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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Aber selbst wenn der Staat in seinem Rechte wäre, so beginge er doch eine
Unklugheit, davon Gebrauch zu machen. Allerdings ist der Zustand des abstracten
Literaten eine Abnormität; es liegt auch in dem innersten Bedürfniß eines jeden
Einzelnen, aus demselben herauszutreten. Der erste Schritt dazu ist das Be¬
wußtsein, daß man eine Heimath habe, einen Ort, an dem man diejenige Thä¬
tigkeit, zu welcher man sich befähigt und berufen glaubt, innerhalb der Schranke
des Gesetzes ausüben kann. Der Staat, der dies unmöglich macht, begeht
ein Verbrechen an der Gesellschaft, denn er erzeugt ihr entschlossene und rücksichts¬
lose Feinde.

Man pflegt diese Maßregeln bei den soliden Bürgern dadurch zu beschö¬
nigen, daß man die ganze Classe in einem zweideutigen Lichte darstellt. Aber
selbst wenn man dazu Grund hätte, so ist die größere oder geringere Würdigkeit
einer Classe kein Gesichtspunkt für ihre staatsbürgerlichen Rechte.

Aber mau möge doch in solchen allgemeinen Urtheilen etwas vorsichtiger sein.
Allerdings herrscht gerade in dieser gegenstandlosen Literatur eine höchst gefähr¬
liche Fäulniß. Für eine Classe, zu der die Mitarbeiter am Zuschauer, an der
Fackel und ähnlichen Blättern gehören, kann man nicht solidarisch eintreten wollen.
Ein College von Ohm und Gödsche zu heißen, ist ein hartes Loos; aber wir
haben denu doch noch einige Namen unter uns, wir haben Lessing, Schiller (daß
er einmal Professor hieß, thut doch nichts zur Sache), Wieland u. s. w. Der
Mann, der sich in dieser schwierigeren Stellung persönliche Achtung gewinnt,
verdient doch wohl eine größere Anerkennung, als der gewöhnliche Handlanger,
der sich blind wie das Pferd in einer Tretmühle bewegen läßt, und dem zu einem
guten Bürger das wesentlichste Erfordernis; abgeht: die Fähigkeit der Selbstbe¬
stimmung.




Erinnerungen aus Paris.
Berlin, 1831. Verlag von Wilhelm Hertz.

Erinnerungen, die Form und Farbe, Gehalt und Gepräge erst durch Suv-
jectivität des Aufzeichnenden empfangen, anonym? aber Erinnerungen ans Paris,
dem ewig bewegten, dem unerschöpflich reichen, in dem jedem Individuum, das zu
beobachten versteht, Bemerkens- und Mittheilenswerthes entgegentritt; Erinne¬
rungen, gesammelt "während eines mehr als dreißigjährigen Aufenthalts in Frank---
reich" (S. 3), umfassend eine Zeit, in der in raschestem Wechsel öffentliche und
gesellige Verhältnisse die mannigfaltigsten Gestaltungen angenommen haben! 1817
steht trotz der zurückgeführten Bourbonen noch mitten in den Traditionen der


Aber selbst wenn der Staat in seinem Rechte wäre, so beginge er doch eine
Unklugheit, davon Gebrauch zu machen. Allerdings ist der Zustand des abstracten
Literaten eine Abnormität; es liegt auch in dem innersten Bedürfniß eines jeden
Einzelnen, aus demselben herauszutreten. Der erste Schritt dazu ist das Be¬
wußtsein, daß man eine Heimath habe, einen Ort, an dem man diejenige Thä¬
tigkeit, zu welcher man sich befähigt und berufen glaubt, innerhalb der Schranke
des Gesetzes ausüben kann. Der Staat, der dies unmöglich macht, begeht
ein Verbrechen an der Gesellschaft, denn er erzeugt ihr entschlossene und rücksichts¬
lose Feinde.

Man pflegt diese Maßregeln bei den soliden Bürgern dadurch zu beschö¬
nigen, daß man die ganze Classe in einem zweideutigen Lichte darstellt. Aber
selbst wenn man dazu Grund hätte, so ist die größere oder geringere Würdigkeit
einer Classe kein Gesichtspunkt für ihre staatsbürgerlichen Rechte.

Aber mau möge doch in solchen allgemeinen Urtheilen etwas vorsichtiger sein.
Allerdings herrscht gerade in dieser gegenstandlosen Literatur eine höchst gefähr¬
liche Fäulniß. Für eine Classe, zu der die Mitarbeiter am Zuschauer, an der
Fackel und ähnlichen Blättern gehören, kann man nicht solidarisch eintreten wollen.
Ein College von Ohm und Gödsche zu heißen, ist ein hartes Loos; aber wir
haben denu doch noch einige Namen unter uns, wir haben Lessing, Schiller (daß
er einmal Professor hieß, thut doch nichts zur Sache), Wieland u. s. w. Der
Mann, der sich in dieser schwierigeren Stellung persönliche Achtung gewinnt,
verdient doch wohl eine größere Anerkennung, als der gewöhnliche Handlanger,
der sich blind wie das Pferd in einer Tretmühle bewegen läßt, und dem zu einem
guten Bürger das wesentlichste Erfordernis; abgeht: die Fähigkeit der Selbstbe¬
stimmung.




Erinnerungen aus Paris.
Berlin, 1831. Verlag von Wilhelm Hertz.

Erinnerungen, die Form und Farbe, Gehalt und Gepräge erst durch Suv-
jectivität des Aufzeichnenden empfangen, anonym? aber Erinnerungen ans Paris,
dem ewig bewegten, dem unerschöpflich reichen, in dem jedem Individuum, das zu
beobachten versteht, Bemerkens- und Mittheilenswerthes entgegentritt; Erinne¬
rungen, gesammelt „während eines mehr als dreißigjährigen Aufenthalts in Frank---
reich" (S. 3), umfassend eine Zeit, in der in raschestem Wechsel öffentliche und
gesellige Verhältnisse die mannigfaltigsten Gestaltungen angenommen haben! 1817
steht trotz der zurückgeführten Bourbonen noch mitten in den Traditionen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/230>, abgerufen am 04.07.2024.