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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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der umgekehrten Richtung. Don Quirote ist zuerst eine reine Caricatur, eine
satyrische Abstraction; indem aber der Dichter diese Fratze der Mittelalterlichen
Ritterzeit sich mit dem Eifer eines Glänbigen in seinen romantischen Vorstellungen
ergehen läßt, findet sich so viel ehrbarer und anziehender Inhalt in denselben, daß
der Schemen unmerklich Fleisch und Blut gewinnt. Hier erstaunen wir darüber,
daß uns die Ideen dieses Narren so viel Interesse abgewinnen können; bei Walter
Scott kommt die Verwunderung im Gegentheil daher, daß wir uns frei fühlen
von den Ideen, die so gewaltige Kräfte in Bewegung gesetzt haben. Hätte
Cervantes es erleben können, daß die deutschen Romantiker seine Apotheose des
Mittelalters in baarem Ernst nahmen, und ans seinem Ritter von der traurigen
Gestalt ein Ideal machten, so wäre das der höchste Triumph seines Humors
gewesen.

Der trübselige Humor, der hener bei unsern Aesthetikern allein Gnade fin¬
det, hat seinen Vater in Sterne. Abgesehen von den fannischeN Gelüsten, die
bei diesem wunderlichen Dichter nicht selten auf eine ziemlich unbequeme Weise auf-
tauchen, besteht sein Humor aus einen: beständigen, mit Lächeln und Thränen gewürzten
Kopfschütteln über das Thema Hamlet's: Es gibt mehr Ding' im Himmel und
auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt. Es ist eine Art gemüthlicher
Blasirtheit, die auf die Länge nicht zu ertragen ist. Unsere deutschen Humoristen
sind alle von diesem Vorbild inspirirt. Die Hippel, Haman, Jean Paul,
Arnim, Brentano u. s. w., gehören in dem Theil, wo sie eigentlich poetisch
sind, ganz dem vorigen Genre an; aber das ist ihnen nicht gut genng; mitten in
ihren liebenswürdigen idyllischen Einfällen saugen sie plötzlich an, durch Thränen
zu lächeln, sie schütteln mit chinesischer Gravität die Köpfe und murmeln: Es
gibt mehr Ding' im Himmel und ans Erden, als eure Schulweisheit sich träumt;
in unendlichen Variationen, die eine unbedingte Formlosigkeit als das Recht ihrer
himmelanstrebenden Sehnsucht in Anspruch nehmen. -- Der Neueste englische
Humorist, Thackeray, hat das Idyll ganz aufgegeben; mit einer Schärfe Und
Correctheit der Zeichnung, in der Keiner der Andern ihm gleichkommt, schildert
er die Menschen vom König bis zum Bettler herunter als arme Sünder, die des
Ruhms ermangeln, und bemüht sich fortwährend, das thränenreiche Gefühl, daß
alle Ehre dieser Welt Eitelkeit sei, hinwegznlächeln. Diese immer erneuere, ver¬
gebliche Anstrengung wirkt zuletzt sehr einschläfernd.

Ich übergehe Carlyle, der als merkwürdiges Zeichen der Zeit eine eigene
Darstellung verdient, und dente nnr noch auf diejenigen deutschen Schriftsteller
hin, in welchen sich der Verfall des Humors am augenscheinlichsten offenbart.
Wenn E. T. A. Hoffmann in seinem Kater Murr eine Reihe von Fragmenten
aneinander heftet, die nach zwei entgegengesetzten Richtungen hingehen: in der
einen Alles Romantik, Flittergold, Somnambulismus, Zauberei, Geister erster
Sorte, in der andern die gemeine Prosa eines nüchternen Philisters, so besteht


der umgekehrten Richtung. Don Quirote ist zuerst eine reine Caricatur, eine
satyrische Abstraction; indem aber der Dichter diese Fratze der Mittelalterlichen
Ritterzeit sich mit dem Eifer eines Glänbigen in seinen romantischen Vorstellungen
ergehen läßt, findet sich so viel ehrbarer und anziehender Inhalt in denselben, daß
der Schemen unmerklich Fleisch und Blut gewinnt. Hier erstaunen wir darüber,
daß uns die Ideen dieses Narren so viel Interesse abgewinnen können; bei Walter
Scott kommt die Verwunderung im Gegentheil daher, daß wir uns frei fühlen
von den Ideen, die so gewaltige Kräfte in Bewegung gesetzt haben. Hätte
Cervantes es erleben können, daß die deutschen Romantiker seine Apotheose des
Mittelalters in baarem Ernst nahmen, und ans seinem Ritter von der traurigen
Gestalt ein Ideal machten, so wäre das der höchste Triumph seines Humors
gewesen.

Der trübselige Humor, der hener bei unsern Aesthetikern allein Gnade fin¬
det, hat seinen Vater in Sterne. Abgesehen von den fannischeN Gelüsten, die
bei diesem wunderlichen Dichter nicht selten auf eine ziemlich unbequeme Weise auf-
tauchen, besteht sein Humor aus einen: beständigen, mit Lächeln und Thränen gewürzten
Kopfschütteln über das Thema Hamlet's: Es gibt mehr Ding' im Himmel und
auf Erden, als eure Schulweisheit sich träumt. Es ist eine Art gemüthlicher
Blasirtheit, die auf die Länge nicht zu ertragen ist. Unsere deutschen Humoristen
sind alle von diesem Vorbild inspirirt. Die Hippel, Haman, Jean Paul,
Arnim, Brentano u. s. w., gehören in dem Theil, wo sie eigentlich poetisch
sind, ganz dem vorigen Genre an; aber das ist ihnen nicht gut genng; mitten in
ihren liebenswürdigen idyllischen Einfällen saugen sie plötzlich an, durch Thränen
zu lächeln, sie schütteln mit chinesischer Gravität die Köpfe und murmeln: Es
gibt mehr Ding' im Himmel und ans Erden, als eure Schulweisheit sich träumt;
in unendlichen Variationen, die eine unbedingte Formlosigkeit als das Recht ihrer
himmelanstrebenden Sehnsucht in Anspruch nehmen. — Der Neueste englische
Humorist, Thackeray, hat das Idyll ganz aufgegeben; mit einer Schärfe Und
Correctheit der Zeichnung, in der Keiner der Andern ihm gleichkommt, schildert
er die Menschen vom König bis zum Bettler herunter als arme Sünder, die des
Ruhms ermangeln, und bemüht sich fortwährend, das thränenreiche Gefühl, daß
alle Ehre dieser Welt Eitelkeit sei, hinwegznlächeln. Diese immer erneuere, ver¬
gebliche Anstrengung wirkt zuletzt sehr einschläfernd.

Ich übergehe Carlyle, der als merkwürdiges Zeichen der Zeit eine eigene
Darstellung verdient, und dente nnr noch auf diejenigen deutschen Schriftsteller
hin, in welchen sich der Verfall des Humors am augenscheinlichsten offenbart.
Wenn E. T. A. Hoffmann in seinem Kater Murr eine Reihe von Fragmenten
aneinander heftet, die nach zwei entgegengesetzten Richtungen hingehen: in der
einen Alles Romantik, Flittergold, Somnambulismus, Zauberei, Geister erster
Sorte, in der andern die gemeine Prosa eines nüchternen Philisters, so besteht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/179>, abgerufen am 24.07.2024.