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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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dieser kleinen Flüsse verursacht aber vou seiner Quelle bis zu seinem Ausfluß in
deu Bug auf Meilen Weite einen Strich Bruchland, indem er den Erdboden
mit seinem Wasser durchdringt. Daher ist dieser ganze Theil Polens ein voll¬
kommener Morast. Wälder und Wiesen stehen im Sumpfe, die Wege, welche
durch diese ungesunde Wildniß gebahnt wurden, haben größtenteils ans Dämmen
von aufgeschichteten Neisigholz angelegt werden müssen. Die wenigen Dörfer,
welche ans den höheren Punt'ten stehen, besitzen zum Theil gar kein Land, welches
zum Getreideball verwendet werden kann, zum Theil nicht so viel, als ihr Bedürfniß
erfordert. Da die Leute nun kein Geld haben, um Getreide zu kaufen, so leben sie
von Pilzen, Holzäpfeln, Holzbirnen, Schlehen und Milch. All Hntnngen sind sie reich,
die Hntnngen aber sind Moräste, welche nichts weiter hervorbringen, als Schilf und
Weidenlaub. Das Vieh ist an diese elende Nahrung gewöhnt, und gewährt das
einzige Mittel, diese morastigen Flächen zu nützen. In der Viehzucht besteht
daher anch die ganze Landwirtschaft, doch wird dnrch sie das Leben der Men¬
schen gerade nur gefristet, und die Viehzucht behandelt man in noch roherer Weise,
als in der Landwirthschaft des übrigen Polens. Von Zuchtordnung, voll Rück-
sichten auf Gesundheit und ans Kräftigung des Viehstammes kann nicht die Rede
sein. Es gewährt ein trauriges Schauspiel, wenn die Rindviehheerden sich
in dem tiefen Moraste hin und her wälzen und um die mageren Schilfhalme und
Weidellblätter wahrhaft abmartern. Vom April bis zum November befinden sich
Rindvieh, Schweine, Pferde und selbst die wenigen Schafe, welche man in dieser
Gegend hält, täglich voll früh bis zum Abend weidend in dem Moraste. Man
sieht von den Thieren oft nnr den Oberkörper, die Füße befinden sich in unter-
irdischen Regionen. Sehr oft geschieht es, daß ein oder mehrere Stücke Vieh
völlig versinken und umkommen. Ein solches Unglück aber hat keine große Be¬
deutung, da das Vieh erbärmlich niedrig im Preise steht, und damit ans Geld¬
erwerb uicht speculirt werdeu kaun. Denn kein polnischer Landwirth mag aus
diesen Sumpfgegenden Vieh kaufen, da dasselbe von sehr krüppelhafter Gestalt
ist, sich nnr schwer mästen läßt und wenig Milch gibt.

Die Versumpfung so großer Theile des polnischen Landes rührt zuerst von
der zu geringen Abdachung des Bodens, und dann von der schmählichen Nach¬
lässigkeit der Bodeubesiizer her. Ich habe Gegenden durchreist, in denen der
Sumpf oder Bruch viele Quadratmeilen einnimmt und doch mit verhältnißmäßig
gerillger Mühe weggeschafft werdeu könnte, wenn man dem Flusse, der ihn her¬
vorbringt, sein Bett regulirte oder erweiterte. Hier und da haben deutsche
Colonisten bewiesen, wie leicht es ist, aus stinkenden Sümpfen das gesündeste,
schönste Getreidefeld zu machen. Die Polen aber denken sehr selten an derartige
Verbesserungen. Entweder hält sie die zweifelhafte Tugend der Genügsamkeit ab,
oder die Pietät gegen das Besitzthum der Väter, die damit zufrieden waren,


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dieser kleinen Flüsse verursacht aber vou seiner Quelle bis zu seinem Ausfluß in
deu Bug auf Meilen Weite einen Strich Bruchland, indem er den Erdboden
mit seinem Wasser durchdringt. Daher ist dieser ganze Theil Polens ein voll¬
kommener Morast. Wälder und Wiesen stehen im Sumpfe, die Wege, welche
durch diese ungesunde Wildniß gebahnt wurden, haben größtenteils ans Dämmen
von aufgeschichteten Neisigholz angelegt werden müssen. Die wenigen Dörfer,
welche ans den höheren Punt'ten stehen, besitzen zum Theil gar kein Land, welches
zum Getreideball verwendet werden kann, zum Theil nicht so viel, als ihr Bedürfniß
erfordert. Da die Leute nun kein Geld haben, um Getreide zu kaufen, so leben sie
von Pilzen, Holzäpfeln, Holzbirnen, Schlehen und Milch. All Hntnngen sind sie reich,
die Hntnngen aber sind Moräste, welche nichts weiter hervorbringen, als Schilf und
Weidenlaub. Das Vieh ist an diese elende Nahrung gewöhnt, und gewährt das
einzige Mittel, diese morastigen Flächen zu nützen. In der Viehzucht besteht
daher anch die ganze Landwirtschaft, doch wird dnrch sie das Leben der Men¬
schen gerade nur gefristet, und die Viehzucht behandelt man in noch roherer Weise,
als in der Landwirthschaft des übrigen Polens. Von Zuchtordnung, voll Rück-
sichten auf Gesundheit und ans Kräftigung des Viehstammes kann nicht die Rede
sein. Es gewährt ein trauriges Schauspiel, wenn die Rindviehheerden sich
in dem tiefen Moraste hin und her wälzen und um die mageren Schilfhalme und
Weidellblätter wahrhaft abmartern. Vom April bis zum November befinden sich
Rindvieh, Schweine, Pferde und selbst die wenigen Schafe, welche man in dieser
Gegend hält, täglich voll früh bis zum Abend weidend in dem Moraste. Man
sieht von den Thieren oft nnr den Oberkörper, die Füße befinden sich in unter-
irdischen Regionen. Sehr oft geschieht es, daß ein oder mehrere Stücke Vieh
völlig versinken und umkommen. Ein solches Unglück aber hat keine große Be¬
deutung, da das Vieh erbärmlich niedrig im Preise steht, und damit ans Geld¬
erwerb uicht speculirt werdeu kaun. Denn kein polnischer Landwirth mag aus
diesen Sumpfgegenden Vieh kaufen, da dasselbe von sehr krüppelhafter Gestalt
ist, sich nnr schwer mästen läßt und wenig Milch gibt.

Die Versumpfung so großer Theile des polnischen Landes rührt zuerst von
der zu geringen Abdachung des Bodens, und dann von der schmählichen Nach¬
lässigkeit der Bodeubesiizer her. Ich habe Gegenden durchreist, in denen der
Sumpf oder Bruch viele Quadratmeilen einnimmt und doch mit verhältnißmäßig
gerillger Mühe weggeschafft werdeu könnte, wenn man dem Flusse, der ihn her¬
vorbringt, sein Bett regulirte oder erweiterte. Hier und da haben deutsche
Colonisten bewiesen, wie leicht es ist, aus stinkenden Sümpfen das gesündeste,
schönste Getreidefeld zu machen. Die Polen aber denken sehr selten an derartige
Verbesserungen. Entweder hält sie die zweifelhafte Tugend der Genügsamkeit ab,
oder die Pietät gegen das Besitzthum der Väter, die damit zufrieden waren,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/215>, abgerufen am 01.07.2024.