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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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verliert,, iK Verrücktheit oder ekelhafte, unzüchtige Affectation-, mit wie viel Talent
er auch ausgeübt sein mag. Narr ein heiteres, sittliches und gutartiges Gemüth
hat das Recht, humoristisch zu sein; nur eine gediegene plastische Natur das
Recht, humoristisch dargestellt zu werden; denn die Siechheit des Dichters oder
seines Gegenstandes tritt in der Form der Willkür nur uoch beleidigender hervor.

Die einfachste und natürlichste Form des Humors, jene Form, in welcher
die Engländer sich zu allen Zeiten ausgezeichnet haben, im vorigen Jahrhundert
Fielding und Smollet, in unseren Tagen Marryat, Hook, Leo er u. s. w.,
hat bis zu einem gewissen Grade Jeder von uns ausgeübt. Jeder -von uns
hat auf den Schulbänken oder als Student gegen den Lehrer oder den Philister
irgend welche Narrenstreiche ausgeübt, und Jeder hat diese lustige Erinnerung,
wenn er mit. alten Kameraden zusammenkam, durch Wahrheit und Dichtung zu
einer künstlerischen Composttion abgerundet. Schulgeschichten sind auch immer das
geläufigste Thema des englischen Romans.

Es liegt die Lust an dieser Form mehr im Negativen, sie hat, so bunt anch
ihre Maskenscherze sein mögen, zu wenig eigenen, innern Inhalt. Weit höher
steht der Humor Goldsmith's und Washington Irving's. Da Dickens
iZ die nämliche Reihe gehört, so genügen hier einige Andeutungen. Deh Vicar
ot' ^akeiielä und das SKeteK-VooK sind die eigentlichen modernen Idyllen: W
Rückkehr der Erde, die sonst in der Poesie sich zu entfliehen strebt, um den
Himmel zu erreichen, zu sich selber. Im Epos, in der Tragödie, in her Lyrik
dehnt sich die Sehnsucht des Geistes ins Unendliche; das Licht, welches sie sucht,
ist polemisch gegen die kleinen.Schatten der Erde. Das Idyll geht nicht diesem
überirdischen Lichte nach, es concentrirt sich um das Kaminfeuer,. die Kerzen des
Weihnachtsbaums; es führt das strebende Herz, das seiner nächsten Natur ent¬
fremdet war, in den engen Kreis seiner Geburt zurück, und zeigt ihm das Ideal
in dem, was es hat. Daß der unendliche Schatz von Liebe, dessen es sich erfreut,
im Begrenzten und Endlichen sich völlig erschöpft, das ist der Humor dieser
Dichtungsform.

Bei Walter Scott besteht der Humor in einer sehr gelinden und feinen
Ironie, durch welche sich der Dichter von dem Pathos seiner Helden unterscheidet.
Der eigentliche Epiker verliert sich vollständig in seinen Gegenstand; npr Achill,
Hektor, Odysseus fesseln unsere Theilnahme, Homer verschwindet. Dies reine
Epos ist nur denkbar in einer Zeit, in welcher die sittlichen Voraussetzungen noch
ungefähr auf dem gleichen Niveau standen. Eine Zeit, welche Claverhonse und
Burley, die Puritaner und die Eavaliere, also zwei a.anz verschiedene Welten
mit einander in Rapport bringt, erträgt diese Objectivität nicht. Walter Scott
deutet überall durch ganz zarte ironische Winke, trotz der Wärme, mit der er sich
in die Anschauungsweise seiner Helden vertieft, die Freiheit von ihren Voraus¬
setzungen an. -- Bei Cervantes ist es beiläufig etwas Aehnliches, aber nach


verliert,, iK Verrücktheit oder ekelhafte, unzüchtige Affectation-, mit wie viel Talent
er auch ausgeübt sein mag. Narr ein heiteres, sittliches und gutartiges Gemüth
hat das Recht, humoristisch zu sein; nur eine gediegene plastische Natur das
Recht, humoristisch dargestellt zu werden; denn die Siechheit des Dichters oder
seines Gegenstandes tritt in der Form der Willkür nur uoch beleidigender hervor.

Die einfachste und natürlichste Form des Humors, jene Form, in welcher
die Engländer sich zu allen Zeiten ausgezeichnet haben, im vorigen Jahrhundert
Fielding und Smollet, in unseren Tagen Marryat, Hook, Leo er u. s. w.,
hat bis zu einem gewissen Grade Jeder von uns ausgeübt. Jeder -von uns
hat auf den Schulbänken oder als Student gegen den Lehrer oder den Philister
irgend welche Narrenstreiche ausgeübt, und Jeder hat diese lustige Erinnerung,
wenn er mit. alten Kameraden zusammenkam, durch Wahrheit und Dichtung zu
einer künstlerischen Composttion abgerundet. Schulgeschichten sind auch immer das
geläufigste Thema des englischen Romans.

Es liegt die Lust an dieser Form mehr im Negativen, sie hat, so bunt anch
ihre Maskenscherze sein mögen, zu wenig eigenen, innern Inhalt. Weit höher
steht der Humor Goldsmith's und Washington Irving's. Da Dickens
iZ die nämliche Reihe gehört, so genügen hier einige Andeutungen. Deh Vicar
ot' ^akeiielä und das SKeteK-VooK sind die eigentlichen modernen Idyllen: W
Rückkehr der Erde, die sonst in der Poesie sich zu entfliehen strebt, um den
Himmel zu erreichen, zu sich selber. Im Epos, in der Tragödie, in her Lyrik
dehnt sich die Sehnsucht des Geistes ins Unendliche; das Licht, welches sie sucht,
ist polemisch gegen die kleinen.Schatten der Erde. Das Idyll geht nicht diesem
überirdischen Lichte nach, es concentrirt sich um das Kaminfeuer,. die Kerzen des
Weihnachtsbaums; es führt das strebende Herz, das seiner nächsten Natur ent¬
fremdet war, in den engen Kreis seiner Geburt zurück, und zeigt ihm das Ideal
in dem, was es hat. Daß der unendliche Schatz von Liebe, dessen es sich erfreut,
im Begrenzten und Endlichen sich völlig erschöpft, das ist der Humor dieser
Dichtungsform.

Bei Walter Scott besteht der Humor in einer sehr gelinden und feinen
Ironie, durch welche sich der Dichter von dem Pathos seiner Helden unterscheidet.
Der eigentliche Epiker verliert sich vollständig in seinen Gegenstand; npr Achill,
Hektor, Odysseus fesseln unsere Theilnahme, Homer verschwindet. Dies reine
Epos ist nur denkbar in einer Zeit, in welcher die sittlichen Voraussetzungen noch
ungefähr auf dem gleichen Niveau standen. Eine Zeit, welche Claverhonse und
Burley, die Puritaner und die Eavaliere, also zwei a.anz verschiedene Welten
mit einander in Rapport bringt, erträgt diese Objectivität nicht. Walter Scott
deutet überall durch ganz zarte ironische Winke, trotz der Wärme, mit der er sich
in die Anschauungsweise seiner Helden vertieft, die Freiheit von ihren Voraus¬
setzungen an. — Bei Cervantes ist es beiläufig etwas Aehnliches, aber nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/178>, abgerufen am 27.06.2024.