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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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der "Königin des Himmels" unzählige Kerzen angebrannt und ihre Priester er¬
hielten wegen der Versöhnung der heiligen Jungfrau zahlreiche und werthvolle
Geschenke und Opfergaben.

Der Aschenregen, welcher selbst von einem englischen Kriegsschiff in bedeu¬
tender Entfernung von der Küste gefühlt wurde, veränderte und verdarb, mit
Ausnahme des Sacate, (einer Art Binsengras) fast sämmtliches Gras des Landes;
ganze Savannen und Waldblößen, die früher ein gesundes Futter getragen hatten,
wurden gänzlich verwüstet, und wo vorher die Rinder eine gute Nahrung gefun¬
den, wuchs uun ein schlechtes unbrauchbares Unkraut. Dieses Unkraut gleicht
vollkommen der großen Nessel, brennt aber nicht, sondern gibt einen ziemlich
angenehmen Geruch, wenn man es mit den Fingern reibt. Es ist mehr als
unnütz, da es von den Rindern mit Widerwillen verschmähet wird und, selbst
wenn man es nmgräbt, immer wieder zum Vorschein kommt. Auf den Bergen,
wo Sacate-Gras wächst, oder in den Wäldern, ist dieses Unkraut uicht zu finden,
wohl aber verdrängt es ans den meisten alten Lichtungen und ans den Savannen
in der Nähe der Städte fast das Wachsthum jeder andern Pflanze.

Die Rinder und das Rothwild in der Wildniß hatten viel zu leiden und es
lagen viele dieser Thiere todt an den Ufern der Flüsse. Das Laub der Bäume,
das während einiger Monate im Jahre ihre hauptsächlichste Nahrung ist, war
gänzlich zerstört und der hierdurch eingetretene Futtermangel raffte viele Opfer
hinweg. Es vergingen einige Jahre, ehe sich das Land anch nur zum Theil
erholen konnte, aber die Zeit vermag nicht den Schaden wieder auszugleichen,
welcher in Bezug auf den Graswuchs angerichtet worden ist."




Bilder ans Ostpreußen.
i.

Man kümmert sich bei Ihnen in Deutschland noch immer viel zu wenig
um unsere Provinz. Mit Ausnahme der kurzen Periode vom Königsberger
Huldigungslandtag bis zu den Er-eignissen des "tollen Jahres," einer Periode,
in welcher der Cours der Königsberger Gesinnungstüchtigkeit und des ostpreußi¬
schen Liberalismus weit über ihren eigentlichen Werth gestiegen war, hat man
uns immer wie einen Verlornen Posten angesehen. Ich habe auf meinen
Reisen in Deutschland die fabelhaftesten Vorstellungen hören müssen. Man hat
ungläubig über meine Behauptung den Kopf geschüttelt, daß auch im Samland
Obstbäume gedeihen; man hat mich mit der Miene einer unwandelbaren Ueber¬
zeugung versichert, daß die Ostpreußen nur von grauen Erbsen, Kümmel und Meth


der „Königin des Himmels" unzählige Kerzen angebrannt und ihre Priester er¬
hielten wegen der Versöhnung der heiligen Jungfrau zahlreiche und werthvolle
Geschenke und Opfergaben.

Der Aschenregen, welcher selbst von einem englischen Kriegsschiff in bedeu¬
tender Entfernung von der Küste gefühlt wurde, veränderte und verdarb, mit
Ausnahme des Sacate, (einer Art Binsengras) fast sämmtliches Gras des Landes;
ganze Savannen und Waldblößen, die früher ein gesundes Futter getragen hatten,
wurden gänzlich verwüstet, und wo vorher die Rinder eine gute Nahrung gefun¬
den, wuchs uun ein schlechtes unbrauchbares Unkraut. Dieses Unkraut gleicht
vollkommen der großen Nessel, brennt aber nicht, sondern gibt einen ziemlich
angenehmen Geruch, wenn man es mit den Fingern reibt. Es ist mehr als
unnütz, da es von den Rindern mit Widerwillen verschmähet wird und, selbst
wenn man es nmgräbt, immer wieder zum Vorschein kommt. Auf den Bergen,
wo Sacate-Gras wächst, oder in den Wäldern, ist dieses Unkraut uicht zu finden,
wohl aber verdrängt es ans den meisten alten Lichtungen und ans den Savannen
in der Nähe der Städte fast das Wachsthum jeder andern Pflanze.

