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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Neue aus ihren Häusern getrieben, und erst nach einiger Zeit wagten sie es, in
ihre Wohnungen zurückzukehren, wo sich die meisten, da es noch sehr früh war,
wieder in ihre Betten und Häugemcttteu legten. -Aber die Dunkelheit schien un-
gewöhnlich lauge zu dauern, mau fühlte allgemein eine eigenthümliche Beengung,
und als die Leute endlich wieder aufstanden, bemerkten sie zu ihrem noch größeren
Schrecken, daß die Luft mit einem sehr feinen grauschwarzen Pulver angefüllt
war, das, in deu Mund, in die Augen, in Nase und Ohren dringend, das Athem
fast unmöglich machte. Man verschloß zunächst so dicht als möglich Thüren und
Fenster, fand aber, daß dieses Schutzmittel mehr als nutzlos war, denn das
Pulver war so sein, daß es in alle Gemächer draug, und der Maugel aller Luft
machte den Aufenthalt in deu Häusern unerträglich. Ein halbes Dutzend Leute
im Laude mochten vielleicht von den letzten Tagen von Pompeji gehört haben
und der Vermuthung sich hingeben, daß sie in einem künftigen Jahrhundert wohl-
erhalten wieder ausgegeben werdeu würden; die Mehrzahl aber setzte ihr Ver¬
trauen auf die Jungfrau Maria und auf die verschiedenen Schutzheiligen, beson¬
ders auf den heiligen Lorenzo, dem man eilten besonderen Einfluß auf Vulcane,
auf Allsbrüche und allerlei Brände zuschreibt.

Thüren und Fenster wurden wieder geöffnet und man griff nach dem weise¬
ren Schutzmittel, sich Kopf und Gesicht mit nassen Tüchern zu verhüllen; Einige
sattelten ihre Pferde und Maulthiere, um zu entfliehen, aber sie würden nur
dem sicheren Tode entgegen geeilt sein. Die armen Thiere leuchten und viele
vou ihnen i'amen um, wenn nicht ihr Eigenthümer vorsichtig und menschlich geung
gewesen war, ihre Köpfe mit nassen Tüchern zu verhüllen. Um die Schrecke"
des Tages zu vermehre", machten sich vou Zeit zu Zeit heftige Erdstöße bemerk¬
bar, während man den ganzen Tag ein Geräusch hörte, das wie ferner Donner
klang. Die Asche fiel noch immer und so verging der Tag; selbst die Vögel
kamen in die Gemächer geflogen, wo Lichter brannten, die aber allerdings kaum
sichtbar waren; die Sonne ging unter und der einzige bemerkbare Unterschied
zwischen Tag lind Nacht bestand darin, daß gänzliche Finsterniß eitler "sichtbaren
Finsterniß" folgte, welche jener ähnlich war, die sich über Pharaos Land verbreitete.'
Es wurde Nacht und die auf dem Tische stehende Lampe brannte wie eine
Straßeulaterue in einem dichten Londoner Nebel, die kaum deu Weg bis zum
nächsten Latemeupfahl beleuchtet. Die Nacht verging und der Morgen sollte
beginnen, denn die Sonne mußte bereits aufgegangen sein -- aber nein, die
einzige Veränderung war ein Uebergang ans schwarzer Finsterniß in graue Fin-
sterniß, und einige Männer und fast alle Frauen eilten in die Kirchen. Dicht
verhüllt und in der Dunkelheit ka"in sichtbar schwebten sie geräuschlos über den
dick mit Asche bedeckten Boden und erinnerten an jene Schatten, die Virgil
beschreibt. Sie warfen sich vor ihren Heiligen nieder, schlugen ihre Brust und
gelobten, für ihre Rettung durch Darbringung vou Kerzen lind anderer Gaben


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Neue aus ihren Häusern getrieben, und erst nach einiger Zeit wagten sie es, in
ihre Wohnungen zurückzukehren, wo sich die meisten, da es noch sehr früh war,
wieder in ihre Betten und Häugemcttteu legten. -Aber die Dunkelheit schien un-
gewöhnlich lauge zu dauern, mau fühlte allgemein eine eigenthümliche Beengung,
und als die Leute endlich wieder aufstanden, bemerkten sie zu ihrem noch größeren
Schrecken, daß die Luft mit einem sehr feinen grauschwarzen Pulver angefüllt
war, das, in deu Mund, in die Augen, in Nase und Ohren dringend, das Athem
fast unmöglich machte. Man verschloß zunächst so dicht als möglich Thüren und
Fenster, fand aber, daß dieses Schutzmittel mehr als nutzlos war, denn das
Pulver war so sein, daß es in alle Gemächer draug, und der Maugel aller Luft
machte den Aufenthalt in deu Häusern unerträglich. Ein halbes Dutzend Leute
im Laude mochten vielleicht von den letzten Tagen von Pompeji gehört haben
und der Vermuthung sich hingeben, daß sie in einem künftigen Jahrhundert wohl-
erhalten wieder ausgegeben werdeu würden; die Mehrzahl aber setzte ihr Ver¬
trauen auf die Jungfrau Maria und auf die verschiedenen Schutzheiligen, beson¬
ders auf den heiligen Lorenzo, dem man eilten besonderen Einfluß auf Vulcane,
auf Allsbrüche und allerlei Brände zuschreibt.

