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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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materiellen internationalen Verkehrs beziehen, keine zur Wahrheit geworden. --
Namentlich aber ist tief zu beklagen, daß der im 28. Artikel des Vertrages ent¬
haltenen Bestimmung, nach welcher der jenseitige Eingangs- und Ausgangszoll
zehn vom Hundert des Werthes der Waare am Absendnngsorte nicht übersteigen
soll, nicht Folge gegeben worden ist. Die neuen russischen, nunmehr in's Leben
getretenen Zollauordnungen verletzen aber jenen Vertrag abermals in doppelter
Weise, indem sie nicht nur deu Eiugaugszoll noch höher gestellt, sondern die Aus¬
führung des mehrerwähnten Vertrages dadurch unmöglich gemacht haben, daß es
von jetzt an ein von Rußland abgesondertes Zollgebiet Polen gar nicht mehr gibt!

Wir bescheiden uns gern in dem Gedanken, daß es weder in der Macht des
diesseitigen Gouvernements gelegen habe, die Durchführung jenes Vertrages zu
erwirken, noch die neuen , unseren Interessen so schädlichen Maßnahmen des rus¬
sischen Kabinets abzuwenden. Aber wir rechnen um so mehr darauf, daß unser
Gouvernement dahin streben werde, für das Terrain, welches der diesseitige Han¬
dels- und Gewerbstand in den Nachbarstaaten theils nicht zu erlangen vermocht,
theils verloren, einen Ersatz insoweit zu schaffen, als solches mit den sonstigen
volkswirthschaftlichen Interessen des Staates vereinbar ist. Bei der Abgeschlossenheit
Rußlands und Oestreichs vermag solchen Ersatz nur der heimische Markt zu
bieten. -- Dieser kann unserer Ausicht uach aber uur behauptet und resp, wieder¬
erlangt werden unter dem Schirme eines Zollsystems, welches alle lebensfähigen
heimischen Industrien erstarken zu lassen geeignet ist. Ein kräftiges, eigenes in¬
dustrielles Leben ist aber das geeignetste Fundament für die Blüthe aller übrigen
Zweige der technischen Cultur, für Handel und Ackerbau. -- Von der Wahrheit
dessen gibt Großbritanien das sprechendste Zeugniß.

Wie wir aber den Zollverein niemals als für alle Zeit abgeschlossen, sondern
als fortbilduugsfähig in Bezug auf Inhalt und Umfang erachtet, und in ihm eben
den Keim einer größeren handelspolitischen Völkergemeinschaft erblickt haben, so
erhielten jene Zollvorschläge für uns andererseits deshalb einen hohen Werth, weil
wir in ihnen die Brücke erblicken, mittelst welcher dereinst der Zollanschluß an
das östreichische Staatsgebiet ausführbar sein möchte.

Sollte es -- wie wir wünschen und verhoffen -- binnen nicht zu lauger
Zeit möglich werden, eine Ausgleichung der gegenwärtig noch der Ausführung
dieses Projects entgegenstehenden Interessen herbeizuführen, fo würde hierdurch
ein Fundament zum materiellen Erblühen von ganz Deutschland gelegt werden,
wie solches kaum ein anderer Staatenverband besitzt, oder jemals gehabt hat.

Durch die Verbindung einer in Sitten und Gewohnheiten, in Anlagen'und
Ausbildung vou einander zum Theile erheblich abweichenden Bevölkerung von
über sechzig Millionen Seelen, so wie durch die Verewigung von Territorien, die
von Natur in verschiedenartigster und oft reichster Weise ausgestattet sind, zu einem
Zoll- und Handelsgebiete, würde für eine im großartigsten Maßstabe fabricirende


materiellen internationalen Verkehrs beziehen, keine zur Wahrheit geworden. —
Namentlich aber ist tief zu beklagen, daß der im 28. Artikel des Vertrages ent¬
haltenen Bestimmung, nach welcher der jenseitige Eingangs- und Ausgangszoll
zehn vom Hundert des Werthes der Waare am Absendnngsorte nicht übersteigen
soll, nicht Folge gegeben worden ist. Die neuen russischen, nunmehr in's Leben
getretenen Zollauordnungen verletzen aber jenen Vertrag abermals in doppelter
Weise, indem sie nicht nur deu Eiugaugszoll noch höher gestellt, sondern die Aus¬
führung des mehrerwähnten Vertrages dadurch unmöglich gemacht haben, daß es
von jetzt an ein von Rußland abgesondertes Zollgebiet Polen gar nicht mehr gibt!

Wir bescheiden uns gern in dem Gedanken, daß es weder in der Macht des
diesseitigen Gouvernements gelegen habe, die Durchführung jenes Vertrages zu
erwirken, noch die neuen , unseren Interessen so schädlichen Maßnahmen des rus¬
sischen Kabinets abzuwenden. Aber wir rechnen um so mehr darauf, daß unser
Gouvernement dahin streben werde, für das Terrain, welches der diesseitige Han¬
dels- und Gewerbstand in den Nachbarstaaten theils nicht zu erlangen vermocht,
theils verloren, einen Ersatz insoweit zu schaffen, als solches mit den sonstigen
volkswirthschaftlichen Interessen des Staates vereinbar ist. Bei der Abgeschlossenheit
Rußlands und Oestreichs vermag solchen Ersatz nur der heimische Markt zu
bieten. — Dieser kann unserer Ausicht uach aber uur behauptet und resp, wieder¬
erlangt werden unter dem Schirme eines Zollsystems, welches alle lebensfähigen
heimischen Industrien erstarken zu lassen geeignet ist. Ein kräftiges, eigenes in¬
dustrielles Leben ist aber das geeignetste Fundament für die Blüthe aller übrigen
Zweige der technischen Cultur, für Handel und Ackerbau. — Von der Wahrheit
dessen gibt Großbritanien das sprechendste Zeugniß.

