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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Scene mit dem schwarzen Ritter darf nicht wegbleiben, wenn wir anch nicht wis¬
sen, wer er ist, ob der Geist des Atheisten Talbot, oder der Teufel, oder eine
warnende Erscheinung von Oben. Für uns ist er nichts, als der Paukenschlag,
der uns darauf aufmerksam macht, daß sich jetzt etwas Furchtbares begeben soll,
daß wir an der Katastrophe stehen. Ohne diese äußerliche Verstärkung des Ein¬
drucks geht der folgenden Scene die Pointe verloren. Zwar hat uns die Jung¬
frau schon vorher mehrmals erklärt, daß sie sich uicht verlieben dürfe, wenigstens
nicht bis nach erfochtenen Sieg; da uns aber dieses ganze Gebot zu fremd ist,
so vergessen wir es im entscheidenden Augenblick, wenn wir uicht gewaltsam daran
erinnert werdeu, daß wir uns in dem magischen Kreise einer übernatürlichen Macht
befinden, vor deren Gebot wir zu zittern haben, anch wenn wir es nicht verstehen.
Natürlich muß die Erscheinung mit allen Attributen des Theaterschauders, Donner,
Blitz, plötzlicher Nacht u. s. w. umgeben sein. Aus demselben Grunde darf die
Scene mit Montgomery nicht wegbleiben. Die Tödtung dieses Knaben -- der
vielleicht von einem Mädchen gespielt werden sollte, weil es zu ekelhaft ist, einen
Mann zu deu Füßen eines Weibes um sein Leben betteln zu sehen -- soll uns
mit Schauder erfüllen, mit Schauder vor der geheimnißvollen Macht, die in der
Jungfrau waltet, und gegen die auch das natürliche Gefühl, wenn es sich empört,
Sünde ist; und zugleich mit vorahnendem Schauder vor der Unnatur eines Berufs,
.der das Weib sich selbst entfremdet. Die Losreißung Johanna's von ihren
Ketten muß den Eindruck eiues Wunders machen. -- Nur in einem Punkt soll das
Wunderbare gemildert werden: in den Prophezeiungen, die Schiller nach einer
schlechten Theaterconvenieuz der Juugftau in den Mund legt. Prophezeiungen
über Dinge, die wir bereits in der Schule als geschehene lernten, imponiren uns
nicht.

Ich sagte, der Duft des Romantischen solle nicht verwischt werden. Aber
das Geistige, das wirklich Menschliche soll durchscheinen. Die Welt der Wunder
soll dnrch die Idee des höheren Rechts verklärt werden, welches sich geltend macht
auch in dieser abenteuerlichen Region, wo die Wirkung nicht von der Ursache
bedingt wird. -- Diese Aufgabe bedingt vor Allem eine richtige Auffassung des
Charakters der Jungfran.

Man ist im Allgemeinen den Schiller'sehen Heldinnen ziemlich abgeneigt; zum
Theil, weil man sie von einer falschen Seite aufgefaßt hat. Man hält sich an
die melodramatischen Stellen: "Lebt wohl, ihr Berge, du geliebte Lämmerheerde",
"Frommer Stab, o hätt' ich nimmer", "Ellende Wolken, Segler der Lüfte", "der
Eichwald brauset, die Wolken ziehen" n. s. w., Stellen, die artige kleine Fräu¬
lein schon in den Pensionaten declamiren dürfen, und nimmt diese Charaktere
weich und sentimental. -- Sie sind aber eigentlich der Anlage nach hart und
müssen so dargestellt werden, wenn sie die Poesie, die wirklich und in reichem
Maße in ihnen ist, zur Erscheinung bringen sollen.


Scene mit dem schwarzen Ritter darf nicht wegbleiben, wenn wir anch nicht wis¬
sen, wer er ist, ob der Geist des Atheisten Talbot, oder der Teufel, oder eine
warnende Erscheinung von Oben. Für uns ist er nichts, als der Paukenschlag,
der uns darauf aufmerksam macht, daß sich jetzt etwas Furchtbares begeben soll,
daß wir an der Katastrophe stehen. Ohne diese äußerliche Verstärkung des Ein¬
drucks geht der folgenden Scene die Pointe verloren. Zwar hat uns die Jung¬
frau schon vorher mehrmals erklärt, daß sie sich uicht verlieben dürfe, wenigstens
nicht bis nach erfochtenen Sieg; da uns aber dieses ganze Gebot zu fremd ist,
so vergessen wir es im entscheidenden Augenblick, wenn wir uicht gewaltsam daran
erinnert werdeu, daß wir uns in dem magischen Kreise einer übernatürlichen Macht
befinden, vor deren Gebot wir zu zittern haben, anch wenn wir es nicht verstehen.
Natürlich muß die Erscheinung mit allen Attributen des Theaterschauders, Donner,
Blitz, plötzlicher Nacht u. s. w. umgeben sein. Aus demselben Grunde darf die
Scene mit Montgomery nicht wegbleiben. Die Tödtung dieses Knaben — der
vielleicht von einem Mädchen gespielt werden sollte, weil es zu ekelhaft ist, einen
Mann zu deu Füßen eines Weibes um sein Leben betteln zu sehen — soll uns
mit Schauder erfüllen, mit Schauder vor der geheimnißvollen Macht, die in der
Jungfrau waltet, und gegen die auch das natürliche Gefühl, wenn es sich empört,
Sünde ist; und zugleich mit vorahnendem Schauder vor der Unnatur eines Berufs,
.der das Weib sich selbst entfremdet. Die Losreißung Johanna's von ihren
Ketten muß den Eindruck eiues Wunders machen. — Nur in einem Punkt soll das
Wunderbare gemildert werden: in den Prophezeiungen, die Schiller nach einer
schlechten Theaterconvenieuz der Juugftau in den Mund legt. Prophezeiungen
über Dinge, die wir bereits in der Schule als geschehene lernten, imponiren uns
nicht.

Ich sagte, der Duft des Romantischen solle nicht verwischt werden. Aber
das Geistige, das wirklich Menschliche soll durchscheinen. Die Welt der Wunder
soll dnrch die Idee des höheren Rechts verklärt werden, welches sich geltend macht
auch in dieser abenteuerlichen Region, wo die Wirkung nicht von der Ursache
bedingt wird. — Diese Aufgabe bedingt vor Allem eine richtige Auffassung des
Charakters der Jungfran.

Man ist im Allgemeinen den Schiller'sehen Heldinnen ziemlich abgeneigt; zum
Theil, weil man sie von einer falschen Seite aufgefaßt hat. Man hält sich an
die melodramatischen Stellen: „Lebt wohl, ihr Berge, du geliebte Lämmerheerde",
„Frommer Stab, o hätt' ich nimmer", „Ellende Wolken, Segler der Lüfte", „der
Eichwald brauset, die Wolken ziehen" n. s. w., Stellen, die artige kleine Fräu¬
lein schon in den Pensionaten declamiren dürfen, und nimmt diese Charaktere
weich und sentimental. — Sie sind aber eigentlich der Anlage nach hart und
müssen so dargestellt werden, wenn sie die Poesie, die wirklich und in reichem
Maße in ihnen ist, zur Erscheinung bringen sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/258>, abgerufen am 23.06.2024.