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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band.

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wiederholt durchgefallen ist, hat die Aussicht, durch Verwandte und Fürsprecher
in Oestreich ein Patent zu gewinnen. Von Protectionen häugt Alles ab; zwar
gehört den 6 Kaisercadetteu, die bei jedem Infanterieregiment sich befinden, stets
die vierte offene Ofsiciersstelle, aber davon abgesehen, kann der Juhaber des Re¬
giments willkürlich jeden Cadetteu zum Officier ernennen. So siud Söhne vor¬
nehmer Familien oft nur wenige Wochen Cadetteu, so daß sie uur nothdürftig die
ersten Anfangsgründe des praktische:! Dienstes erlernen, und werdeu im Alter von
57--58 Jahren Officiere, während vor 1848 viele tüchtige, kenntnißreiche, durch
und durch brave Burschen 10 -- 15 Jahre in der uicht übermäßig behaglichen
Stellung von Cadetten bleiben mußten, bis mau ihnen vielleicht im Alter vou
35 Jahren, gleichsam als Gnade, eine Lientenautsstelle gab. Auch im ferneren
Avancement der Officiere herrscht in Oestreich Willkür und Protection. Im Re¬
giment selbst darf zwar kein Officier dem andern vorgezogen werdeu, jeder Ju¬
haber hat aber das Recht, dem uoch so jungen Unterlieutenant eines andern
Regiments die offene Oberlieutenautsstelle, dem fremden Oberlieutenant eine
Hauptluauusstelle in seinem Neginlente zu geben. Deshalb findet in deu meisten
Regimentern beständiger Einschnb statt, und junge Leute vornehmer oder reicher
Familien werden oft in einen: Jahr zu 2--3 Regimentern verseht, jedesmal eine
Stufe höher steigend. Daß ein so Begünstigter in 2--3 Jahren vom Cadett
zur Hauptmann, ja selbst zum Stabsofficier vorrückt, gehört nicht zu den großen
Seltenheiten. Man findet daher so auffallend viele junge Leute, deuen kaum der
erste Flaum sproßt, als Rittmeister, Hauptleute, ja selbst als Stabsofficiere,
während auf der andern Seite alte, fast ergraute Männer noch Uuterlicutenants
sind. Die sehr vielen gänzlich unbrauchbaren Officiere bis zum Geueral hinauf,
die das östreichische Heer von den ältesten bis zu den neuesten Zeiten zu besehen
das Unglück hatte, und die so oft dnrch ihre Fehler wieder verdarben, was brave
Soldaten theuer genug mit ihrem Blute erkauft hatten, siud eine Folge dieses Systems.
Einige ungarische Husareuregimenter duldeten übrigens früher keinen Einschnb,
und alle übergangenen Officiere derselben duellirten sich mit dem ihnen vorgezoge¬
nen fremden Eindringling.

In neuster Zeit, wo der Maugel an Officieren durch dieMrluste in Italien
und Ungarn sehr groß war, hat man alle nur einigermaßen brauchbaren Cadetten,
ja selbst viele andere Unterofficiere der Reiterei und des Fußvolkes zu Officieren
befördert. Auch früher geschah das Letztere zuweilen und man suchte bei jedem
Regimente sich einige Officiere zu erhalten, die, wie man zu sagen pflegt, von
der Pike auf gedient haben; diese verrichteten dann vielfach den lästigen kleinen
Dienst der Garnison und des Exercierplatzes für ihre reicheren und vornehmeren
Kameraden, die ihren Vergnügungen nachgingen; solche Officiere bedeckten durch ihre
langjährige praktische Dienstkenntniß die Blößen, die sonst nothwendig wegen
der großen Anzahl von unerfahrenen Officieren sichtbar geworden wären. Und


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wiederholt durchgefallen ist, hat die Aussicht, durch Verwandte und Fürsprecher
in Oestreich ein Patent zu gewinnen. Von Protectionen häugt Alles ab; zwar
gehört den 6 Kaisercadetteu, die bei jedem Infanterieregiment sich befinden, stets
die vierte offene Ofsiciersstelle, aber davon abgesehen, kann der Juhaber des Re¬
giments willkürlich jeden Cadetteu zum Officier ernennen. So siud Söhne vor¬
nehmer Familien oft nur wenige Wochen Cadetteu, so daß sie uur nothdürftig die
ersten Anfangsgründe des praktische:! Dienstes erlernen, und werdeu im Alter von
57—58 Jahren Officiere, während vor 1848 viele tüchtige, kenntnißreiche, durch
und durch brave Burschen 10 — 15 Jahre in der uicht übermäßig behaglichen
Stellung von Cadetten bleiben mußten, bis mau ihnen vielleicht im Alter vou
35 Jahren, gleichsam als Gnade, eine Lientenautsstelle gab. Auch im ferneren
Avancement der Officiere herrscht in Oestreich Willkür und Protection. Im Re¬
giment selbst darf zwar kein Officier dem andern vorgezogen werdeu, jeder Ju¬
haber hat aber das Recht, dem uoch so jungen Unterlieutenant eines andern
Regiments die offene Oberlieutenautsstelle, dem fremden Oberlieutenant eine
Hauptluauusstelle in seinem Neginlente zu geben. Deshalb findet in deu meisten
Regimentern beständiger Einschnb statt, und junge Leute vornehmer oder reicher
Familien werden oft in einen: Jahr zu 2—3 Regimentern verseht, jedesmal eine
Stufe höher steigend. Daß ein so Begünstigter in 2—3 Jahren vom Cadett
zur Hauptmann, ja selbst zum Stabsofficier vorrückt, gehört nicht zu den großen
Seltenheiten. Man findet daher so auffallend viele junge Leute, deuen kaum der
erste Flaum sproßt, als Rittmeister, Hauptleute, ja selbst als Stabsofficiere,
während auf der andern Seite alte, fast ergraute Männer noch Uuterlicutenants
sind. Die sehr vielen gänzlich unbrauchbaren Officiere bis zum Geueral hinauf,
die das östreichische Heer von den ältesten bis zu den neuesten Zeiten zu besehen
das Unglück hatte, und die so oft dnrch ihre Fehler wieder verdarben, was brave
Soldaten theuer genug mit ihrem Blute erkauft hatten, siud eine Folge dieses Systems.
Einige ungarische Husareuregimenter duldeten übrigens früher keinen Einschnb,
und alle übergangenen Officiere derselben duellirten sich mit dem ihnen vorgezoge¬
nen fremden Eindringling.

In neuster Zeit, wo der Maugel an Officieren durch dieMrluste in Italien
und Ungarn sehr groß war, hat man alle nur einigermaßen brauchbaren Cadetten,
ja selbst viele andere Unterofficiere der Reiterei und des Fußvolkes zu Officieren
befördert. Auch früher geschah das Letztere zuweilen und man suchte bei jedem
Regimente sich einige Officiere zu erhalten, die, wie man zu sagen pflegt, von
der Pike auf gedient haben; diese verrichteten dann vielfach den lästigen kleinen
Dienst der Garnison und des Exercierplatzes für ihre reicheren und vornehmeren
Kameraden, die ihren Vergnügungen nachgingen; solche Officiere bedeckten durch ihre
langjährige praktische Dienstkenntniß die Blößen, die sonst nothwendig wegen
der großen Anzahl von unerfahrenen Officieren sichtbar geworden wären. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345606/159>, abgerufen am 04.07.2024.