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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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stiftete, als Einer, der von Bevölkerung nur redete; darum hatte ich kaum mein
Amt, als ich auch ernstlich an Heirath dachte u. s. w." Hier liegt das Komische
namentlich in der Ciutheiluug der Menschen in solche, welche die Welt wirklich
bevölkern, und solche, die von Bevölkerung nur reden; und in dem ans einem
Princip hergeleiteten Entschluß der Heirath. Beides ist an sich nicht falsch, aber
es widerspricht den currenten Vorstellungen. Ganz ähnlich Polonius. -- Der
Ausdruck ist die Hauptsache, darum haben die Franzosen so wenig Humor. Ihre
Sprache bewegt sich stets in gerader Linie, in logischer Folge; der Humor ver¬
langt die krumme Linie und eine gewisse, an Zerstreutheit grenzende Toleranz
den logischen Anforderungen gegenüber.

Endlich versteht der Humor Spaß. Was das heißt, will ich hier nicht
analysiren, weil ich keine Theorie der Aesthetik schreibe; ich berufe mich darauf,
daß Jedermann es weiß. Ich will mich nur dagegen verwahren, daß der Humor
ans einem Gefühl der allgemeinen Nichtigkeit hervorgehen soll*); er muß im
Gegentheil, wenn er wohlthuend wirken soll, aus einem lebendigen Interesse für
alles Lebendige, so klein und unscheinbar es auch sein mag, hervorgehen. Den
Humor, welcher erst die allgemeine Fäulniß gekostet haben muß, um dann, weil
doch nichts auf der Welt einen Schuß Pulver werth ist, sich mit gleich blasirter Liebe
für das Gute wie für das Schlechte zu interessiren, nennt man mit Recht Gal¬
genhumor.

Ich beschränke mich absichtlich auf diese wenigen Bemerkungen, weil sie für
meinen Zweck genügen. Es ergibt sich daraus, daß der Humor an sich kein Gesetz
und keine dialektische Bewegung hervorbringen kann, daß er nur berechtigt ist, inso¬
fern er einem höhern künstlerischen Zweck dient. Der größte humoristische
Dichter aller Zeiten ist Shakespeare; er ist nie bloßer Humorist, oder wo er es
ist, erscheint er am schwächsten (z. B. in einigen Lustspielen, die heutzutage kein
Mensch mehr auf der Bühne sehen möchte). Der Humor ist eine Form der Dar¬
stellung, die, wenn sie sich zum Herrn macht, alle Kunst in Wildniß auflöst; die
aber, wenn sie sich den höhern Zwecken fügt, die Idealität des Kunstwerks erhöht.

Der Humor ist nur dann im Recht, wenn seine Unwissenheit über den Un¬
terschied von Grün und Gelb, Todte und Lebendige, Recht und Unrecht nur ein
Schein ist. Der Humor, der in der That das Bewußtsein dieses Unterschiedes



Bischer erklärt H 917: "In die unmittelbare Lust muß die herbere Erfahrung
der allgemeine" sittlichen Unreinheit und des allgemeinen Uebels, denen sich auch das lustige
Subject nicht entziehen kann, alö Quelle inneren Kampfes eintreten," und fügt in der
Anmerkung hinzu: "Starke jugendliche Naturen, die freilich zu dem Bewußtsein gelangen,
daß sie mit den Wölfen heulen müssen; aber die Fülle einer unüberwindlichen Gesundheit. .
schäumt über das Gefühl, wie krank die Welt ist, brausend in Jugendscherz hin. Man
denke an Mercutio." -- Ich frage alle Welt, wo ist in Mercutio auch nur eine Spur von
diesem Weltschmerz, wo eine Spur davou in seinem größeren Zwillingsbruder Percy
Heißsporn?

stiftete, als Einer, der von Bevölkerung nur redete; darum hatte ich kaum mein
Amt, als ich auch ernstlich an Heirath dachte u. s. w." Hier liegt das Komische
namentlich in der Ciutheiluug der Menschen in solche, welche die Welt wirklich
bevölkern, und solche, die von Bevölkerung nur reden; und in dem ans einem
Princip hergeleiteten Entschluß der Heirath. Beides ist an sich nicht falsch, aber
es widerspricht den currenten Vorstellungen. Ganz ähnlich Polonius. — Der
Ausdruck ist die Hauptsache, darum haben die Franzosen so wenig Humor. Ihre
Sprache bewegt sich stets in gerader Linie, in logischer Folge; der Humor ver¬
langt die krumme Linie und eine gewisse, an Zerstreutheit grenzende Toleranz
den logischen Anforderungen gegenüber.

Endlich versteht der Humor Spaß. Was das heißt, will ich hier nicht
analysiren, weil ich keine Theorie der Aesthetik schreibe; ich berufe mich darauf,
daß Jedermann es weiß. Ich will mich nur dagegen verwahren, daß der Humor
ans einem Gefühl der allgemeinen Nichtigkeit hervorgehen soll*); er muß im
Gegentheil, wenn er wohlthuend wirken soll, aus einem lebendigen Interesse für
alles Lebendige, so klein und unscheinbar es auch sein mag, hervorgehen. Den
Humor, welcher erst die allgemeine Fäulniß gekostet haben muß, um dann, weil
doch nichts auf der Welt einen Schuß Pulver werth ist, sich mit gleich blasirter Liebe
für das Gute wie für das Schlechte zu interessiren, nennt man mit Recht Gal¬
genhumor.

Ich beschränke mich absichtlich auf diese wenigen Bemerkungen, weil sie für
meinen Zweck genügen. Es ergibt sich daraus, daß der Humor an sich kein Gesetz
und keine dialektische Bewegung hervorbringen kann, daß er nur berechtigt ist, inso¬
fern er einem höhern künstlerischen Zweck dient. Der größte humoristische
Dichter aller Zeiten ist Shakespeare; er ist nie bloßer Humorist, oder wo er es
ist, erscheint er am schwächsten (z. B. in einigen Lustspielen, die heutzutage kein
Mensch mehr auf der Bühne sehen möchte). Der Humor ist eine Form der Dar¬
stellung, die, wenn sie sich zum Herrn macht, alle Kunst in Wildniß auflöst; die
aber, wenn sie sich den höhern Zwecken fügt, die Idealität des Kunstwerks erhöht.

Der Humor ist nur dann im Recht, wenn seine Unwissenheit über den Un¬
terschied von Grün und Gelb, Todte und Lebendige, Recht und Unrecht nur ein
Schein ist. Der Humor, der in der That das Bewußtsein dieses Unterschiedes



Bischer erklärt H 917: „In die unmittelbare Lust muß die herbere Erfahrung
der allgemeine» sittlichen Unreinheit und des allgemeinen Uebels, denen sich auch das lustige
Subject nicht entziehen kann, alö Quelle inneren Kampfes eintreten," und fügt in der
Anmerkung hinzu: „Starke jugendliche Naturen, die freilich zu dem Bewußtsein gelangen,
daß sie mit den Wölfen heulen müssen; aber die Fülle einer unüberwindlichen Gesundheit. .
schäumt über das Gefühl, wie krank die Welt ist, brausend in Jugendscherz hin. Man
denke an Mercutio." — Ich frage alle Welt, wo ist in Mercutio auch nur eine Spur von
diesem Weltschmerz, wo eine Spur davou in seinem größeren Zwillingsbruder Percy
Heißsporn?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/177>, abgerufen am 27.06.2024.