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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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kann, daß die Interessen der Provinz Schlesien sich von Preußen zu lösen
anfangen und die Lage wie die natürlichen Vortheile des Handels dasselbe wieder
ans Oestreich hinweisen. Was der große Friedrich vor hundert Jahren mit
kräftiger Hand an Preußen anschloß, das hat unsere Zeit zu lockern verstanden.
Die ewigen Nachgiebigkeiten gegen Rußland und die "Aufgebung" Krakau's machen
Schlesien allmälig zu einem armen Lande. Nicht die gemüthlichen Stimmungen
der Provinz werden unprenßisch, um Gegentheil, es ist bei den Einzelnen viel
warmes Preußenthum zu finden), aber die großen Verkehrsinteressen des Landes
fangen an sich von denen des übrigen Preußens zu trennen, und durch die
Interessen werden allmälig anch die idealeren Gefühle in neue Bahnen
gelenkt.

Preußen schrumpft zusammen und ist im Begriff, kleiner zu werden. Das
ist die schmerzliche Empfindung, welche Einem verbittern könnte, noch die Feder in
die Hand zu nehmen, wenn es nicht gerade jetzt nothwendig wäre. -- Vor mir
liegt eine Denkschrift unserer Haudelökammer an das Staatsministerium, worin
dieselbe Schutz für die deutsche Arbeit und ein Zollsystem verlangt, welches für
Schlesien einen commerziellen Anschluß an Oestreich möglich macht. Die inter¬
essante Denkschrift spricht sich über Lage und Bedürfnisse Schlesiens ungefähr
folgendermaßen aus:

,,Betrachten wir speciell die volkswirthschaftlichen Verhältnisse Schlesiens, so
finden wir einen großen Mangel an Capitalien für gewerbliche Anlagen', einen fast
dauernd gedrückten Absatz für die Erzeugnisse der Industrie und einen in steter
Abnahme begriffenen Handel.

Diese ungünstigen Zustände siud uach uuserer Ausicht einerseits das Resultat
des bis dahin im Zollvereine befolgten handelspolitischen Systems, welches das
Erstehen und Aufblühen einer kräftigen Industrie hinderte, -- andererseits der
diesseitigen Verhältnisse zu deu Nachbarstaaten.

Die Prohibitivsysteme Oestreichs und Rußlands wirkten namentlich nach dem
Verluste Krakaus in ihrer ganzen Verderblichkeit auf die heimischen materiellen
Verhältnisse.

Leider hat ein für den ganzen Westen unerfreuliches Ereigniß der neuesten
Zeit diese ungünstige Lage Schlesiens und aller an den russischen Staat grenzenden
Provinzen in manchem Betrachte gesteigert. Wir meinen hier die Einziehung
des Königreichs Polen in die russische Zolllinie und die Einführung des neuen
russischen Zolltarifs. Durch diese Maßnahmen ist anch der bis dahin verblieben
gewesene Rest des diesseitigen legalen Handels nach dem Königreiche Polen ver¬
nichtet worden.

Von allen den Stipulationen, welche der zwischen Preußen und Nußland am
3. Mai 1815 in Betreff des Herzogthums Warschau geschlossene Vertrag enthält,
ist, insoweit dieselben sich auf die Erleichterungen des diesseitigen und jenseitigen


kann, daß die Interessen der Provinz Schlesien sich von Preußen zu lösen
anfangen und die Lage wie die natürlichen Vortheile des Handels dasselbe wieder
ans Oestreich hinweisen. Was der große Friedrich vor hundert Jahren mit
kräftiger Hand an Preußen anschloß, das hat unsere Zeit zu lockern verstanden.
Die ewigen Nachgiebigkeiten gegen Rußland und die „Aufgebung" Krakau's machen
Schlesien allmälig zu einem armen Lande. Nicht die gemüthlichen Stimmungen
der Provinz werden unprenßisch, um Gegentheil, es ist bei den Einzelnen viel
warmes Preußenthum zu finden), aber die großen Verkehrsinteressen des Landes
fangen an sich von denen des übrigen Preußens zu trennen, und durch die
Interessen werden allmälig anch die idealeren Gefühle in neue Bahnen
gelenkt.

Preußen schrumpft zusammen und ist im Begriff, kleiner zu werden. Das
ist die schmerzliche Empfindung, welche Einem verbittern könnte, noch die Feder in
die Hand zu nehmen, wenn es nicht gerade jetzt nothwendig wäre. — Vor mir
liegt eine Denkschrift unserer Haudelökammer an das Staatsministerium, worin
dieselbe Schutz für die deutsche Arbeit und ein Zollsystem verlangt, welches für
Schlesien einen commerziellen Anschluß an Oestreich möglich macht. Die inter¬
essante Denkschrift spricht sich über Lage und Bedürfnisse Schlesiens ungefähr
folgendermaßen aus:

,,Betrachten wir speciell die volkswirthschaftlichen Verhältnisse Schlesiens, so
finden wir einen großen Mangel an Capitalien für gewerbliche Anlagen', einen fast
dauernd gedrückten Absatz für die Erzeugnisse der Industrie und einen in steter
Abnahme begriffenen Handel.

Diese ungünstigen Zustände siud uach uuserer Ausicht einerseits das Resultat
des bis dahin im Zollvereine befolgten handelspolitischen Systems, welches das
Erstehen und Aufblühen einer kräftigen Industrie hinderte, -- andererseits der
diesseitigen Verhältnisse zu deu Nachbarstaaten.

Die Prohibitivsysteme Oestreichs und Rußlands wirkten namentlich nach dem
Verluste Krakaus in ihrer ganzen Verderblichkeit auf die heimischen materiellen
Verhältnisse.

Leider hat ein für den ganzen Westen unerfreuliches Ereigniß der neuesten
Zeit diese ungünstige Lage Schlesiens und aller an den russischen Staat grenzenden
Provinzen in manchem Betrachte gesteigert. Wir meinen hier die Einziehung
des Königreichs Polen in die russische Zolllinie und die Einführung des neuen
russischen Zolltarifs. Durch diese Maßnahmen ist anch der bis dahin verblieben
gewesene Rest des diesseitigen legalen Handels nach dem Königreiche Polen ver¬
nichtet worden.

Von allen den Stipulationen, welche der zwischen Preußen und Nußland am
3. Mai 1815 in Betreff des Herzogthums Warschau geschlossene Vertrag enthält,
ist, insoweit dieselben sich auf die Erleichterungen des diesseitigen und jenseitigen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/201>, abgerufen am 04.07.2024.