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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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heit zeigt. Wir haben eine seltsame Fertigkeit uns sür alles Mögliche zu
enthusiasmiren, und haben ein so inniges Bedürfniß, dies zu thun, daß wir
ziemlich gleichgiltig gegen das Material unseres Enthusiasmus geworden sind.
Im Jahre 18-48 die neuen Uniformen der Legion und Nationalgarten, im Jahre
1850 die neuen Uniformen des kaiserlichen Militärs. Die Begeisterung sür beide
hatte gleich wenig sittlichen Gehalt.

Man macht sich jetzt auch in Deutschland unbeliebt, wenn man an alte Zei¬
ten erinnert, in Wien wird man dadurch verdächtig. Und da es noch unwill¬
kommener ist, über unserer Zukunft zu grübeln, so bleibt dem Einzelnen hier wirk¬
lich wenig Anderes übrig, als das Unvermeidliche über sich ergehen zu lassen und
den Augenblick zu genießen. Die Geigen schreien und die Pauken dröhnen heut
nicht blos für die gemüthlosen Gemüthlichen; auch sür solche, welche ein Mittel
suchen, ihren Kummer da zu vergessen, wo er am lebhaftesten ausbucht, beim
Abschluß eines politischen Lebensjahres.

Und doch muß ich unter Musik und Gläserkliugen heut erinnern, wie
sehr die Zeit unsre Verhältnisse auf den Kopf gestellt hat. Im Frühjahr 1849
war die gegenwärtige Regierung der entschiedene Gegner der Verbindung mit
Deutschland, im Sylvester 1850 beräth Fürst Schwarzenberg Arm in Arm mit
dem preußischen Minister unsere Stellung innerhalb des einigen, versöhnten Deutsch¬
lands. Vor zwei Jahren drangen die Liberalen Oestreichs auf eine Föderation
mit Deutschland, und jetzt betrachten sie dieselbe mit Sorge und Mißtrauen.

Und doch kann dem liberalen Oestreicher von Urtheil jede politische Ver¬
bindung mit Deutschland, selbst in der Form eines Diplomateubuudes mit Executive
und Gesetzgebung für gewisse allgemeine Interessen, als ein großes Glück erscheinen.
Oestreich verliert nichts dabei, weder an Majestät noch Kraft, es muß aber Vieles
gewinnen. Offenbar ist im Ganzen betrachtet die geistige Bildung Deutschlands
größer, als die des Kaiserstaats, jede politische Verewigung muß auch eine stär¬
kere Einwirkung norddeutscher Bildung und Geisteskraft auf deu Bürger des
Kaiserstaats herbeiführen. Die Philosophie, die Theologie, die historischen Wissen¬
schaften der protestantischen Länder werden trotz aller Negierungsmaßregeln schneller
eindringen und kräftiger wirken, wenn eine gemeinsame Negierung die Auswan-
dernngs- und Aufenthaltsgesetze geordnet hat und dem Handel und geschäftlichen
Verkehr die Straßen ans Deutschland geöffnet siud. Jeder Waarenballen, jeder
Handelsreisende trägt schon jetzt einen kleinen Bruchtheil norddeutscher Ausklärung
nach dem phantastereichen Süden, die Zolleinheit Oestreichs und Deutschlands
wäre eine langsame, aber sichere und unwiderstehliche Umwandlung des Habs-
burgischen Staates in einen deutschen: vollständiger Sieg der deutschen Sprache
in allen Landestheilen, Einführung des Zweifels, der Ketzerei, der freien Forschung,
zuletzt Sieg der protestantischen Selbständigkeit des Individuums über den
katholischen Autoritätenglauben; schnellere Theilung des Grundbesitzes, Aufblühen


heit zeigt. Wir haben eine seltsame Fertigkeit uns sür alles Mögliche zu
enthusiasmiren, und haben ein so inniges Bedürfniß, dies zu thun, daß wir
ziemlich gleichgiltig gegen das Material unseres Enthusiasmus geworden sind.
Im Jahre 18-48 die neuen Uniformen der Legion und Nationalgarten, im Jahre
1850 die neuen Uniformen des kaiserlichen Militärs. Die Begeisterung sür beide
hatte gleich wenig sittlichen Gehalt.

Man macht sich jetzt auch in Deutschland unbeliebt, wenn man an alte Zei¬
ten erinnert, in Wien wird man dadurch verdächtig. Und da es noch unwill¬
kommener ist, über unserer Zukunft zu grübeln, so bleibt dem Einzelnen hier wirk¬
lich wenig Anderes übrig, als das Unvermeidliche über sich ergehen zu lassen und
den Augenblick zu genießen. Die Geigen schreien und die Pauken dröhnen heut
nicht blos für die gemüthlosen Gemüthlichen; auch sür solche, welche ein Mittel
suchen, ihren Kummer da zu vergessen, wo er am lebhaftesten ausbucht, beim
Abschluß eines politischen Lebensjahres.

Und doch muß ich unter Musik und Gläserkliugen heut erinnern, wie
sehr die Zeit unsre Verhältnisse auf den Kopf gestellt hat. Im Frühjahr 1849
war die gegenwärtige Regierung der entschiedene Gegner der Verbindung mit
Deutschland, im Sylvester 1850 beräth Fürst Schwarzenberg Arm in Arm mit
dem preußischen Minister unsere Stellung innerhalb des einigen, versöhnten Deutsch¬
lands. Vor zwei Jahren drangen die Liberalen Oestreichs auf eine Föderation
mit Deutschland, und jetzt betrachten sie dieselbe mit Sorge und Mißtrauen.

Und doch kann dem liberalen Oestreicher von Urtheil jede politische Ver¬
bindung mit Deutschland, selbst in der Form eines Diplomateubuudes mit Executive
und Gesetzgebung für gewisse allgemeine Interessen, als ein großes Glück erscheinen.
Oestreich verliert nichts dabei, weder an Majestät noch Kraft, es muß aber Vieles
gewinnen. Offenbar ist im Ganzen betrachtet die geistige Bildung Deutschlands
größer, als die des Kaiserstaats, jede politische Verewigung muß auch eine stär¬
kere Einwirkung norddeutscher Bildung und Geisteskraft auf deu Bürger des
Kaiserstaats herbeiführen. Die Philosophie, die Theologie, die historischen Wissen¬
schaften der protestantischen Länder werden trotz aller Negierungsmaßregeln schneller
eindringen und kräftiger wirken, wenn eine gemeinsame Negierung die Auswan-
dernngs- und Aufenthaltsgesetze geordnet hat und dem Handel und geschäftlichen
Verkehr die Straßen ans Deutschland geöffnet siud. Jeder Waarenballen, jeder
Handelsreisende trägt schon jetzt einen kleinen Bruchtheil norddeutscher Ausklärung
nach dem phantastereichen Süden, die Zolleinheit Oestreichs und Deutschlands
wäre eine langsame, aber sichere und unwiderstehliche Umwandlung des Habs-
burgischen Staates in einen deutschen: vollständiger Sieg der deutschen Sprache
in allen Landestheilen, Einführung des Zweifels, der Ketzerei, der freien Forschung,
zuletzt Sieg der protestantischen Selbständigkeit des Individuums über den
katholischen Autoritätenglauben; schnellere Theilung des Grundbesitzes, Aufblühen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/16>, abgerufen am 20.06.2024.