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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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Offtciercorps des kaiserlichen Heeres nicht stärker, sondern schwächer aus den
gewaltigen Zuckungen, die der Staat in letzter Zeit bestanden hat, hervor¬
gegangen.




Wochenschau.
Neuigkeiten ans dem Kunstleben Dresdens.

-- Da ich mich in gänzlicher
Unkenntniß der Verhandlungen befinde, durch welche jetzt im Brühlschen Palais dem deut¬
schen Volke seine Freiheit mit verschwenderischer Hand zugemessen wird, so ziehe ich
vor, Ihnen von den Dingen zu sprechen, von denen ich etwas weiß, von den Künsten.

Dresden hatte immer einen leichten Anstrich von Noccoco, und so hatten auch die
Musen bei uns öfters mehr das Aussehen von Tanten, welche zierlich im Polonaisen¬
schritt einher trippeln, als von muthwilligen, liebenswürdigen Nichten angenommen. Jeder
Poet, der sich hierher verirrte, fand bald einen Kreis von alten Jungfern und sentimen¬
talen Weiblein, die ihn so lange mit dem Puder ihrer Verehrung überschütteten, bis die
Perücke fertig war, und wenn die Maler durchaus nicht zahm werden wollten, so machte
man sie zu Professoren an der Akademie, was gemeiniglich dieselben Dienste thut; Schau¬
spieler und Sänger aber, die leichtesten aller Sterblichen, konnte man freilich nur zu
Hofschauspielern.und Kammersängern machen, was nicht immer ausreicht, so daß das
Theater wirklich im Durchschnitt die frischeste aller Kunstanstalten blieb.

Die letzte Zeit, so schonungslos gegen deutsche Perücken, hat uns freilich vielen
Puder ausgeklopft, aber der Zopf ist gestorben, "es lebe der Zopf!" kann man in
Dresden sagen, und so werden auch wohl bei uns immer einige Trümmer überwundener
Standpuncte zu finden sein; begegnen wir doch täglich noch wandelnden Ruinen, die
aus Tiedge's Urania das Recept zur Unsterblichkeit heraufgeschrieben zu haben scheinen,
auch einigen Thränenweiden aus der Houwald-Arthur vom Nordstern'schen Periode stehen
noch an der Weiseritz herum, die ohnehin noch manchen Gcisteskindern des Magisters
Ubique als kastalische Quelle dient. Die vielen Blaustrümpfe, die in Ludwig Tieck
ihren Gott verehrten, haben freilich meist dem emancipirten und durchlöcherten aus der
Hahn'schen Periode Platz gemacht, und auch diese fangen bereits an zu veralten. Nur
das junge Deutschland lebt noch und strebt noch, um zu verhüten, daß man es nicht
etwa sür altes Frankreich halte. Ueber all dieß sind wir raschen Flugs hinweg geflogen,
und haben uns dermalen auf grüner Weide niedergelassen, wo wir als Gänseblümchen
idyllische Dorfgeschichten erleben, in der stillen Hoffnung, daß wir an der Hand des
Vaters derselben vom Land bald wieder in die Stadt an den alten geliebten Theetisch
geführt werden.

Ob dies wirklich Berthold Auerbach's Absicht bei seinem neuesten Werke ist, kann
ich Ihnen nicht verrathen, da er gegen seine Gewohnheit noch nichts über Stoff oder
Form desselben verlauten ließ, außer einer, daß es ein Roman und von ziemlichem Umfang
sei. Hoffentlich nicht so weitläufig, wie das neunbändige Riesenwerk, an dem sich
Gutzkow abringe und dessen Beschaffenheit in Dresden zu dem Bonmot führte, daß er


Offtciercorps des kaiserlichen Heeres nicht stärker, sondern schwächer aus den
gewaltigen Zuckungen, die der Staat in letzter Zeit bestanden hat, hervor¬
gegangen.




Wochenschau.
Neuigkeiten ans dem Kunstleben Dresdens.

— Da ich mich in gänzlicher
Unkenntniß der Verhandlungen befinde, durch welche jetzt im Brühlschen Palais dem deut¬
schen Volke seine Freiheit mit verschwenderischer Hand zugemessen wird, so ziehe ich
vor, Ihnen von den Dingen zu sprechen, von denen ich etwas weiß, von den Künsten.

Dresden hatte immer einen leichten Anstrich von Noccoco, und so hatten auch die
Musen bei uns öfters mehr das Aussehen von Tanten, welche zierlich im Polonaisen¬
schritt einher trippeln, als von muthwilligen, liebenswürdigen Nichten angenommen. Jeder
Poet, der sich hierher verirrte, fand bald einen Kreis von alten Jungfern und sentimen¬
talen Weiblein, die ihn so lange mit dem Puder ihrer Verehrung überschütteten, bis die
Perücke fertig war, und wenn die Maler durchaus nicht zahm werden wollten, so machte
man sie zu Professoren an der Akademie, was gemeiniglich dieselben Dienste thut; Schau¬
spieler und Sänger aber, die leichtesten aller Sterblichen, konnte man freilich nur zu
Hofschauspielern.und Kammersängern machen, was nicht immer ausreicht, so daß das
Theater wirklich im Durchschnitt die frischeste aller Kunstanstalten blieb.

