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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Halters, und erfreuete sich einer ausgezeichneten Aufmerksamkeit des Kaisers. Er
hat auf dieses Glück verzichtet, soweit sich für einen geschickten Mann darauf
verzichten läßt. Fast ebenso ist seit einiger Zeit das Verhalten des Grafen
Franciszek (Franz) Potocki, deu man mit siecht an die Spitze der Ehrenmänner
von Warschau stellt. Seine Vermittelung hat schon manchen schwer bedrohten
politischen Verbrecher aus der Gefahr) gerettet und manchem durch das russische
System gedrückten Geschäftsmann und Staatsbeamten wieder emporgeholfen.
Keine wohlthätige Anstalt gibt es in Warschau, an welcher er nicht in irgend
einer Weise betheiligt wäre. Er lebt schlicht wie ein Bürgersmann; in seinem
Hause, welches sich in einer engen, von der "neuen Welt" zu dem Mazuren-
platze führenden Gasse befindet, sieht man selten große Gesellschaft. Die ge¬
wöhnlichen Gäste sind Glieder seiner zahlreichen Familie.

Beim Statthalter war er nie sehr beliebt, und wahrscheinlich waren die Ge¬
radheit und Festigkeit seines Charakters die Ursache davon. Er ist immer ein
Vertheidiger seiner Landsleute gewesen, und hat sich nicht gefürchtet, es auch da
zu sein, wo es gefährlich war, für das nationale Interesse der Polen zu sprechen.
Sein Charakter gilt allgemein für musterhaft und hat ihm die ehrende Bezeich¬
nung "der Mann der alten Tugenden" eingetragen, welche man seinem Namen
beizusetzen liebt.

Es wäre seinem nahen Verwandten, Herrn Stanislaw Potocki, ein wenig
von diesem Ruhme zu wünschen. Allein dieser junge Mann, welcher der intime
Freund des Oberst von Paskiewicz ist, scheint seinen Ruhm darin zu suchen, das
wildeste Kind von Warschau zu sein. Seine Schwelgereien, deren Theilhaber
treulich Herr'Theodor von Paskiewicz ist, gehen in's Unglaubliche und die Soupers,
welche er Damen vom Ballet veranstaltet, verdienen eine europäische Berühmtheit.
Bisweilen sollen selbst die beiden jungen Fürsten Goliczin, die Adjutanten und Lieblinge
des Statthalters, an den Festen jener Herren Theil nehmen; es wäre schade.
Denn beide Männer sind sonst Muster junger ehrenhafter Ritterlichkeit. Durch
Bescheidenheit und sehr feinen Anstand zeichnen sie sich vor andern russischen
Officieren aus. Sie siud die bescheidenen Lieblinge der Damen, und man erzählt
sehr gern, daß zwei Damen die beiden Rittmeister wegen ihrer verhaßten Soli¬
dität beim Statthalter anzuschwärzen versucht. Glücklicherweise ist Paskiewicz der
Mann, dergleichen Medisance zu belächeln, denn wie seine Stimmungen jetzt sind,
würde er lieber hunderttausend Damen vor Verlangen umkommen, als seinen
beiden Adjutanten das mindeste Unheil zufügen lassen.

Zu den wichtigsten Männern, welche man beim Statthalter erblickt, gehört
Herr von Türkei, der den Titel eines ersten Münsters von Polen führt. Er
wohnt in Petersburg, befindet sich jedoch sehr oft in Warschall. Sein Verhält¬
niß zum Statthalter ist das eiuer vertrauten Freundschaft, beide Männer sind von
der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie einander zur Erhaltung ihres Glücks und


Halters, und erfreuete sich einer ausgezeichneten Aufmerksamkeit des Kaisers. Er
hat auf dieses Glück verzichtet, soweit sich für einen geschickten Mann darauf
verzichten läßt. Fast ebenso ist seit einiger Zeit das Verhalten des Grafen
Franciszek (Franz) Potocki, deu man mit siecht an die Spitze der Ehrenmänner
von Warschau stellt. Seine Vermittelung hat schon manchen schwer bedrohten
politischen Verbrecher aus der Gefahr) gerettet und manchem durch das russische
System gedrückten Geschäftsmann und Staatsbeamten wieder emporgeholfen.
Keine wohlthätige Anstalt gibt es in Warschau, an welcher er nicht in irgend
einer Weise betheiligt wäre. Er lebt schlicht wie ein Bürgersmann; in seinem
Hause, welches sich in einer engen, von der „neuen Welt" zu dem Mazuren-
platze führenden Gasse befindet, sieht man selten große Gesellschaft. Die ge¬
wöhnlichen Gäste sind Glieder seiner zahlreichen Familie.

Beim Statthalter war er nie sehr beliebt, und wahrscheinlich waren die Ge¬
radheit und Festigkeit seines Charakters die Ursache davon. Er ist immer ein
Vertheidiger seiner Landsleute gewesen, und hat sich nicht gefürchtet, es auch da
zu sein, wo es gefährlich war, für das nationale Interesse der Polen zu sprechen.
Sein Charakter gilt allgemein für musterhaft und hat ihm die ehrende Bezeich¬
nung „der Mann der alten Tugenden" eingetragen, welche man seinem Namen
beizusetzen liebt.

Es wäre seinem nahen Verwandten, Herrn Stanislaw Potocki, ein wenig
von diesem Ruhme zu wünschen. Allein dieser junge Mann, welcher der intime
Freund des Oberst von Paskiewicz ist, scheint seinen Ruhm darin zu suchen, das
wildeste Kind von Warschau zu sein. Seine Schwelgereien, deren Theilhaber
treulich Herr'Theodor von Paskiewicz ist, gehen in's Unglaubliche und die Soupers,
welche er Damen vom Ballet veranstaltet, verdienen eine europäische Berühmtheit.
Bisweilen sollen selbst die beiden jungen Fürsten Goliczin, die Adjutanten und Lieblinge
des Statthalters, an den Festen jener Herren Theil nehmen; es wäre schade.
Denn beide Männer sind sonst Muster junger ehrenhafter Ritterlichkeit. Durch
Bescheidenheit und sehr feinen Anstand zeichnen sie sich vor andern russischen
Officieren aus. Sie siud die bescheidenen Lieblinge der Damen, und man erzählt
sehr gern, daß zwei Damen die beiden Rittmeister wegen ihrer verhaßten Soli¬
dität beim Statthalter anzuschwärzen versucht. Glücklicherweise ist Paskiewicz der
Mann, dergleichen Medisance zu belächeln, denn wie seine Stimmungen jetzt sind,
würde er lieber hunderttausend Damen vor Verlangen umkommen, als seinen
beiden Adjutanten das mindeste Unheil zufügen lassen.

Zu den wichtigsten Männern, welche man beim Statthalter erblickt, gehört
Herr von Türkei, der den Titel eines ersten Münsters von Polen führt. Er
wohnt in Petersburg, befindet sich jedoch sehr oft in Warschall. Sein Verhält¬
niß zum Statthalter ist das eiuer vertrauten Freundschaft, beide Männer sind von
der Ueberzeugung durchdrungen, daß sie einander zur Erhaltung ihres Glücks und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/194>, abgerufen am 04.07.2024.