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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Englische Novellisten.
i.
Charles Dickens.

Boz ist heute der populärste Schriftsteller beider Welten, er ist aber zugleich
der nanoualste. Seiten hat sich in einem Dichter die Besonderheit eines Volks¬
stammes so charakteristisch ausgeprägt. Darum erstreckt sich sein Einfluß in Eng¬
land selbst auf seine Fehler; die Sprachverdrehungen, die er sich nicht selten zu
Schulden kommen läßt, wurden zuerst im Spaß, dann ohne Weiteres adoptirt;
viele von seinen Figuren: Peksniff, Mistreß Harris u. s. w., siud Typen geworden.
Die Leser aus allen Classen spinnen sich so in den allmäligen Verlaufseiner Geschichten
ein, daß es ihm zuweilen geht, wie Klopstock mit seinem gefallenen Engel Abba-
donna: er wurde während des Erscheinens seines Naritätenladens von theilneh¬
menden Damen inständig angegangen, die kleine nett nicht umzubringen (no>. w
Kill MUe llely. Daß er seine mörderische Absicht trotzdem durchführte, macht
seiner Standhaftigkeit alle Ehre.

Gelesen hat Boz Jedermann; reflectirt haben über ihn nur Wenige, wie das
bei populären Schriften zu gehen pflegt. Einige Reflexionen dürften also nicht
überflüssig sein.

Vor den Pickwick-Papers, die 1835 erschienen und seinen Ruf augen¬
blicklich auf eine Weise begründeten (er war damals 33 Jahr alt), daß er durch
die folgenden Romane kaum noch gesteigert werden konnte, hatte Dickens einzelne
Skizzen aus London geschrieben, die später gesammelt erschienen. Die Engländer
reihen diese Skizzen, die bei uns weniger Eingang gefunden haben, weil sie sich
zum Theil aus Einzelheiten beziehen, die uus unbekannt und unverständlich
sind, noch immer unter seine besten Leistungen, und mit Recht. Zwar sind sie im
Allgemeinen in der Manier von Washington Irving geschrieben und haben lange


Grenzvoten. I. 18S1. , 21
Englische Novellisten.
i.
Charles Dickens.

Boz ist heute der populärste Schriftsteller beider Welten, er ist aber zugleich
der nanoualste. Seiten hat sich in einem Dichter die Besonderheit eines Volks¬
stammes so charakteristisch ausgeprägt. Darum erstreckt sich sein Einfluß in Eng¬
land selbst auf seine Fehler; die Sprachverdrehungen, die er sich nicht selten zu
Schulden kommen läßt, wurden zuerst im Spaß, dann ohne Weiteres adoptirt;
viele von seinen Figuren: Peksniff, Mistreß Harris u. s. w., siud Typen geworden.
Die Leser aus allen Classen spinnen sich so in den allmäligen Verlaufseiner Geschichten
ein, daß es ihm zuweilen geht, wie Klopstock mit seinem gefallenen Engel Abba-
donna: er wurde während des Erscheinens seines Naritätenladens von theilneh¬
menden Damen inständig angegangen, die kleine nett nicht umzubringen (no>. w
Kill MUe llely. Daß er seine mörderische Absicht trotzdem durchführte, macht
seiner Standhaftigkeit alle Ehre.

Gelesen hat Boz Jedermann; reflectirt haben über ihn nur Wenige, wie das
bei populären Schriften zu gehen pflegt. Einige Reflexionen dürften also nicht
überflüssig sein.

Vor den Pickwick-Papers, die 1835 erschienen und seinen Ruf augen¬
blicklich auf eine Weise begründeten (er war damals 33 Jahr alt), daß er durch
die folgenden Romane kaum noch gesteigert werden konnte, hatte Dickens einzelne
Skizzen aus London geschrieben, die später gesammelt erschienen. Die Engländer
reihen diese Skizzen, die bei uns weniger Eingang gefunden haben, weil sie sich
zum Theil aus Einzelheiten beziehen, die uus unbekannt und unverständlich
sind, noch immer unter seine besten Leistungen, und mit Recht. Zwar sind sie im
Allgemeinen in der Manier von Washington Irving geschrieben und haben lange


Grenzvoten. I. 18S1. , 21
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[0173] Englische Novellisten. i. Charles Dickens. Boz ist heute der populärste Schriftsteller beider Welten, er ist aber zugleich der nanoualste. Seiten hat sich in einem Dichter die Besonderheit eines Volks¬ stammes so charakteristisch ausgeprägt. Darum erstreckt sich sein Einfluß in Eng¬ land selbst auf seine Fehler; die Sprachverdrehungen, die er sich nicht selten zu Schulden kommen läßt, wurden zuerst im Spaß, dann ohne Weiteres adoptirt; viele von seinen Figuren: Peksniff, Mistreß Harris u. s. w., siud Typen geworden. Die Leser aus allen Classen spinnen sich so in den allmäligen Verlaufseiner Geschichten ein, daß es ihm zuweilen geht, wie Klopstock mit seinem gefallenen Engel Abba- donna: er wurde während des Erscheinens seines Naritätenladens von theilneh¬ menden Damen inständig angegangen, die kleine nett nicht umzubringen (no>. w Kill MUe llely. Daß er seine mörderische Absicht trotzdem durchführte, macht seiner Standhaftigkeit alle Ehre. Gelesen hat Boz Jedermann; reflectirt haben über ihn nur Wenige, wie das bei populären Schriften zu gehen pflegt. Einige Reflexionen dürften also nicht überflüssig sein. Vor den Pickwick-Papers, die 1835 erschienen und seinen Ruf augen¬ blicklich auf eine Weise begründeten (er war damals 33 Jahr alt), daß er durch die folgenden Romane kaum noch gesteigert werden konnte, hatte Dickens einzelne Skizzen aus London geschrieben, die später gesammelt erschienen. Die Engländer reihen diese Skizzen, die bei uns weniger Eingang gefunden haben, weil sie sich zum Theil aus Einzelheiten beziehen, die uus unbekannt und unverständlich sind, noch immer unter seine besten Leistungen, und mit Recht. Zwar sind sie im Allgemeinen in der Manier von Washington Irving geschrieben und haben lange Grenzvoten. I. 18S1. , 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/173>, abgerufen am 27.06.2024.