Die letzte Zeit, so schonungslos gegen deutsche Perücken, hat uns freilich vielen
Puder ausgeklopft, aber der Zopf ist gestorben, „es lebe der Zopf!" kann man in
Dresden sagen, und so werden auch wohl bei uns immer einige Trümmer überwundener
Standpuncte zu finden sein; begegnen wir doch täglich noch wandelnden Ruinen, die
aus Tiedge's Urania das Recept zur Unsterblichkeit heraufgeschrieben zu haben scheinen,
auch einigen Thränenweiden aus der Houwald-Arthur vom Nordstern'schen Periode stehen
noch an der Weiseritz herum, die ohnehin noch manchen Gcisteskindern des Magisters
Ubique als kastalische Quelle dient. Die vielen Blaustrümpfe, die in Ludwig Tieck
ihren Gott verehrten, haben freilich meist dem emancipirten und durchlöcherten aus der
Hahn'schen Periode Platz gemacht, und auch diese fangen bereits an zu veralten. Nur
das junge Deutschland lebt noch und strebt noch, um zu verhüten, daß man es nicht
etwa sür altes Frankreich halte. Ueber all dieß sind wir raschen Flugs hinweg geflogen,
und haben uns dermalen auf grüner Weide niedergelassen, wo wir als Gänseblümchen
idyllische Dorfgeschichten erleben, in der stillen Hoffnung, daß wir an der Hand des
Vaters derselben vom Land bald wieder in die Stadt an den alten geliebten Theetisch
geführt werden.

Ob dies wirklich Berthold Auerbach's Absicht bei seinem neuesten Werke ist, kann
ich Ihnen nicht verrathen, da er gegen seine Gewohnheit noch nichts über Stoff oder
Form desselben verlauten ließ, außer einer, daß es ein Roman und von ziemlichem Umfang
sei. Hoffentlich nicht so weitläufig, wie das neunbändige Riesenwerk, an dem sich
Gutzkow abringe und dessen Beschaffenheit in Dresden zu dem Bonmot führte, daß er


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[0161] Offtciercorps des kaiserlichen Heeres nicht stärker, sondern schwächer aus den gewaltigen Zuckungen, die der Staat in letzter Zeit bestanden hat, hervor¬ gegangen. Wochenschau. Neuigkeiten ans dem Kunstleben Dresdens. — Da ich mich in gänzlicher Unkenntniß der Verhandlungen befinde, durch welche jetzt im Brühlschen Palais dem deut¬ schen Volke seine Freiheit mit verschwenderischer Hand zugemessen wird, so ziehe ich vor, Ihnen von den Dingen zu sprechen, von denen ich etwas weiß, von den Künsten. Dresden hatte immer einen leichten Anstrich von Noccoco, und so hatten auch die Musen bei uns öfters mehr das Aussehen von Tanten, welche zierlich im Polonaisen¬ schritt einher trippeln, als von muthwilligen, liebenswürdigen Nichten angenommen. Jeder Poet, der sich hierher verirrte, fand bald einen Kreis von alten Jungfern und sentimen¬ talen Weiblein, die ihn so lange mit dem Puder ihrer Verehrung überschütteten, bis die Perücke fertig war, und wenn die Maler durchaus nicht zahm werden wollten, so machte man sie zu Professoren an der Akademie, was gemeiniglich dieselben Dienste thut; Schau¬ spieler und Sänger aber, die leichtesten aller Sterblichen, konnte man freilich nur zu Hofschauspielern.und Kammersängern machen, was nicht immer ausreicht, so daß das Theater wirklich im Durchschnitt die frischeste aller Kunstanstalten blieb. Die letzte Zeit, so schonungslos gegen deutsche Perücken, hat uns freilich vielen Puder ausgeklopft, aber der Zopf ist gestorben, „es lebe der Zopf!" kann man in Dresden sagen, und so werden auch wohl bei uns immer einige Trümmer überwundener Standpuncte zu finden sein; begegnen wir doch täglich noch wandelnden Ruinen, die aus Tiedge's Urania das Recept zur Unsterblichkeit heraufgeschrieben zu haben scheinen, auch einigen Thränenweiden aus der Houwald-Arthur vom Nordstern'schen Periode stehen noch an der Weiseritz herum, die ohnehin noch manchen Gcisteskindern des Magisters Ubique als kastalische Quelle dient. Die vielen Blaustrümpfe, die in Ludwig Tieck ihren Gott verehrten, haben freilich meist dem emancipirten und durchlöcherten aus der Hahn'schen Periode Platz gemacht, und auch diese fangen bereits an zu veralten. Nur das junge Deutschland lebt noch und strebt noch, um zu verhüten, daß man es nicht etwa sür altes Frankreich halte. Ueber all dieß sind wir raschen Flugs hinweg geflogen, und haben uns dermalen auf grüner Weide niedergelassen, wo wir als Gänseblümchen idyllische Dorfgeschichten erleben, in der stillen Hoffnung, daß wir an der Hand des Vaters derselben vom Land bald wieder in die Stadt an den alten geliebten Theetisch geführt werden. Ob dies wirklich Berthold Auerbach's Absicht bei seinem neuesten Werke ist, kann ich Ihnen nicht verrathen, da er gegen seine Gewohnheit noch nichts über Stoff oder Form desselben verlauten ließ, außer einer, daß es ein Roman und von ziemlichem Umfang sei. Hoffentlich nicht so weitläufig, wie das neunbändige Riesenwerk, an dem sich Gutzkow abringe und dessen Beschaffenheit in Dresden zu dem Bonmot führte, daß er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/161>, abgerufen am 27.06.2024.