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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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deshalb findet man neben den Söhnen der aristokratischen Familien von ganz
Europa auch Officiere, die in ihrer Jngend ein Handwerk getrieben oder einst als
Soldaten wegen Desertion oder Snbordinationsvergehen mit so und so viel
hundert Stockschlägen oder Spießruthen bestraft sind.

Auch unter den Cadetten der Regimenter sind die Strafen noch sehr roh,
und der Cadet, der morgen vielleicht Officier werden soll, muß heute uoch wegen
eines geringfügigen Dienstvergehens oder einer Laune des Hauptmanns 12 -- 16
Stunden mit Ketten wie ein gemeiner Verbrecher kurzgeschlossen in der Wachstube
der Leute sitzen. Die Officiere selbst erhalten Arrest beim Profoßen des Regi¬
ments; eine schimpfliche Strafe, die in Preußen nicht mehr vorkommen dürfte.

Trotz dieser großen Ungleichheit in Abstammung, Bildung, Geburt oder
Vermögen herrscht im Officiercorps wenigstens äußerlich ein Geist der Kamerad¬
schaftlichkeit, wie man ihn nirgends anders mehr findet. Alle Officiere der
gleichen Grade in der ganzen Armee nennen sich "Du" und "Bruder", gleichviel
ob sie einander sonst persönlich kennen. Der Sohn des serbischen Schweinehirten,
der Officier geworden ist, steht dem Prinzen, der mit ihm den gleichen Grad
bekleidet, kameradschaftlich gleich und begrüßt ihn mit dem traulichen Du. --
Bei deu elenden Garnisonen in abgelegenen polnischen, böhmischen oder ungari¬
schen Dörfern, in denen ein großer Theil des östreichischen Heeres liegt, bei
dem steten Wechsel der Aufenthaltsorte und der feindseligen Haltung mancher Volks¬
stämme, ist der Officier auch fast allein auf den Umgang mit seinen Kameraden
angewiesen. In Italien wird selten ein anständiger Mann mehr, als das Noth¬
wendigste, mit einem Officier reden, wenige der italienischen Damen werden dem¬
selben Salon und Boudoir öffnen. Nicht besser ist es bei einem großen Theile
des ungarischen und polnischen Adels. Was bleibt den Officieren übrig, als
möglichst enge Kameradschaft uuter einander zu halten, und ihre überflüssige Zeit
dadurch zu tödten, daß sie mit einander trinken, spielen und rauchen?

Uebrigens hat dieser kameradschaftliche Geist durch die letzten Jahre einen
gewaltigen Stoß bekommen, obgleich das alte Du uoch gleichsam gewohnheits¬
mäßig fortbesteht. Langjährige Kameraden und Freunde wurden erbitterte
Feinde, das ^Officiercorps sämmtlicher ungarischer lind italienischer Regimenter
war fast vollständig aufgelöst. Das läßt sich nicht so leicht vergessen. Ein Geist
des Mißtrauens, der gegenseitigen Überwachung herrscht trotz des Brudernamens
jetzt in vielen Corps, wie man ihn früher nicht kannte. Auch sind mit den
Ungarn und Polen, welche anötra'en, viele ritterliche, chevalereske Gestalten, dnrch
den Abgang der Italiener aber viele gebildete Männer aus dem Officiercorps
entfernt, welche durch die früheren böhmischen Corporale und die jungen Schüler,
die vielfach an ihre Stelle treten mußten, durchaus nicht ersetzt worden sind.
Und trotz allem Prunk, Patriotismus und glänzendem Schein ist anch das


deshalb findet man neben den Söhnen der aristokratischen Familien von ganz
Europa auch Officiere, die in ihrer Jngend ein Handwerk getrieben oder einst als
Soldaten wegen Desertion oder Snbordinationsvergehen mit so und so viel
hundert Stockschlägen oder Spießruthen bestraft sind.

Auch unter den Cadetten der Regimenter sind die Strafen noch sehr roh,
und der Cadet, der morgen vielleicht Officier werden soll, muß heute uoch wegen
eines geringfügigen Dienstvergehens oder einer Laune des Hauptmanns 12 — 16
Stunden mit Ketten wie ein gemeiner Verbrecher kurzgeschlossen in der Wachstube
der Leute sitzen. Die Officiere selbst erhalten Arrest beim Profoßen des Regi¬
ments; eine schimpfliche Strafe, die in Preußen nicht mehr vorkommen dürfte.

Trotz dieser großen Ungleichheit in Abstammung, Bildung, Geburt oder
Vermögen herrscht im Officiercorps wenigstens äußerlich ein Geist der Kamerad¬
schaftlichkeit, wie man ihn nirgends anders mehr findet. Alle Officiere der
gleichen Grade in der ganzen Armee nennen sich „Du" und „Bruder", gleichviel
ob sie einander sonst persönlich kennen. Der Sohn des serbischen Schweinehirten,
der Officier geworden ist, steht dem Prinzen, der mit ihm den gleichen Grad
bekleidet, kameradschaftlich gleich und begrüßt ihn mit dem traulichen Du. —
Bei deu elenden Garnisonen in abgelegenen polnischen, böhmischen oder ungari¬
schen Dörfern, in denen ein großer Theil des östreichischen Heeres liegt, bei
dem steten Wechsel der Aufenthaltsorte und der feindseligen Haltung mancher Volks¬
stämme, ist der Officier auch fast allein auf den Umgang mit seinen Kameraden
angewiesen. In Italien wird selten ein anständiger Mann mehr, als das Noth¬
wendigste, mit einem Officier reden, wenige der italienischen Damen werden dem¬
selben Salon und Boudoir öffnen. Nicht besser ist es bei einem großen Theile
des ungarischen und polnischen Adels. Was bleibt den Officieren übrig, als
möglichst enge Kameradschaft uuter einander zu halten, und ihre überflüssige Zeit
dadurch zu tödten, daß sie mit einander trinken, spielen und rauchen?

Uebrigens hat dieser kameradschaftliche Geist durch die letzten Jahre einen
gewaltigen Stoß bekommen, obgleich das alte Du uoch gleichsam gewohnheits¬
mäßig fortbesteht. Langjährige Kameraden und Freunde wurden erbitterte
Feinde, das ^Officiercorps sämmtlicher ungarischer lind italienischer Regimenter
war fast vollständig aufgelöst. Das läßt sich nicht so leicht vergessen. Ein Geist
des Mißtrauens, der gegenseitigen Überwachung herrscht trotz des Brudernamens
jetzt in vielen Corps, wie man ihn früher nicht kannte. Auch sind mit den
Ungarn und Polen, welche anötra'en, viele ritterliche, chevalereske Gestalten, dnrch
den Abgang der Italiener aber viele gebildete Männer aus dem Officiercorps
entfernt, welche durch die früheren böhmischen Corporale und die jungen Schüler,
die vielfach an ihre Stelle treten mußten, durchaus nicht ersetzt worden sind.
Und trotz allem Prunk, Patriotismus und glänzendem Schein ist anch das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/160>, abgerufen am 04.07.2024.