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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Die Waldungen jenseit der Weichsel aber sind es, welche den Ruf der pol¬
nischen Wälder begründet haben. Dieser Theil von Polen ist ein Waldland, die
Wälder hängen hier oft so massenhaft an einander, daß die Dörfer mit ihren Feld¬
flächen wie seltene Oasen erscheinen. In vielen Gegenden, besonders in
Podlachien, sind die Waldungen ans weiten Strecken fast undurchdringlich. Dichtes
Unterholz, ein zackiges, grauenhaftes Gestrüpp und eine endlose Einförmigkeit
erschrecken den Wanderer. Da ist von einer Forstcultur nichts zu sehen, von
Sturm und Alter niedergeworfen liegen wohl mehr Stämme am Erdboden, als
aufrecht steheu. Zwischen den liegenden, zum Theil schon verfaulten, zum Theil
uoch frischen Holzmasseu wuchert das üppigste Buschwerk empor. Der Wald
gleicht einem Verhaue, an den: die Natur seit Jahrhunderten mit mehr Geschick
gearbeitet hat, als die geübtesten Pioniere im Stande wären. Ueber den modern¬
den Baumstämmen erheben riesige Farrenkräuter ihre grünen Fächer, und unge¬
heure Pilze sprechen sich auf deu Stätten der Verwesung. Ein betäubender
Qualm ans Moder und Waldgeruch und Wasserdampf zusammengeballt liegt uuter
den Baumgipfeln, und wo ein spärlicher Sonnenstrahl hineinbringt, vermehrt er
nur den Dunst und das Grauen der finstern Wildniß. Der sumpfige Grund
vollends macht das Durchschreiten der Wälder zu einem Wagstück, wenig¬
stens ist es sehr mühselig, die zusammenhängenden Erdboden zu verfolgen.
Oft ist das ganz unmöglich, und man sieht sich von dem Ziele, auf das man
losarbeitet, durch die Sümpfe völlig abgeschnitten, so daß man sich entschließen
muß, die nicht minder beschwerliche Rückkehr anzutreten, und in anderer Richtung
einen Weg zu suchen. Zum großen Theil ist der Boden fortdauernd sumpfig,
auf manchen Stellen trocknet er in der heißen Jahreszeit ans und zeigt dann
eine sehr leichte, poröse Pflanzenerde, welche durch die Wasser, vou denen sie deu
größten Theil des Jahres durchdrungen wird, mit Salpeter- und Schwefel-
theileu reich geschwängert ist, und als köstliches Düngmittel für den Feldbau ver¬
wendet werden könnte. Für die Landwirthschaft enthalten diese reichen Humus-
lager der Wälder einen wahren Schatz, der während der Winterkälte sehr leicht
gehoben werden könnte -- wenn Wege gebahnt würden.

Stellenweise find die Sümpfe weite Lagunen, ganz mit Schilf erfüllt, wim¬
melnd von Wasservögeln und Ungeziefer. Wo das Wasser eine freie Fläche
bildet, ist es mit einem dicken Filz von kleinen schwimmenden Wasserpflanzen bedeckt,
der an manchen Stellen Festigkeit genug besitzt, einem Menschenfuß nicht zu weichen.
Zwischen dem Wieprzfluß, dem Bug und der neuen Straße von Terespol nach
Warschau, einer Fläche von etwa 110 Quadratmeilen, stehen alle Wälder im
Sumpfe und diese siud in der That grauenhaft. Unzählige Wasseradern und
kleine Flüßchen durchschneiden sie, keines derselben aber rinnt in einem bestimmten
Bette, sie schleichen in vielen Armen ans fast ebener Erde hin und wühlen sich
nach jeder Überschwemmung im Frühjahr oder Herbst einen andern Weg. Jeder


Die Waldungen jenseit der Weichsel aber sind es, welche den Ruf der pol¬
nischen Wälder begründet haben. Dieser Theil von Polen ist ein Waldland, die
Wälder hängen hier oft so massenhaft an einander, daß die Dörfer mit ihren Feld¬
flächen wie seltene Oasen erscheinen. In vielen Gegenden, besonders in
Podlachien, sind die Waldungen ans weiten Strecken fast undurchdringlich. Dichtes
Unterholz, ein zackiges, grauenhaftes Gestrüpp und eine endlose Einförmigkeit
erschrecken den Wanderer. Da ist von einer Forstcultur nichts zu sehen, von
Sturm und Alter niedergeworfen liegen wohl mehr Stämme am Erdboden, als
aufrecht steheu. Zwischen den liegenden, zum Theil schon verfaulten, zum Theil
uoch frischen Holzmasseu wuchert das üppigste Buschwerk empor. Der Wald
gleicht einem Verhaue, an den: die Natur seit Jahrhunderten mit mehr Geschick
gearbeitet hat, als die geübtesten Pioniere im Stande wären. Ueber den modern¬
den Baumstämmen erheben riesige Farrenkräuter ihre grünen Fächer, und unge¬
heure Pilze sprechen sich auf deu Stätten der Verwesung. Ein betäubender
Qualm ans Moder und Waldgeruch und Wasserdampf zusammengeballt liegt uuter
den Baumgipfeln, und wo ein spärlicher Sonnenstrahl hineinbringt, vermehrt er
nur den Dunst und das Grauen der finstern Wildniß. Der sumpfige Grund
vollends macht das Durchschreiten der Wälder zu einem Wagstück, wenig¬
stens ist es sehr mühselig, die zusammenhängenden Erdboden zu verfolgen.
Oft ist das ganz unmöglich, und man sieht sich von dem Ziele, auf das man
losarbeitet, durch die Sümpfe völlig abgeschnitten, so daß man sich entschließen
muß, die nicht minder beschwerliche Rückkehr anzutreten, und in anderer Richtung
einen Weg zu suchen. Zum großen Theil ist der Boden fortdauernd sumpfig,
auf manchen Stellen trocknet er in der heißen Jahreszeit ans und zeigt dann
eine sehr leichte, poröse Pflanzenerde, welche durch die Wasser, vou denen sie deu
größten Theil des Jahres durchdrungen wird, mit Salpeter- und Schwefel-
theileu reich geschwängert ist, und als köstliches Düngmittel für den Feldbau ver¬
wendet werden könnte. Für die Landwirthschaft enthalten diese reichen Humus-
lager der Wälder einen wahren Schatz, der während der Winterkälte sehr leicht
gehoben werden könnte — wenn Wege gebahnt würden.