Thüren und Fenster wurden wieder geöffnet und man griff nach dem weise¬
ren Schutzmittel, sich Kopf und Gesicht mit nassen Tüchern zu verhüllen; Einige
sattelten ihre Pferde und Maulthiere, um zu entfliehen, aber sie würden nur
dem sicheren Tode entgegen geeilt sein. Die armen Thiere leuchten und viele
vou ihnen i'amen um, wenn nicht ihr Eigenthümer vorsichtig und menschlich geung
gewesen war, ihre Köpfe mit nassen Tüchern zu verhüllen. Um die Schrecke»
des Tages zu vermehre«, machten sich vou Zeit zu Zeit heftige Erdstöße bemerk¬
bar, während man den ganzen Tag ein Geräusch hörte, das wie ferner Donner
klang. Die Asche fiel noch immer und so verging der Tag; selbst die Vögel
kamen in die Gemächer geflogen, wo Lichter brannten, die aber allerdings kaum
sichtbar waren; die Sonne ging unter und der einzige bemerkbare Unterschied
zwischen Tag lind Nacht bestand darin, daß gänzliche Finsterniß eitler „sichtbaren
Finsterniß" folgte, welche jener ähnlich war, die sich über Pharaos Land verbreitete.'
Es wurde Nacht und die auf dem Tische stehende Lampe brannte wie eine
Straßeulaterue in einem dichten Londoner Nebel, die kaum deu Weg bis zum
nächsten Latemeupfahl beleuchtet. Die Nacht verging und der Morgen sollte
beginnen, denn die Sonne mußte bereits aufgegangen sein — aber nein, die
einzige Veränderung war ein Uebergang ans schwarzer Finsterniß in graue Fin-
sterniß, und einige Männer und fast alle Frauen eilten in die Kirchen. Dicht
verhüllt und in der Dunkelheit ka»in sichtbar schwebten sie geräuschlos über den
dick mit Asche bedeckten Boden und erinnerten an jene Schatten, die Virgil
beschreibt. Sie warfen sich vor ihren Heiligen nieder, schlugen ihre Brust und
gelobten, für ihre Rettung durch Darbringung vou Kerzen lind anderer Gaben


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[0263] Neue aus ihren Häusern getrieben, und erst nach einiger Zeit wagten sie es, in ihre Wohnungen zurückzukehren, wo sich die meisten, da es noch sehr früh war, wieder in ihre Betten und Häugemcttteu legten. -Aber die Dunkelheit schien un- gewöhnlich lauge zu dauern, mau fühlte allgemein eine eigenthümliche Beengung, und als die Leute endlich wieder aufstanden, bemerkten sie zu ihrem noch größeren Schrecken, daß die Luft mit einem sehr feinen grauschwarzen Pulver angefüllt war, das, in deu Mund, in die Augen, in Nase und Ohren dringend, das Athem fast unmöglich machte. Man verschloß zunächst so dicht als möglich Thüren und Fenster, fand aber, daß dieses Schutzmittel mehr als nutzlos war, denn das Pulver war so sein, daß es in alle Gemächer draug, und der Maugel aller Luft machte den Aufenthalt in deu Häusern unerträglich. Ein halbes Dutzend Leute im Laude mochten vielleicht von den letzten Tagen von Pompeji gehört haben und der Vermuthung sich hingeben, daß sie in einem künftigen Jahrhundert wohl- erhalten wieder ausgegeben werdeu würden; die Mehrzahl aber setzte ihr Ver¬ trauen auf die Jungfrau Maria und auf die verschiedenen Schutzheiligen, beson¬ ders auf den heiligen Lorenzo, dem man eilten besonderen Einfluß auf Vulcane, auf Allsbrüche und allerlei Brände zuschreibt. Thüren und Fenster wurden wieder geöffnet und man griff nach dem weise¬ ren Schutzmittel, sich Kopf und Gesicht mit nassen Tüchern zu verhüllen; Einige sattelten ihre Pferde und Maulthiere, um zu entfliehen, aber sie würden nur dem sicheren Tode entgegen geeilt sein. Die armen Thiere leuchten und viele vou ihnen i'amen um, wenn nicht ihr Eigenthümer vorsichtig und menschlich geung gewesen war, ihre Köpfe mit nassen Tüchern zu verhüllen. Um die Schrecke» des Tages zu vermehre«, machten sich vou Zeit zu Zeit heftige Erdstöße bemerk¬ bar, während man den ganzen Tag ein Geräusch hörte, das wie ferner Donner klang. Die Asche fiel noch immer und so verging der Tag; selbst die Vögel kamen in die Gemächer geflogen, wo Lichter brannten, die aber allerdings kaum sichtbar waren; die Sonne ging unter und der einzige bemerkbare Unterschied zwischen Tag lind Nacht bestand darin, daß gänzliche Finsterniß eitler „sichtbaren Finsterniß" folgte, welche jener ähnlich war, die sich über Pharaos Land verbreitete.' Es wurde Nacht und die auf dem Tische stehende Lampe brannte wie eine Straßeulaterue in einem dichten Londoner Nebel, die kaum deu Weg bis zum nächsten Latemeupfahl beleuchtet. Die Nacht verging und der Morgen sollte beginnen, denn die Sonne mußte bereits aufgegangen sein — aber nein, die einzige Veränderung war ein Uebergang ans schwarzer Finsterniß in graue Fin- sterniß, und einige Männer und fast alle Frauen eilten in die Kirchen. Dicht verhüllt und in der Dunkelheit ka»in sichtbar schwebten sie geräuschlos über den dick mit Asche bedeckten Boden und erinnerten an jene Schatten, die Virgil beschreibt. Sie warfen sich vor ihren Heiligen nieder, schlugen ihre Brust und gelobten, für ihre Rettung durch Darbringung vou Kerzen lind anderer Gaben 32*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/263>, abgerufen am 23.06.2024.