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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Revolution, des Kaiserreichs, den Epigonen deS Kaisers sehen wir 1848 an der
Spitze Frankreichs, das inzwischen die Bourbons, das die Orleans verjagt, die
Republik gegründet -- und jetzt nicht' zu wissen scheint, was es mit ihr beginnen
soll. So haben diese Erinnerungen von vornherein ein stoffliches Interesse, und
die Verfasserin hat uns auch ebeu nur ihren Namen verschwiegen. Denn daß es
eine Dame ist, der wir hier begegnen, errathen wir schon auf der ersten Seite,
wo sie bei der Schilderung ihrer ersten Reise nach Paris im Herbste 1817, die
(S. 51) "eine plötzliche Uebersiedelung genannt werden konnte", von der sie
"stets angenehm unterhaltenden, liebenswürdigen Redseligkeit" der alten Franzosen
vom ancien re^ime spricht, und gleich auf der folgenden erfahren wir, daß sie
damals "ein junges Frauenzimmer" gewesen. "Ihre Verhältnisse" (S. 7) führen
sie zuerst in die angesehene Pariser Finanzwelt, in die dauw twanee; den
Sommer 1818 bringt sie in Se. Cloud zu (S. 66), ist bei der Eröffnung der
Session von 1818 auf 1819 uoch in Paris (S. 72), das sie bald darauf verläßt:
die Ermordung des Herzogs v. Berry (Febr. 1820) fällt in die Zeit ihrer Ab¬
wesenheit, nach einer Entfernung von achtzehn Monaten führen sie "neue Ver¬
hältnisse" nach Paris zurück, d. h. sie verheirathet sich dort; von nnn erscheint
sie bei äußerlich unabhängigen Verhältnissen als der Mittelpunkt eines geselligen
Kreises, den sie, bei geistiger Begabung und lebendigem Interesse für Politik, für
Wissenschaft und namentlich für Kunst, um sich zu vereinen weiß, und erst in Folge
der Februarrevolution verläßt sie Paris. Wahrscheinlich lebt sie jetzt irgendwo in
Deutschland in stilleren, einsameren Verhältnissen, die ihr die Muße vergönnen,
die Gestalten, die in raschem Wechsel an ihr vorübergegangen sind, wieder zurück
zu rufen und auch Anderen vorzuführen. Und sie verdient Dank dafür; denn sie
hat gut und sorgfältig beobachtet, sie hat das Glück gehabt, ausgezeichneten Män¬
nern nahe zu steheu, und sie besitzt die Geschicklichkeit, lebendig und anmuthig
Eigenthümlichkeit und Wesen bedeutender Menschen zu schildern, und auch wo sie
zu persönlicher Berührung gar nicht oder wenig gekommen, hat sie doch gesehen,
und aus guten, nicht Jedem zugänglichen Quellen gehört.

Ludwig XVIII. und die Mitglieder seiner Familie, Talleyrand und Decazes,
Courier und Konstant, Humboldt und Cuvier, Madame Tallien, nachherige Prin¬
zessin von Chimay, und die Stael, Sgricci und Delphine Gay, Regnault und
Gerard, Meyerbeer und Mendelssohn, Chopin und Liszt führt sie in bunter
Reihe an uns vorüber: nicht Schatten, nein, lebendige, anschauliche greifbare Ge¬
stalten. Von der Prinzessin von Chimay z. B., die sie 1818 sieht, sagt sie: Sie
war damals einige vierzig Jahre alt. Theils ließ sich ihr Alter ungefähr nach¬
weisen, indem man sie 1794 kaum zwanzig Jahr all wußte, theils zeigte auch die
volle, etwas zum Starken neigende Gestalt den Rückschritt der ersten, blühenden
Jugend; aber nicht leicht sah man wieder so wohl erhaltene Schönheit und ein im¬
posanteres Austreten. Groß, voll, prächtig, erinnerte sie an die historischen Schön-


