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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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die gewaltigste Anstrengung kosten würde. Oder noch besser, man mischt alle
diese Stimmungen in einander, man "lächelt durch Thränen", und glaubt sich
damit ebensowohl über den Ernst wie über den Spaß zu erheben. Der echte
Humor dagegen kennt keine Thränen, er ist nie melancholisch, sondern immer
heiter; er gehört zur komischen Poesie und benutzt auch das Tragische und Rüh¬
rende zu komischen Zwecken.

Unsere Kunstphilosophen haben sich seit Jean Paul in die Ansicht verrannt, der
Humor sei die höchste Form der Poesie. Namentlich seitdem in der herrschenden Schule
die einfacheren Begriffe als die niedrigeren, die zusammengesetzten als die höheren
aufgefaßt werdeu. Hegel selbst ist in diesen Fehler uicht verfallen; er eifert mit
seiner gewöhnlichen Schärfe gegen die moderne (Heine'sche) Weltironie, der Alles
zugleich so erhaben und so lächerlich vorkommt, daß sie niemals recht weiß, ob
sie vor Lachen ersticken oder vor Begeisterung vergehen sott. Sein Schüler Fr.
Bischer ist aber wieder zu Jean Paul übergegangen. Er construirt am Schluß
des ersten Bandes seiner Aesthetik den Humor als die Totalität der geistigen
Natur des Menschen und schildert einen Humoristen, der diesen Inbegriff des
Ideals in sich trägt. Es wird eine greuliche Mißgeburt daraus, und man wird
nicht wenig überrascht, als der Philosoph triumphirend ausruft: das ist das
Wahre ! so muß der Mensch sein! -- Hier will ich von Humor uur diejenigen
Momente in Erinnerung rufen, die eigentlich Jedermann schon weiß, die man
aber aus zu großem Tiefsinn übersteht.

Das Wesen der humoristischen Darstellung im Gegensatz sowohl zu der tra¬
gischen als anch zu der specifisch komischen (ironischen :c.) besteht einmal darin,
daß sie sich ius Detail vertieft, und dasselbe nicht blos dem Gesammtzweck des
Kunstwerks zu Liebe, souderu um seiner selbst willen darstellt. Der Humor über¬
rascht uus durch unser eigenes Interesse, das wir an Dingen nehmen, die uns
sonst der Beachtung nicht werth scheinen. -- Das Idyll ist der erste Ansatz
zum Humor, wie das Genrebild überhaupt; der 7öde Geburtstag von Voß ein
vortreffliches humoristisches Gedicht.

Die zweite Bestimmung hängt unmittelbar mit der ersten zusammen. Weil
der humoristische Dichter von der Anschauung des Einzelnen ausgeht und dasselbe
in seiner Totalität, also als zusammengesetzt aus verschiedenen Bestandtheilen aus¬
malt, so ergibt sich daraus die Nothwendigkeit, einerseits mit der Stimmung den wech¬
selnden Eindrücken zu folgen, andererseits verschiedene Stimmungen gleichzeitig festzu¬
halten. Ich möchte nicht gerade Lachen und Weinen nennen, denn hier kommt schon
ein dem Humor ganz fremd liegendes Moment hinein; aber die Mischung von
Befriedigung über eiuen zweckmäßigen Inhalt und Verwunderung über eine baroke
Form. So der unübertreffliche Anfang des Vicar: "Ich war immer der Ansicht,
daß Einer, der sich verheirathete, und eine zahlreiche Familie auszog, mehr Nutzen


die gewaltigste Anstrengung kosten würde. Oder noch besser, man mischt alle
diese Stimmungen in einander, man „lächelt durch Thränen", und glaubt sich
damit ebensowohl über den Ernst wie über den Spaß zu erheben. Der echte
Humor dagegen kennt keine Thränen, er ist nie melancholisch, sondern immer
heiter; er gehört zur komischen Poesie und benutzt auch das Tragische und Rüh¬
rende zu komischen Zwecken.

Unsere Kunstphilosophen haben sich seit Jean Paul in die Ansicht verrannt, der
Humor sei die höchste Form der Poesie. Namentlich seitdem in der herrschenden Schule
die einfacheren Begriffe als die niedrigeren, die zusammengesetzten als die höheren
aufgefaßt werdeu. Hegel selbst ist in diesen Fehler uicht verfallen; er eifert mit
seiner gewöhnlichen Schärfe gegen die moderne (Heine'sche) Weltironie, der Alles
zugleich so erhaben und so lächerlich vorkommt, daß sie niemals recht weiß, ob
sie vor Lachen ersticken oder vor Begeisterung vergehen sott. Sein Schüler Fr.
Bischer ist aber wieder zu Jean Paul übergegangen. Er construirt am Schluß
des ersten Bandes seiner Aesthetik den Humor als die Totalität der geistigen
Natur des Menschen und schildert einen Humoristen, der diesen Inbegriff des
Ideals in sich trägt. Es wird eine greuliche Mißgeburt daraus, und man wird
nicht wenig überrascht, als der Philosoph triumphirend ausruft: das ist das
Wahre ! so muß der Mensch sein! — Hier will ich von Humor uur diejenigen
Momente in Erinnerung rufen, die eigentlich Jedermann schon weiß, die man
aber aus zu großem Tiefsinn übersteht.

Das Wesen der humoristischen Darstellung im Gegensatz sowohl zu der tra¬
gischen als anch zu der specifisch komischen (ironischen :c.) besteht einmal darin,
daß sie sich ius Detail vertieft, und dasselbe nicht blos dem Gesammtzweck des
Kunstwerks zu Liebe, souderu um seiner selbst willen darstellt. Der Humor über¬
rascht uus durch unser eigenes Interesse, das wir an Dingen nehmen, die uns
sonst der Beachtung nicht werth scheinen. — Das Idyll ist der erste Ansatz
zum Humor, wie das Genrebild überhaupt; der 7öde Geburtstag von Voß ein
vortreffliches humoristisches Gedicht.

Die zweite Bestimmung hängt unmittelbar mit der ersten zusammen. Weil
der humoristische Dichter von der Anschauung des Einzelnen ausgeht und dasselbe
in seiner Totalität, also als zusammengesetzt aus verschiedenen Bestandtheilen aus¬
malt, so ergibt sich daraus die Nothwendigkeit, einerseits mit der Stimmung den wech¬
selnden Eindrücken zu folgen, andererseits verschiedene Stimmungen gleichzeitig festzu¬
halten. Ich möchte nicht gerade Lachen und Weinen nennen, denn hier kommt schon
ein dem Humor ganz fremd liegendes Moment hinein; aber die Mischung von
Befriedigung über eiuen zweckmäßigen Inhalt und Verwunderung über eine baroke
Form. So der unübertreffliche Anfang des Vicar: „Ich war immer der Ansicht,
daß Einer, der sich verheirathete, und eine zahlreiche Familie auszog, mehr Nutzen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/176>, abgerufen am 24.07.2024.