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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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unangemessen, auch in dieser Beziehung auf die bessern Leistungen unserer Nachbarn
aufmerksam zu machen.

Das erste Stück," mit welchem Angler vor das Publicum trat (18-44), und
sogleich einen bedeutenden Erfolge errang, war, wie es jetzt Mode zu werden scheint,
ein antikes Lustspiel: der Schierling (1a el^us). Es zeichnete sich vor den
ähnlichen desselben Genre dadurch ans, daß aller antiquarische Kram bei Seite
geworfen war. Die andern Dichter schlagen in der Regel ein beliebiges Com-
pendium auf, und bringen alle griechischen Ausdrücke an, die sich irgend darin
finden. Eine Geschmacklosigkeit, die das Gemachte des ganzen Genre verräth.
Angler ist so verständig, seine Athener gerade so sich unterhalten zu lassen, wie es
die gebildete Gesellschaft überhaupt zu thun pflegt, sein Dialog bedarf keiner Anmer¬
kungen, um allgemein verstanden zu werden. Er hat Athen gewählt, um sich mit
seinen Voraussetzungen freier bewegen zu können, vielleicht auch, weil er die
Pariser Gesellschaft weniger kannte, als es für einen Lustspieldichter erforderlich
ist. -- Der Inhalt seines Stückes ist folgender.

Klimas glaubt alle Freuden des Lebens erschöpft zu haben, und stumpf zu
sein für jeden Genuß. Er ist blastrt, und will den Schierlingsbecher trinken.
Seine Freunde und Schmarotzer, Kleou und Paris, suchen ihn davon abzubringen,
denn mit seinem Tode hören die glänzenden Gastmähler auf, die der unermeßlich
reiche Mann ihnen zu geben pflegt. Er verspricht, seine Schätze ihnen zu hin¬
terlassen, und zwar, um sich in seiner letzten Stunde zu amusiren, demjenigen
unter ihnen, der zuerst das Herz einer jungen Sclavin Hippolyte erobert. .Der
rohe Egoismus ihrer Werbung macht, daß beide verschmäht werden. Jetzt ändert
Klimas die Scene. Er setzt den zum Erben ein, der am wenigsten gefällt. Es
ist nun mit viel komischer Kraft dargestellt, wie Jeder von beiden versucht, sich so
unausstehlich als möglich zu macheu. Endlich schenkt Klinias dem armen Mädchen
die Freiheit und bezahlt ihre Fahrt nach Hanse. Sie stammelt gerührt ihren
Dank; in ihm erwacht der alte Faun, er will sich bezahlt machen. Aber sie führt
ihn schnell zur Tugend zurück, und er ergreift mit fester Hand den Schierlings¬
becher; sie hat aber das Geheimniß seiner Seele erkannt, und fragt ihn, ob er
leben bleiben wolle, wenn er eine echte Liebe fände. Freilich! diente vou8
Mine. Erwünschter Schluß.

Das zweite Stück: lin, Komme av bien, hat entschieden Fiasco gemacht.
Der Dichter unternahm zu voreilig, die Thorheiten einer Gesellschaft darzustellen,
die er nicht kannte. Der '"ehrliche Mann," Mime, ist ein gemachter Charakter;
seine Kleinlichkeit in der Beurtheilung unbedeutender Fehler, und seine Nachsicht,
wo es sich nur ernste Dinge handelt, schmecken zu sehr nach der Absicht; ebenso
der Charakter seines Nebenbuhlers Octave, eines unbärtiger Rouö, der eben von
der Schulbank kommt, und bereits alle Illusionen des Lebens von sich geworfen
haben will. Rosa endlich, die Gemahlin Felime's, welche die Bewerbung des


unangemessen, auch in dieser Beziehung auf die bessern Leistungen unserer Nachbarn
aufmerksam zu machen.

Das erste Stück,« mit welchem Angler vor das Publicum trat (18-44), und
sogleich einen bedeutenden Erfolge errang, war, wie es jetzt Mode zu werden scheint,
ein antikes Lustspiel: der Schierling (1a el^us). Es zeichnete sich vor den
ähnlichen desselben Genre dadurch ans, daß aller antiquarische Kram bei Seite
geworfen war. Die andern Dichter schlagen in der Regel ein beliebiges Com-
pendium auf, und bringen alle griechischen Ausdrücke an, die sich irgend darin
finden. Eine Geschmacklosigkeit, die das Gemachte des ganzen Genre verräth.
Angler ist so verständig, seine Athener gerade so sich unterhalten zu lassen, wie es
die gebildete Gesellschaft überhaupt zu thun pflegt, sein Dialog bedarf keiner Anmer¬
kungen, um allgemein verstanden zu werden. Er hat Athen gewählt, um sich mit
seinen Voraussetzungen freier bewegen zu können, vielleicht auch, weil er die
Pariser Gesellschaft weniger kannte, als es für einen Lustspieldichter erforderlich
ist. — Der Inhalt seines Stückes ist folgender.

Klimas glaubt alle Freuden des Lebens erschöpft zu haben, und stumpf zu
sein für jeden Genuß. Er ist blastrt, und will den Schierlingsbecher trinken.
Seine Freunde und Schmarotzer, Kleou und Paris, suchen ihn davon abzubringen,
denn mit seinem Tode hören die glänzenden Gastmähler auf, die der unermeßlich
reiche Mann ihnen zu geben pflegt. Er verspricht, seine Schätze ihnen zu hin¬
terlassen, und zwar, um sich in seiner letzten Stunde zu amusiren, demjenigen
unter ihnen, der zuerst das Herz einer jungen Sclavin Hippolyte erobert. .Der
rohe Egoismus ihrer Werbung macht, daß beide verschmäht werden. Jetzt ändert
Klimas die Scene. Er setzt den zum Erben ein, der am wenigsten gefällt. Es
ist nun mit viel komischer Kraft dargestellt, wie Jeder von beiden versucht, sich so
unausstehlich als möglich zu macheu. Endlich schenkt Klinias dem armen Mädchen
die Freiheit und bezahlt ihre Fahrt nach Hanse. Sie stammelt gerührt ihren
Dank; in ihm erwacht der alte Faun, er will sich bezahlt machen. Aber sie führt
ihn schnell zur Tugend zurück, und er ergreift mit fester Hand den Schierlings¬
becher; sie hat aber das Geheimniß seiner Seele erkannt, und fragt ihn, ob er
leben bleiben wolle, wenn er eine echte Liebe fände. Freilich! diente vou8
Mine. Erwünschter Schluß.

Das zweite Stück: lin, Komme av bien, hat entschieden Fiasco gemacht.
Der Dichter unternahm zu voreilig, die Thorheiten einer Gesellschaft darzustellen,
die er nicht kannte. Der '„ehrliche Mann," Mime, ist ein gemachter Charakter;
seine Kleinlichkeit in der Beurtheilung unbedeutender Fehler, und seine Nachsicht,
wo es sich nur ernste Dinge handelt, schmecken zu sehr nach der Absicht; ebenso
der Charakter seines Nebenbuhlers Octave, eines unbärtiger Rouö, der eben von
der Schulbank kommt, und bereits alle Illusionen des Lebens von sich geworfen
haben will. Rosa endlich, die Gemahlin Felime's, welche die Bewerbung des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/185>, abgerufen am 27.06.2024.