Die Rinder und das Rothwild in der Wildniß hatten viel zu leiden und es
lagen viele dieser Thiere todt an den Ufern der Flüsse. Das Laub der Bäume,
das während einiger Monate im Jahre ihre hauptsächlichste Nahrung ist, war
gänzlich zerstört und der hierdurch eingetretene Futtermangel raffte viele Opfer
hinweg. Es vergingen einige Jahre, ehe sich das Land anch nur zum Theil
erholen konnte, aber die Zeit vermag nicht den Schaden wieder auszugleichen,
welcher in Bezug auf den Graswuchs angerichtet worden ist."




Bilder ans Ostpreußen.
i.

Man kümmert sich bei Ihnen in Deutschland noch immer viel zu wenig
um unsere Provinz. Mit Ausnahme der kurzen Periode vom Königsberger
Huldigungslandtag bis zu den Er-eignissen des „tollen Jahres," einer Periode,
in welcher der Cours der Königsberger Gesinnungstüchtigkeit und des ostpreußi¬
schen Liberalismus weit über ihren eigentlichen Werth gestiegen war, hat man
uns immer wie einen Verlornen Posten angesehen. Ich habe auf meinen
Reisen in Deutschland die fabelhaftesten Vorstellungen hören müssen. Man hat
ungläubig über meine Behauptung den Kopf geschüttelt, daß auch im Samland
Obstbäume gedeihen; man hat mich mit der Miene einer unwandelbaren Ueber¬
zeugung versichert, daß die Ostpreußen nur von grauen Erbsen, Kümmel und Meth


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[0265] der „Königin des Himmels" unzählige Kerzen angebrannt und ihre Priester er¬ hielten wegen der Versöhnung der heiligen Jungfrau zahlreiche und werthvolle Geschenke und Opfergaben. Der Aschenregen, welcher selbst von einem englischen Kriegsschiff in bedeu¬ tender Entfernung von der Küste gefühlt wurde, veränderte und verdarb, mit Ausnahme des Sacate, (einer Art Binsengras) fast sämmtliches Gras des Landes; ganze Savannen und Waldblößen, die früher ein gesundes Futter getragen hatten, wurden gänzlich verwüstet, und wo vorher die Rinder eine gute Nahrung gefun¬ den, wuchs uun ein schlechtes unbrauchbares Unkraut. Dieses Unkraut gleicht vollkommen der großen Nessel, brennt aber nicht, sondern gibt einen ziemlich angenehmen Geruch, wenn man es mit den Fingern reibt. Es ist mehr als unnütz, da es von den Rindern mit Widerwillen verschmähet wird und, selbst wenn man es nmgräbt, immer wieder zum Vorschein kommt. Auf den Bergen, wo Sacate-Gras wächst, oder in den Wäldern, ist dieses Unkraut uicht zu finden, wohl aber verdrängt es ans den meisten alten Lichtungen und ans den Savannen in der Nähe der Städte fast das Wachsthum jeder andern Pflanze. Die Rinder und das Rothwild in der Wildniß hatten viel zu leiden und es lagen viele dieser Thiere todt an den Ufern der Flüsse. Das Laub der Bäume, das während einiger Monate im Jahre ihre hauptsächlichste Nahrung ist, war gänzlich zerstört und der hierdurch eingetretene Futtermangel raffte viele Opfer hinweg. Es vergingen einige Jahre, ehe sich das Land anch nur zum Theil erholen konnte, aber die Zeit vermag nicht den Schaden wieder auszugleichen, welcher in Bezug auf den Graswuchs angerichtet worden ist." Bilder ans Ostpreußen. i. Man kümmert sich bei Ihnen in Deutschland noch immer viel zu wenig um unsere Provinz. Mit Ausnahme der kurzen Periode vom Königsberger Huldigungslandtag bis zu den Er-eignissen des „tollen Jahres," einer Periode, in welcher der Cours der Königsberger Gesinnungstüchtigkeit und des ostpreußi¬ schen Liberalismus weit über ihren eigentlichen Werth gestiegen war, hat man uns immer wie einen Verlornen Posten angesehen. Ich habe auf meinen Reisen in Deutschland die fabelhaftesten Vorstellungen hören müssen. Man hat ungläubig über meine Behauptung den Kopf geschüttelt, daß auch im Samland Obstbäume gedeihen; man hat mich mit der Miene einer unwandelbaren Ueber¬ zeugung versichert, daß die Ostpreußen nur von grauen Erbsen, Kümmel und Meth

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/265>, abgerufen am 23.06.2024.