Wie wir aber den Zollverein niemals als für alle Zeit abgeschlossen, sondern
als fortbilduugsfähig in Bezug auf Inhalt und Umfang erachtet, und in ihm eben
den Keim einer größeren handelspolitischen Völkergemeinschaft erblickt haben, so
erhielten jene Zollvorschläge für uns andererseits deshalb einen hohen Werth, weil
wir in ihnen die Brücke erblicken, mittelst welcher dereinst der Zollanschluß an
das östreichische Staatsgebiet ausführbar sein möchte.

Sollte es — wie wir wünschen und verhoffen — binnen nicht zu lauger
Zeit möglich werden, eine Ausgleichung der gegenwärtig noch der Ausführung
dieses Projects entgegenstehenden Interessen herbeizuführen, fo würde hierdurch
ein Fundament zum materiellen Erblühen von ganz Deutschland gelegt werden,
wie solches kaum ein anderer Staatenverband besitzt, oder jemals gehabt hat.

Durch die Verbindung einer in Sitten und Gewohnheiten, in Anlagen'und
Ausbildung vou einander zum Theile erheblich abweichenden Bevölkerung von
über sechzig Millionen Seelen, so wie durch die Verewigung von Territorien, die
von Natur in verschiedenartigster und oft reichster Weise ausgestattet sind, zu einem
Zoll- und Handelsgebiete, würde für eine im großartigsten Maßstabe fabricirende


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[0202] materiellen internationalen Verkehrs beziehen, keine zur Wahrheit geworden. — Namentlich aber ist tief zu beklagen, daß der im 28. Artikel des Vertrages ent¬ haltenen Bestimmung, nach welcher der jenseitige Eingangs- und Ausgangszoll zehn vom Hundert des Werthes der Waare am Absendnngsorte nicht übersteigen soll, nicht Folge gegeben worden ist. Die neuen russischen, nunmehr in's Leben getretenen Zollauordnungen verletzen aber jenen Vertrag abermals in doppelter Weise, indem sie nicht nur deu Eiugaugszoll noch höher gestellt, sondern die Aus¬ führung des mehrerwähnten Vertrages dadurch unmöglich gemacht haben, daß es von jetzt an ein von Rußland abgesondertes Zollgebiet Polen gar nicht mehr gibt! Wir bescheiden uns gern in dem Gedanken, daß es weder in der Macht des diesseitigen Gouvernements gelegen habe, die Durchführung jenes Vertrages zu erwirken, noch die neuen , unseren Interessen so schädlichen Maßnahmen des rus¬ sischen Kabinets abzuwenden. Aber wir rechnen um so mehr darauf, daß unser Gouvernement dahin streben werde, für das Terrain, welches der diesseitige Han¬ dels- und Gewerbstand in den Nachbarstaaten theils nicht zu erlangen vermocht, theils verloren, einen Ersatz insoweit zu schaffen, als solches mit den sonstigen volkswirthschaftlichen Interessen des Staates vereinbar ist. Bei der Abgeschlossenheit Rußlands und Oestreichs vermag solchen Ersatz nur der heimische Markt zu bieten. — Dieser kann unserer Ausicht uach aber uur behauptet und resp, wieder¬ erlangt werden unter dem Schirme eines Zollsystems, welches alle lebensfähigen heimischen Industrien erstarken zu lassen geeignet ist. Ein kräftiges, eigenes in¬ dustrielles Leben ist aber das geeignetste Fundament für die Blüthe aller übrigen Zweige der technischen Cultur, für Handel und Ackerbau. — Von der Wahrheit dessen gibt Großbritanien das sprechendste Zeugniß. Wie wir aber den Zollverein niemals als für alle Zeit abgeschlossen, sondern als fortbilduugsfähig in Bezug auf Inhalt und Umfang erachtet, und in ihm eben den Keim einer größeren handelspolitischen Völkergemeinschaft erblickt haben, so erhielten jene Zollvorschläge für uns andererseits deshalb einen hohen Werth, weil wir in ihnen die Brücke erblicken, mittelst welcher dereinst der Zollanschluß an das östreichische Staatsgebiet ausführbar sein möchte. Sollte es — wie wir wünschen und verhoffen — binnen nicht zu lauger Zeit möglich werden, eine Ausgleichung der gegenwärtig noch der Ausführung dieses Projects entgegenstehenden Interessen herbeizuführen, fo würde hierdurch ein Fundament zum materiellen Erblühen von ganz Deutschland gelegt werden, wie solches kaum ein anderer Staatenverband besitzt, oder jemals gehabt hat. Durch die Verbindung einer in Sitten und Gewohnheiten, in Anlagen'und Ausbildung vou einander zum Theile erheblich abweichenden Bevölkerung von über sechzig Millionen Seelen, so wie durch die Verewigung von Territorien, die von Natur in verschiedenartigster und oft reichster Weise ausgestattet sind, zu einem Zoll- und Handelsgebiete, würde für eine im großartigsten Maßstabe fabricirende

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/202>, abgerufen am 01.07.2024.