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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Der Wolf aber scheint dies Verhältniß genau zu kennen und läßt sich durch Hunde
durchaus nicht beirren. Er geht gemächlich und in seinem kurzen Trabe weiter
und wirst nur uach dieser oder jener Seite seinen tückischen Blick und fletscht
dabei ein wenig die Zähne. Ich habe ein solches Schauspiel ost selbst veran¬
staltet. Die alte edle Race der großen Wolfshunde aber ist in Polen sehr selten,
ich erinnere mich wenigstens nicht, ein solches Thier von reiner Race gesehen zu
haben.

Mau hat auch versucht, Wölfe zu zähmen, um sie zur Hetze gegen Wölfe zu
gebrauchen. Aber die meisten Versuche scheiterten schon bei der Zähmung, indem
die eingekerkerten oder gefesselten Thiere so wenig fraßen, daß sie endlich bis aufs
Gerippe abmagerten und starben. Bei eingefangenen alten Wölfen ist natürlich
gar kein Erfolg möglich. Ich sah einen Wolf, der noch blind aus dem Nest ge¬
nommen und -- ich bitte, mir das Widerliche zu glauben -- mit Menschenmilch,
nämlich an der Brust eines Bauerweibes, aufgezogen worden war. Ehe sich
jenes Bauerweib entschloß, der jungen Bestie ihre Brust zu schenken, hatte man
den Versuch gemacht, ihn in das Nest einer Hündin zu schmuggeln, und diesen
Versuch bei drei Hündinnen wiederholt. Allem jede bewies deu größten Wider¬
willen gegen den kleinen blinden Fremdling, schleppte ihre Jungen W einen andern
Ort und ließ das Wölscheu allem im Neste liegen. Aber trotz dieser niederträchtig
zärtlichen Behandlung blieb das Thier scheu, war zur Vermischung mit. Hunden
durchaus nicht zu bewegen, für irgend eine Dressur ganz unbrauchbar, und war
verschwunden, als es eines Tages zufällig den Weg in den Wald gefunden hatte.

Vielleicht noch reicher als an Wölfen find die polnischen Wälder an Füchsen.
Ihre Menge ist ungeheuer. Ju einzelnen Nächten erfüllen sie die Lüfte dergestalt
mit ihrem Gebell, daß die Wälder Yen Teichen zu vergleichen sind, aus welchen
unzählige Frösche ihre Concerte hervorquacken. Gewöhnlich mischt sich dann auch
das Geheul der Wölfe in das Geschrei der Füchse, und der Lärm im Walde wird
gräulich. Die Bauern Pflegen derartige Waldgesänge übel zu deuten, gehen
während derselben mit langen Stöcken in ihre Hose, schlagen an jede Thür drei
Mal, hängen dann ein Heiligenbild von außen an die Thür der Hütte, knieen
davor nieder, beten, und legen sich bis zu Aufgang der Sonne nichts zur Ruhe.
Die Füchse findet man in den Wäldern immer nur zu zweien beisammen, aber
alle Augenblicke treibt man eins ihrer schmucken Pärchen ans dem Gebüsch auf,
sie fliehen über Hals und Kopf. -- Mehr die Füchse als die Wölfe sind Schuld,
daß es in Polen an Hasen und ähnlichem kleinen Wildpret fast ganz mangelt. Ein
Hase erregt wegen seiner Seltenheit im Dorfe einen viel größern Aufstand, als ein
Nudel von Wölfen. Kommt die Meldung, daß sich ein Hase gezeigt habe, so eilen
augenblicklich alle Bauern mit Stöcken nach dem Edelhof. Der Edelmann läßt sie
eilig den Wald und die Gebüsche besetzen und absperren, die Hunde werden ge¬
koppelt, alles, was Waidmaunsrecht hat, wirft sich aufs Pferd, und nun geht es


Der Wolf aber scheint dies Verhältniß genau zu kennen und läßt sich durch Hunde
durchaus nicht beirren. Er geht gemächlich und in seinem kurzen Trabe weiter
und wirst nur uach dieser oder jener Seite seinen tückischen Blick und fletscht
dabei ein wenig die Zähne. Ich habe ein solches Schauspiel ost selbst veran¬
staltet. Die alte edle Race der großen Wolfshunde aber ist in Polen sehr selten,
ich erinnere mich wenigstens nicht, ein solches Thier von reiner Race gesehen zu
haben.

Mau hat auch versucht, Wölfe zu zähmen, um sie zur Hetze gegen Wölfe zu
gebrauchen. Aber die meisten Versuche scheiterten schon bei der Zähmung, indem
die eingekerkerten oder gefesselten Thiere so wenig fraßen, daß sie endlich bis aufs
Gerippe abmagerten und starben. Bei eingefangenen alten Wölfen ist natürlich
gar kein Erfolg möglich. Ich sah einen Wolf, der noch blind aus dem Nest ge¬
nommen und — ich bitte, mir das Widerliche zu glauben — mit Menschenmilch,
nämlich an der Brust eines Bauerweibes, aufgezogen worden war. Ehe sich
jenes Bauerweib entschloß, der jungen Bestie ihre Brust zu schenken, hatte man
den Versuch gemacht, ihn in das Nest einer Hündin zu schmuggeln, und diesen
Versuch bei drei Hündinnen wiederholt. Allem jede bewies deu größten Wider¬
willen gegen den kleinen blinden Fremdling, schleppte ihre Jungen W einen andern
Ort und ließ das Wölscheu allem im Neste liegen. Aber trotz dieser niederträchtig
zärtlichen Behandlung blieb das Thier scheu, war zur Vermischung mit. Hunden
durchaus nicht zu bewegen, für irgend eine Dressur ganz unbrauchbar, und war
verschwunden, als es eines Tages zufällig den Weg in den Wald gefunden hatte.

Vielleicht noch reicher als an Wölfen find die polnischen Wälder an Füchsen.
Ihre Menge ist ungeheuer. Ju einzelnen Nächten erfüllen sie die Lüfte dergestalt
mit ihrem Gebell, daß die Wälder Yen Teichen zu vergleichen sind, aus welchen
unzählige Frösche ihre Concerte hervorquacken. Gewöhnlich mischt sich dann auch
das Geheul der Wölfe in das Geschrei der Füchse, und der Lärm im Walde wird
gräulich. Die Bauern Pflegen derartige Waldgesänge übel zu deuten, gehen
während derselben mit langen Stöcken in ihre Hose, schlagen an jede Thür drei
Mal, hängen dann ein Heiligenbild von außen an die Thür der Hütte, knieen
davor nieder, beten, und legen sich bis zu Aufgang der Sonne nichts zur Ruhe.
Die Füchse findet man in den Wäldern immer nur zu zweien beisammen, aber
alle Augenblicke treibt man eins ihrer schmucken Pärchen ans dem Gebüsch auf,
sie fliehen über Hals und Kopf. — Mehr die Füchse als die Wölfe sind Schuld,
daß es in Polen an Hasen und ähnlichem kleinen Wildpret fast ganz mangelt. Ein
Hase erregt wegen seiner Seltenheit im Dorfe einen viel größern Aufstand, als ein
Nudel von Wölfen. Kommt die Meldung, daß sich ein Hase gezeigt habe, so eilen
augenblicklich alle Bauern mit Stöcken nach dem Edelhof. Der Edelmann läßt sie
eilig den Wald und die Gebüsche besetzen und absperren, die Hunde werden ge¬
koppelt, alles, was Waidmaunsrecht hat, wirft sich aufs Pferd, und nun geht es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/222>, abgerufen am 01.07.2024.