Stellenweise find die Sümpfe weite Lagunen, ganz mit Schilf erfüllt, wim¬
melnd von Wasservögeln und Ungeziefer. Wo das Wasser eine freie Fläche
bildet, ist es mit einem dicken Filz von kleinen schwimmenden Wasserpflanzen bedeckt,
der an manchen Stellen Festigkeit genug besitzt, einem Menschenfuß nicht zu weichen.
Zwischen dem Wieprzfluß, dem Bug und der neuen Straße von Terespol nach
Warschau, einer Fläche von etwa 110 Quadratmeilen, stehen alle Wälder im
Sumpfe und diese siud in der That grauenhaft. Unzählige Wasseradern und
kleine Flüßchen durchschneiden sie, keines derselben aber rinnt in einem bestimmten
Bette, sie schleichen in vielen Armen ans fast ebener Erde hin und wühlen sich
nach jeder Überschwemmung im Frühjahr oder Herbst einen andern Weg. Jeder


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[0214] Die Waldungen jenseit der Weichsel aber sind es, welche den Ruf der pol¬ nischen Wälder begründet haben. Dieser Theil von Polen ist ein Waldland, die Wälder hängen hier oft so massenhaft an einander, daß die Dörfer mit ihren Feld¬ flächen wie seltene Oasen erscheinen. In vielen Gegenden, besonders in Podlachien, sind die Waldungen ans weiten Strecken fast undurchdringlich. Dichtes Unterholz, ein zackiges, grauenhaftes Gestrüpp und eine endlose Einförmigkeit erschrecken den Wanderer. Da ist von einer Forstcultur nichts zu sehen, von Sturm und Alter niedergeworfen liegen wohl mehr Stämme am Erdboden, als aufrecht steheu. Zwischen den liegenden, zum Theil schon verfaulten, zum Theil uoch frischen Holzmasseu wuchert das üppigste Buschwerk empor. Der Wald gleicht einem Verhaue, an den: die Natur seit Jahrhunderten mit mehr Geschick gearbeitet hat, als die geübtesten Pioniere im Stande wären. Ueber den modern¬ den Baumstämmen erheben riesige Farrenkräuter ihre grünen Fächer, und unge¬ heure Pilze sprechen sich auf deu Stätten der Verwesung. Ein betäubender Qualm ans Moder und Waldgeruch und Wasserdampf zusammengeballt liegt uuter den Baumgipfeln, und wo ein spärlicher Sonnenstrahl hineinbringt, vermehrt er nur den Dunst und das Grauen der finstern Wildniß. Der sumpfige Grund vollends macht das Durchschreiten der Wälder zu einem Wagstück, wenig¬ stens ist es sehr mühselig, die zusammenhängenden Erdboden zu verfolgen. Oft ist das ganz unmöglich, und man sieht sich von dem Ziele, auf das man losarbeitet, durch die Sümpfe völlig abgeschnitten, so daß man sich entschließen muß, die nicht minder beschwerliche Rückkehr anzutreten, und in anderer Richtung einen Weg zu suchen. Zum großen Theil ist der Boden fortdauernd sumpfig, auf manchen Stellen trocknet er in der heißen Jahreszeit ans und zeigt dann eine sehr leichte, poröse Pflanzenerde, welche durch die Wasser, vou denen sie deu größten Theil des Jahres durchdrungen wird, mit Salpeter- und Schwefel- theileu reich geschwängert ist, und als köstliches Düngmittel für den Feldbau ver¬ wendet werden könnte. Für die Landwirthschaft enthalten diese reichen Humus- lager der Wälder einen wahren Schatz, der während der Winterkälte sehr leicht gehoben werden könnte — wenn Wege gebahnt würden. Stellenweise find die Sümpfe weite Lagunen, ganz mit Schilf erfüllt, wim¬ melnd von Wasservögeln und Ungeziefer. Wo das Wasser eine freie Fläche bildet, ist es mit einem dicken Filz von kleinen schwimmenden Wasserpflanzen bedeckt, der an manchen Stellen Festigkeit genug besitzt, einem Menschenfuß nicht zu weichen. Zwischen dem Wieprzfluß, dem Bug und der neuen Straße von Terespol nach Warschau, einer Fläche von etwa 110 Quadratmeilen, stehen alle Wälder im Sumpfe und diese siud in der That grauenhaft. Unzählige Wasseradern und kleine Flüßchen durchschneiden sie, keines derselben aber rinnt in einem bestimmten Bette, sie schleichen in vielen Armen ans fast ebener Erde hin und wühlen sich nach jeder Überschwemmung im Frühjahr oder Herbst einen andern Weg. Jeder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/214>, abgerufen am 29.06.2024.