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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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des bürgerlichen Selbstgefühls, Verstärkung der politischen Opposition, zuletzt eine
Verfassung und Regierung, welche den Einzelnen höher achten müßte, als das
Habsburgische Regiment zu thun gewöhnt ist. Daß jede Annäherung an Deutschland
etwas vou diesen Vorheileu herbeiführen müßte, ein Allfhöreu der Zollgrenzen
sie im Laufe der Jahre alle herbeiführen würde, kann nnr der bezweifeln, welcher
die Geschichte ähnlicher Handels-Bündnisse, z. B. des Zollvereins, nicht beachtet.
Man erstaunt bei uns in Wien zuweilen lebhaft über die Herrschaft, welche
Preußen auf die Gemüther der Bürger kleinerer Staaten ausübt, und schreibt
diese, ich möchte sagen, widerwillige Neigung und Abhängigkeit preußischen In¬
triguen zu. Mau kennt sehr wenig die Beschaffenheit dieser Liebe; sie ist ganz
allmälig und unter großem Kampf mit alten Antipathien erwachsen aus dem Be¬
wußtsein gemeinsamer Interessen in Handel, Industrie, Wissenschaft und Kunst.
Auch die Voller Oestreichs würden trotz der Größe des Staates unwiderstehlich
in diese V>örbindnng und Abhängigkeit hereingezogen werden, und wie die übrigen
Völkep^deutschlauds an die Preußen, so werden sich die Völker des KaiserstaatS
-- zum Theil auch sehr widerwillig -- an die gesammten Deutschen häugen:
"le Oestreicher, Nordböhmeu und Ungarn schnell und innig, die Ezecheu lang¬
samer und mit slavischen Hintergedanken. -- Es ist möglich, daß eine solche Ver¬
einigung der wichtigsten Interessen Oestreichs und Deutschlands sür die deutschen
Völker allerlei Bedenken hat, da sie in ihrer Industrie, ihrer Wissenschaft und
ihrem Staatsleben bereits eine auf ausgebildetere Interessen berechnete Bahn be¬
treten haben; für unsere Völker müßte sie der Anfang eiuer neuen Eutwickeluugs-
epoche werdeu, welche uus friedlich und allmälig von der Herrschaft der Priester,
der Generale und aller übrigen despotischen Gewalten befreien könnte.

Dazu kommt noch, daß unsere Staatsregierung durch deu Zutritt zum deut¬
schen Bunde selbst liberaler werden sollte; nicht bedeutend, und nicht ans einmal;
die Aenderung würde uus aber doch bemerkbar werdeu. Denn in alleu deutscheu
Staaten hat das constitutionelle Leben festere Wurzeln geschlagen als bei uns,
überall herrscht in der Regierung mehr Ordnung, Humanität und Gewissenhaftig-
keit als bei uus; überall, im Ganzen betrachtet, größere Theilung des Grund¬
besitzes, größere Mannigfaltigkeit der Bildung; überall größere Freiheit, im
besten Sinne des Wortes. Nun ist aber klar, daß eine'gemeinsame Central-
regierung in ihrer Gesetzgebung und Administration influirt werdeu muß durch
die politischen Eigenthümlichkeiten ihrer einzelnen Theile; Oestreich wird auf die
deutscheu Staaten ebenso retardirend wirken, wie Deutschland auf die östreichische
Regierung vorwärtötreibeud, und wenn die Deutschen dnrch den Bund vielleicht
aufgehalten werden, wir würden zuverlässig durch thu gewinnen.

Ich weiß uicht, ob die gegenwärtigen Regenten des. Kaiserstaats alle diese
Cou,equeuzen eines neuen Bundes mit Deutschland voraussehen, und noch weni¬
ger, ob sie dieselbe" herbeisehnen oder zu verhindern hoffen. Möglich ist, daß


des bürgerlichen Selbstgefühls, Verstärkung der politischen Opposition, zuletzt eine
Verfassung und Regierung, welche den Einzelnen höher achten müßte, als das
Habsburgische Regiment zu thun gewöhnt ist. Daß jede Annäherung an Deutschland
etwas vou diesen Vorheileu herbeiführen müßte, ein Allfhöreu der Zollgrenzen
sie im Laufe der Jahre alle herbeiführen würde, kann nnr der bezweifeln, welcher
die Geschichte ähnlicher Handels-Bündnisse, z. B. des Zollvereins, nicht beachtet.
Man erstaunt bei uns in Wien zuweilen lebhaft über die Herrschaft, welche
Preußen auf die Gemüther der Bürger kleinerer Staaten ausübt, und schreibt
diese, ich möchte sagen, widerwillige Neigung und Abhängigkeit preußischen In¬
triguen zu. Mau kennt sehr wenig die Beschaffenheit dieser Liebe; sie ist ganz
allmälig und unter großem Kampf mit alten Antipathien erwachsen aus dem Be¬
wußtsein gemeinsamer Interessen in Handel, Industrie, Wissenschaft und Kunst.
Auch die Voller Oestreichs würden trotz der Größe des Staates unwiderstehlich
in diese V>örbindnng und Abhängigkeit hereingezogen werden, und wie die übrigen
Völkep^deutschlauds an die Preußen, so werden sich die Völker des KaiserstaatS
— zum Theil auch sehr widerwillig — an die gesammten Deutschen häugen:
"le Oestreicher, Nordböhmeu und Ungarn schnell und innig, die Ezecheu lang¬
samer und mit slavischen Hintergedanken. — Es ist möglich, daß eine solche Ver¬
einigung der wichtigsten Interessen Oestreichs und Deutschlands sür die deutschen
Völker allerlei Bedenken hat, da sie in ihrer Industrie, ihrer Wissenschaft und
ihrem Staatsleben bereits eine auf ausgebildetere Interessen berechnete Bahn be¬
treten haben; für unsere Völker müßte sie der Anfang eiuer neuen Eutwickeluugs-
epoche werdeu, welche uus friedlich und allmälig von der Herrschaft der Priester,
der Generale und aller übrigen despotischen Gewalten befreien könnte.

Dazu kommt noch, daß unsere Staatsregierung durch deu Zutritt zum deut¬
schen Bunde selbst liberaler werden sollte; nicht bedeutend, und nicht ans einmal;
die Aenderung würde uus aber doch bemerkbar werdeu. Denn in alleu deutscheu
Staaten hat das constitutionelle Leben festere Wurzeln geschlagen als bei uns,
überall herrscht in der Regierung mehr Ordnung, Humanität und Gewissenhaftig-
keit als bei uus; überall, im Ganzen betrachtet, größere Theilung des Grund¬
besitzes, größere Mannigfaltigkeit der Bildung; überall größere Freiheit, im
besten Sinne des Wortes. Nun ist aber klar, daß eine'gemeinsame Central-
regierung in ihrer Gesetzgebung und Administration influirt werdeu muß durch
die politischen Eigenthümlichkeiten ihrer einzelnen Theile; Oestreich wird auf die
deutscheu Staaten ebenso retardirend wirken, wie Deutschland auf die östreichische
Regierung vorwärtötreibeud, und wenn die Deutschen dnrch den Bund vielleicht
aufgehalten werden, wir würden zuverlässig durch thu gewinnen.

Ich weiß uicht, ob die gegenwärtigen Regenten des. Kaiserstaats alle diese
Cou,equeuzen eines neuen Bundes mit Deutschland voraussehen, und noch weni¬
ger, ob sie dieselbe» herbeisehnen oder zu verhindern hoffen. Möglich ist, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/17>, abgerufen am 04.07.2024.