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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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So muß -- dies beiläufig -- in Thekla vor Allem die Härte des reinen
sittlichen Gefühls, welches, sicher in sich selbst, über die Unsittlichkeit dieser Welt
empört ist, hervorgehoben werden, eine Härte, die sogar zu unkindlichen Gebahren
gegen ihren Vater führt. Von der Marie Stuart gilt etwas ganz Aehnliches, doch
würde uns das hier zu weit führen.

Daß Schiller in der Jungfrau diese Härte -- die Härte der ihrer selbst ge¬
wissen Begeisterung gegen alle sonstigen sittlichen Rücksichten, mit Absicht hat her¬
vortreten lassen, zeigt jene Scene mit dem Waliser, zeigt der Prolog, in welchem
sich Johanna gegen die Bemühungen ihrer Familie theilnahmlos verhält, zeigt
endlich der ganze Verlauf des Stückes bis zu dem Wendepunkt, wo sie zu dem
Bewußtsein zurückgeführt wird, daß sie ein Weib ist. Mit der Rückkehr dieses
Bewußtseins tritt die Erinnerung an jene alten, früher vernachlässigten Verhältnisse
als geheime Selbstanklage hervor, und wenn in jener glänzend ausgeführten Krönungs-
scene, wo die Jungfran ans dem Gipfel ihres Ruhms durch die furchtbare Anklage
des Vaters getroffen wird, der Himmel mit Donner und Blitz für diese Anklage
sein Zeugniß ablegt, so ist das die Stimme der beleidigten Natur, die mau uicht
ungestraft verläßt. Johanna schweigt zu der Anklage ihres Vaters, die in der
Form ungegründet ist, angeblich, weil sie dieselbe als Strafe für ihre, das Gebot
der Heiligen verletzende Empfindung hinnehmen will, in der That aber, weil sie
anfängt, in sich selbst zu gehen, an sich zu zweifeln, und darum von der plötzlichen
Anklage niedergedrückt wird, ohne sie ganz zu verstehen. Wenn Thibault im
Prolog sagt:


-- -- Das Herz gefällt mir nicht, das streng und kalt
Sich zuschließt in den Jahren des Gefühls -- --

-- -- das deutet
Auf eine schwere Irrung der Natur,


Und später:


sinnbildlich stellt mir dieser Morgentraum
Das eitle Trachten ihres Herzens dar -- --
Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit--
Und Hochmuth ist's, wodurch die Engel fielen u. s. w.

-- So ist dieser Vorwurf bis zu einem gewissen Grade wahr, und daß sie dunkel
fühlt, er sei wahr, trotz seiner anscheinenden Unrichtigkeit, daß sie es fühlt in
dem Augenblicke, wo sie die Einheit ihrer erhöhten Stimmung verloren hat, das
drückt sie in der schweren Stunde der Prüfung nieder. Ein tiefer Schauder erfaßt
sie vor dem Blut, das sie vergossen, das sie nicht vergießen durfte, wenn sie ein
Weib war; und daß sie ein Weib ist, weiß sie jetzt. -- Zwar ermannt sie sich
später in einer neuen Exaltation -- und auch diese Exaltation hat ihre Berend'
mung, was sich vorzugsweise in dem sehr sinnreich erfundenen Gegensatz der
Jungfrau, in Talbot, ausspricht, der in dem Trotz auf die Ueberlegenheit seines
Verstandes und seiner Kraft die Macht des Glaubens verleugnet, und in diesem


So muß — dies beiläufig — in Thekla vor Allem die Härte des reinen
sittlichen Gefühls, welches, sicher in sich selbst, über die Unsittlichkeit dieser Welt
empört ist, hervorgehoben werden, eine Härte, die sogar zu unkindlichen Gebahren
gegen ihren Vater führt. Von der Marie Stuart gilt etwas ganz Aehnliches, doch
würde uns das hier zu weit führen.

Daß Schiller in der Jungfrau diese Härte — die Härte der ihrer selbst ge¬
wissen Begeisterung gegen alle sonstigen sittlichen Rücksichten, mit Absicht hat her¬
vortreten lassen, zeigt jene Scene mit dem Waliser, zeigt der Prolog, in welchem
sich Johanna gegen die Bemühungen ihrer Familie theilnahmlos verhält, zeigt
endlich der ganze Verlauf des Stückes bis zu dem Wendepunkt, wo sie zu dem
Bewußtsein zurückgeführt wird, daß sie ein Weib ist. Mit der Rückkehr dieses
Bewußtseins tritt die Erinnerung an jene alten, früher vernachlässigten Verhältnisse
als geheime Selbstanklage hervor, und wenn in jener glänzend ausgeführten Krönungs-
scene, wo die Jungfran ans dem Gipfel ihres Ruhms durch die furchtbare Anklage
des Vaters getroffen wird, der Himmel mit Donner und Blitz für diese Anklage
sein Zeugniß ablegt, so ist das die Stimme der beleidigten Natur, die mau uicht
ungestraft verläßt. Johanna schweigt zu der Anklage ihres Vaters, die in der
Form ungegründet ist, angeblich, weil sie dieselbe als Strafe für ihre, das Gebot
der Heiligen verletzende Empfindung hinnehmen will, in der That aber, weil sie
anfängt, in sich selbst zu gehen, an sich zu zweifeln, und darum von der plötzlichen
Anklage niedergedrückt wird, ohne sie ganz zu verstehen. Wenn Thibault im
Prolog sagt:


— — Das Herz gefällt mir nicht, das streng und kalt
Sich zuschließt in den Jahren des Gefühls — —

— — das deutet
Auf eine schwere Irrung der Natur,


Und später:


sinnbildlich stellt mir dieser Morgentraum
Das eitle Trachten ihres Herzens dar — —
Sie schämt sich ihrer Niedrigkeit--
Und Hochmuth ist's, wodurch die Engel fielen u. s. w.

— So ist dieser Vorwurf bis zu einem gewissen Grade wahr, und daß sie dunkel
fühlt, er sei wahr, trotz seiner anscheinenden Unrichtigkeit, daß sie es fühlt in
dem Augenblicke, wo sie die Einheit ihrer erhöhten Stimmung verloren hat, das
drückt sie in der schweren Stunde der Prüfung nieder. Ein tiefer Schauder erfaßt
sie vor dem Blut, das sie vergossen, das sie nicht vergießen durfte, wenn sie ein
Weib war; und daß sie ein Weib ist, weiß sie jetzt. — Zwar ermannt sie sich
später in einer neuen Exaltation — und auch diese Exaltation hat ihre Berend'
mung, was sich vorzugsweise in dem sehr sinnreich erfundenen Gegensatz der
Jungfrau, in Talbot, ausspricht, der in dem Trotz auf die Ueberlegenheit seines
Verstandes und seiner Kraft die Macht des Glaubens verleugnet, und in diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/259>, abgerufen am 23.06.2024.