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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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hinaus, als ob ein Land erobert oder ein Elephant erlegt werden sollte. Wenn
man den polnischen Edelleuten erzählt, daß bei einem Treibjagen in Deutschland
von einem halben Hundert Jäger an 1W0 Hasen geschossen werden konnten, so
mangelt ihnen der Glaube ebeu so sehr, als deu Deutschen, wenn man ihnen sagt,
daß in einem einzigen polnischen Walde leicht über tausend Wölfe zu todten wären.

Bei der ungeheuerm Menge von Raubthieren kommt auch das Hochwild uicht
auf. Hirsche fus'-t man im Lande als eine Sehenswürdigkeit umher, Rehe kommeu
vor, aber uoch seltener als Hasen; dagegen mangelt es uicht an wildeu Schweinen;
es scheint, daß diese sich gegen die Wölfe tapfer zu behaupten wissen.

In den polnischen Wäldern, welche mit deu lithauischen in Verbindung steheu
und die wildesten des Landes sind, sind in neuerer Zeit auch Bären bemerkt
wordeu, welche sich seit vielen Jahren in Polen nicht hatten sehen lassen. Einer
wagte sich im Jahre 1842 sogar bis in die Gegend von Pnlawy und setzte dort
eine Bauerngemeinde, welche nach der Kirche zog, dergestalt in Schrecken, daß
einige Männer und Frauen in die Weichsel sprangen. Die Leute hielten den
schwarzen Waldbewohner für den Teufel und das Jammergeschrei, welches sehr
bald durch die Dörfer des Halben Königreichs drang, veranlaßte die wackeren
Mönche des Klosters Czenstochan, die Zeit der Wallfahrt zu ihrem Wunder wir¬
kenden Marienbilde auf einige Wochen früher anzusetzen und durch ihre Amts¬
bruder dringend zu der Wallfahrt aufzufordern, mit Berufung darauf, daß der
Teufel sich leibhaftig bei Pulawy, "ja auch an verschiedenen andern Orten gezeigt
habe."

Zum Unglück für die frommen Mönche von Czenstochan kommt es zu selten
vor, daß Bären gesehen und für Teufel gehalten werden. Sie sind nur arme
Verirrte und wagen sich nicht leicht aus deu wildesten Theilen des Waldes hervor.
Ein Förster bei Horodlo fand zwei beisammen, und unsern Sawin wurde ein
Kind von einem Bären angefallen. Derselbe zerbiß dem Kinde den Arm, warf
sich zum Glück aber dann sogleich auf ein Stück Vieh. Allein dies sind, wie
gesagt, seltene Fälle; sie to'unen häufig werdeu, wenn die Vernachlässigung der
Wälder und der Jagd so fortdauert, wie in deu letzten Jahrzehnten.

Wölfe, Füchse und Bären sind jedoch keineswegs die einzigen Bewohner der
polnischen Waldwildnisse. Man findet auch andere Geschöpfe darin, die zwar
jenen Thieren nicht an Farbe und Gestalt, aber in mancher Gewohnheit gleichen,
und wohl uoch mehr zu fürchten sind. Davon ein anderes Mal.




27*

hinaus, als ob ein Land erobert oder ein Elephant erlegt werden sollte. Wenn
man den polnischen Edelleuten erzählt, daß bei einem Treibjagen in Deutschland
von einem halben Hundert Jäger an 1W0 Hasen geschossen werden konnten, so
mangelt ihnen der Glaube ebeu so sehr, als deu Deutschen, wenn man ihnen sagt,
daß in einem einzigen polnischen Walde leicht über tausend Wölfe zu todten wären.

Bei der ungeheuerm Menge von Raubthieren kommt auch das Hochwild uicht
auf. Hirsche fus'-t man im Lande als eine Sehenswürdigkeit umher, Rehe kommeu
vor, aber uoch seltener als Hasen; dagegen mangelt es uicht an wildeu Schweinen;
es scheint, daß diese sich gegen die Wölfe tapfer zu behaupten wissen.

In den polnischen Wäldern, welche mit deu lithauischen in Verbindung steheu
und die wildesten des Landes sind, sind in neuerer Zeit auch Bären bemerkt
wordeu, welche sich seit vielen Jahren in Polen nicht hatten sehen lassen. Einer
wagte sich im Jahre 1842 sogar bis in die Gegend von Pnlawy und setzte dort
eine Bauerngemeinde, welche nach der Kirche zog, dergestalt in Schrecken, daß
einige Männer und Frauen in die Weichsel sprangen. Die Leute hielten den
schwarzen Waldbewohner für den Teufel und das Jammergeschrei, welches sehr
bald durch die Dörfer des Halben Königreichs drang, veranlaßte die wackeren
Mönche des Klosters Czenstochan, die Zeit der Wallfahrt zu ihrem Wunder wir¬
kenden Marienbilde auf einige Wochen früher anzusetzen und durch ihre Amts¬
bruder dringend zu der Wallfahrt aufzufordern, mit Berufung darauf, daß der
Teufel sich leibhaftig bei Pulawy, „ja auch an verschiedenen andern Orten gezeigt
habe."

Zum Unglück für die frommen Mönche von Czenstochan kommt es zu selten
vor, daß Bären gesehen und für Teufel gehalten werden. Sie sind nur arme
Verirrte und wagen sich nicht leicht aus deu wildesten Theilen des Waldes hervor.
Ein Förster bei Horodlo fand zwei beisammen, und unsern Sawin wurde ein
Kind von einem Bären angefallen. Derselbe zerbiß dem Kinde den Arm, warf
sich zum Glück aber dann sogleich auf ein Stück Vieh. Allein dies sind, wie
gesagt, seltene Fälle; sie to'unen häufig werdeu, wenn die Vernachlässigung der
Wälder und der Jagd so fortdauert, wie in deu letzten Jahrzehnten.

Wölfe, Füchse und Bären sind jedoch keineswegs die einzigen Bewohner der
polnischen Waldwildnisse. Man findet auch andere Geschöpfe darin, die zwar
jenen Thieren nicht an Farbe und Gestalt, aber in mancher Gewohnheit gleichen,
und wohl uoch mehr zu fürchten sind. Davon ein anderes Mal.




27*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/223>, abgerufen am 29.06.2024.