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Revolution, des Kaiserreichs, den Epigonen deS Kaisers sehen wir 1848 an der
Spitze Frankreichs, das inzwischen die Bourbons, das die Orleans verjagt, die
Republik gegründet — und jetzt nicht' zu wissen scheint, was es mit ihr beginnen
soll. So haben diese Erinnerungen von vornherein ein stoffliches Interesse, und
die Verfasserin hat uns auch ebeu nur ihren Namen verschwiegen. Denn daß es
eine Dame ist, der wir hier begegnen, errathen wir schon auf der ersten Seite,
wo sie bei der Schilderung ihrer ersten Reise nach Paris im Herbste 1817, die
(S. 51) „eine plötzliche Uebersiedelung genannt werden konnte", von der sie
„stets angenehm unterhaltenden, liebenswürdigen Redseligkeit" der alten Franzosen
vom ancien re^ime spricht, und gleich auf der folgenden erfahren wir, daß sie
damals „ein junges Frauenzimmer" gewesen. „Ihre Verhältnisse" (S. 7) führen
sie zuerst in die angesehene Pariser Finanzwelt, in die dauw twanee; den
Sommer 1818 bringt sie in Se. Cloud zu (S. 66), ist bei der Eröffnung der
Session von 1818 auf 1819 uoch in Paris (S. 72), das sie bald darauf verläßt:
die Ermordung des Herzogs v. Berry (Febr. 1820) fällt in die Zeit ihrer Ab¬
wesenheit, nach einer Entfernung von achtzehn Monaten führen sie „neue Ver¬
hältnisse" nach Paris zurück, d. h. sie verheirathet sich dort; von nnn erscheint
sie bei äußerlich unabhängigen Verhältnissen als der Mittelpunkt eines geselligen
Kreises, den sie, bei geistiger Begabung und lebendigem Interesse für Politik, für
Wissenschaft und namentlich für Kunst, um sich zu vereinen weiß, und erst in Folge
der Februarrevolution verläßt sie Paris. Wahrscheinlich lebt sie jetzt irgendwo in
Deutschland in stilleren, einsameren Verhältnissen, die ihr die Muße vergönnen,
die Gestalten, die in raschem Wechsel an ihr vorübergegangen sind, wieder zurück
zu rufen und auch Anderen vorzuführen. Und sie verdient Dank dafür; denn sie
hat gut und sorgfältig beobachtet, sie hat das Glück gehabt, ausgezeichneten Män¬
nern nahe zu steheu, und sie besitzt die Geschicklichkeit, lebendig und anmuthig
Eigenthümlichkeit und Wesen bedeutender Menschen zu schildern, und auch wo sie
zu persönlicher Berührung gar nicht oder wenig gekommen, hat sie doch gesehen,
und aus guten, nicht Jedem zugänglichen Quellen gehört.

Ludwig XVIII. und die Mitglieder seiner Familie, Talleyrand und Decazes,
Courier und Konstant, Humboldt und Cuvier, Madame Tallien, nachherige Prin¬
zessin von Chimay, und die Stael, Sgricci und Delphine Gay, Regnault und
Gerard, Meyerbeer und Mendelssohn, Chopin und Liszt führt sie in bunter
Reihe an uns vorüber: nicht Schatten, nein, lebendige, anschauliche greifbare Ge¬
stalten. Von der Prinzessin von Chimay z. B., die sie 1818 sieht, sagt sie: Sie
war damals einige vierzig Jahre alt. Theils ließ sich ihr Alter ungefähr nach¬
weisen, indem man sie 1794 kaum zwanzig Jahr all wußte, theils zeigte auch die
volle, etwas zum Starken neigende Gestalt den Rückschritt der ersten, blühenden
Jugend; aber nicht leicht sah man wieder so wohl erhaltene Schönheit und ein im¬
posanteres Austreten. Groß, voll, prächtig, erinnerte sie an die historischen Schön-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/231>, abgerufen am 02.10.2024.