten Fritz dnrch die Wiedereroberung
unserer geraubten Länder, die eure sentimentale Politik als "erste Theilung Po¬
lens" brandmarkt, befestigt, und durch die wahrhaft stiefmütterliche Behandlung,
deren wir uns von Seiten der Berliner Negierung erfreut haben, nicht aufgelöst
wurde. Altpreußen ist noch immer die loyalste Provinz der Monarchie, und sie
wird anch wieder die wichtigste werden, denn sie ist der Ort, wo der im Lans
der Geschichte unvermeidliche Kampf mit Rußland ausgekämpft werden muß.
Rußland, der Erbe des polnischen Reichs, der schon unsere stammverwandten


lebten, und daß sie auch im Sommer in Pelzen gingen. Ich konnte es den Leuten
nicht ausreden, daß die Gensdarmerie in den masurischen Städten vorzüglich zur Be¬
kämpfung der Wölfe bestimmt sei, die des Winters schaarenweise aus den Wal.
dern auswandern und auf den nngepflasterten Märkten melancholisch den Mond
andeuten sollten. Man hörte mit einem gewissen Erstannen, daß ich noch nie
ein Elenthier gesehen haben wollte, und schrieb diese Versicherung meiner über¬
triebenen Bescheidenheit zu, und ich erfuhr, daß die kapornsche Haide der preu¬
ßische Urwald sei, aus welchem die einsamen, halb verfallene Ritterburgen trüb¬
selig ihre steinernen Häupter erheben sollten. Sogar die deutschen Studenten
haben sich eingeredet, der eigentliche Burscheugeist müsse am Pregel erfrieren,
obgleich ich aus eigner Erfahruu-g versichern kauu, daß wir an Faulheit, Lieder¬
lichkeit und ähnlichen Tugenden, im Durchschnitt genommen, mit dem besten Heidel¬
berger Corps hätten wetteifern können.

Das ist nun freilich eine ganze Reihe von Jahren her, und seitdem hat
unser Verkehr mit unseren Nachbarn bedeutend zugenommen. Aber noch immer
betrachtet es der deutsche Beamte oder Lehrer als eine Art von Verbannung,
wenn er in die Provinz geschickt wird, um mit grauen Erbsen und Kümmel gemä¬
stet, von Wölfen zerrissen zu werden.

Und doch ist Ostpreußen für die deutsche Bildung ein wenigstens ebenso
wichtiges Vorland als Schleswig-Holstein. Unsere Väter haben mit dem Schwert
und mit der Pflugschaar zuerst deu heidnischen Ureinwohnern, dann den übermäch¬
tigen Polen den Boden abgerungen; Menschenalter hindurch haben wir, ein kleines
Häuflein, deu Jagellonen siegreich widerstanden, aber Kaiser und Reich hat uns
verkauft und verrathen. Unsere Städte waren voran in dem edlen Bund der
Hause, bis die^ Einfalt und die Romantik der sogenannten römischen Kaiser, die
während der ganzen Geschichte niemals gewußt haben, was das deutsche Volk
bedeute, auch diesen letzten Hort der deutschen Freiheit untergehen ließ. Aber
unsere Städte haben anch unter der polnischen Herrschaft am deutschen Wesen
festgehalten, und als wir brandenbnrgisch wurden, und dnrch ein sonderbares
Spiel des Zufalls, der aber eine höhere geschichtliche Bedeutung hat, der jungen
norddeutschen Monarchie, welche dazu bestimmt war, Deutschland den Fesseln des
römischen Reichs zu entreißen, den Namen gaben, da wurde das Band mit Deutsch¬
land neu geknüpft, welches später unter dem alten Fritz dnrch die Wiedereroberung
unserer geraubten Länder, die eure sentimentale Politik als „erste Theilung Po¬
lens" brandmarkt, befestigt, und durch die wahrhaft stiefmütterliche Behandlung,
deren wir uns von Seiten der Berliner Negierung erfreut haben, nicht aufgelöst
wurde. Altpreußen ist noch immer die loyalste Provinz der Monarchie, und sie
wird anch wieder die wichtigste werden, denn sie ist der Ort, wo der im Lans
der Geschichte unvermeidliche Kampf mit Rußland ausgekämpft werden muß.
Rußland, der Erbe des polnischen Reichs, der schon unsere stammverwandten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/266>, abgerufen am 23.06.2024.