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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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hat er den idyllischen Namen des "Thals" beigelegt, ob aus irgend einer Re¬
miniscenz an maurerische Symbole, weiß ich nicht, obgleich es sich vermuthen
läßt, da er seinem Verleger gegenüber auf die Namen ein gewisses Gewicht legt,
und sich ans sein Wissen beruft. -- Im ersten Theil, der im Ganzen noch reali¬
stisch gehalten ist, erscheint das Thal nur in der Gestalt einer Opernfigur, die
halb Geist, halb Ritter, halb Harfenspieler ist und eigentlich zu Nichts weiter dient,
als anzudeuten, daß hinter der Scene etwas sehr Bedeutendes vorgehe. Zwar
sind die mystischen Gebräuche des Templerordens, die uns in ausführlichster Breite
vorgeführt werden, sehr abgeschmackt, aber die hervortretenden Personen des Stücks
haben ein Bewußtsein über diese Abgeschmacktheit, obgleich sie dieselbe dnrch poli¬
tisch-historische Gründe motiviren. Der Fehler dieses Theils liegt vorzugsweise
darin, daß er eigentlich keine dramatische Handlung enthält. Robert Heredvn,
der Held des Stücks, der eine durchaus realistische, naturkräftige Erscheinung ist,
vergeht sich gegen die Disciplin und wird deswegen aus dem Orden gestoßen,
während dieser gerade im Begriff ist, ans den Befehl des Papstes nach Frankreich
zur Untersuchung abzugehen. Das Gesetz siegt über das natürliche Gefühl, welches
die Nothwendigkeit der Beschränkung einsehen muß. Die übrigen Episoden tragen
nicht wesentlich zu der Haupthandlung bei. Ich bemerke nur noch, daß unter
den Mysterien des Ordens auf eines ein großes Gewicht gelegt wird, auf die
Verachtung des christlichen Kreuzes. Es hängt das mit jener allgemeinen Richtung
des Kosmopolitismus zusammen, daß jede Erscheinung, die mit dem Makel der End¬
lichkeit behaftet ist, dem allgemeinem Ausdruck der Idee geopfert werden muß, wobei
die eigenthümliche Ironie eintritt, daß dieser allgemeinere Ausdruck sich in seiner
Erscheinung immer mehr ins Enge zusammenzieht. Das Christenthum wird dem
Templerorden geopfert, der Orden dem "Thal". Das Eine ist immer exclusiver
als das Andere. -- Im zweiten Theil, der den Proceß des Ordens enthält,
sollte man einen noch größern Realismus erwarten. Wir befinden uns am Hos
Philipp des Schönen, der eben so wie sein Kanzler Nogaret sehr endliche und
sehr praktische Interessen an der Aufhebung des Ordens hat; aber es tritt uns
sogleich eine mystische Person entgegen, der Vorsitzende der Inquisition, Erz¬
bisch of, Wilhelm, der in der Verfolgung des Ordens mit den Feinden desselben
Hand in Hand geht, aber eigentlich nur, um ihn zu läutern und zu verklären.
Er ist ein Sohn des Thals und hat den Austrag, den Orden von dem Makel
der Endlichkeit zu befreien, d. h. seine Mitglieder -verbrennen zu lassen und sie
dadurch zu Märtyrern zu machen, nachdem sie vorher ihre Prüfung bestanden haben.
Diese Prüfung liegt darin, daß sie alle menschlichen Gefühle dem idealen Zweck
zum Opfer bringen müssen. Es ist also eigentlich eine Verherrlichung des Jesuitismus,
der Triumph eiuer Abstraction über das concrete Leben, jene eigenmächtige Selbst¬
gerechtigkeit, die mit den Seelen der Menschen Experimente anstellt und unter
dem Vorwand, einem höhern Wesen zu dienen, dem eignen Hochmuth Weihrauch


hat er den idyllischen Namen des „Thals" beigelegt, ob aus irgend einer Re¬
miniscenz an maurerische Symbole, weiß ich nicht, obgleich es sich vermuthen
läßt, da er seinem Verleger gegenüber auf die Namen ein gewisses Gewicht legt,
und sich ans sein Wissen beruft. — Im ersten Theil, der im Ganzen noch reali¬
stisch gehalten ist, erscheint das Thal nur in der Gestalt einer Opernfigur, die
halb Geist, halb Ritter, halb Harfenspieler ist und eigentlich zu Nichts weiter dient,
als anzudeuten, daß hinter der Scene etwas sehr Bedeutendes vorgehe. Zwar
sind die mystischen Gebräuche des Templerordens, die uns in ausführlichster Breite
vorgeführt werden, sehr abgeschmackt, aber die hervortretenden Personen des Stücks
haben ein Bewußtsein über diese Abgeschmacktheit, obgleich sie dieselbe dnrch poli¬
tisch-historische Gründe motiviren. Der Fehler dieses Theils liegt vorzugsweise
darin, daß er eigentlich keine dramatische Handlung enthält. Robert Heredvn,
der Held des Stücks, der eine durchaus realistische, naturkräftige Erscheinung ist,
vergeht sich gegen die Disciplin und wird deswegen aus dem Orden gestoßen,
während dieser gerade im Begriff ist, ans den Befehl des Papstes nach Frankreich
zur Untersuchung abzugehen. Das Gesetz siegt über das natürliche Gefühl, welches
die Nothwendigkeit der Beschränkung einsehen muß. Die übrigen Episoden tragen
nicht wesentlich zu der Haupthandlung bei. Ich bemerke nur noch, daß unter
den Mysterien des Ordens auf eines ein großes Gewicht gelegt wird, auf die
Verachtung des christlichen Kreuzes. Es hängt das mit jener allgemeinen Richtung
des Kosmopolitismus zusammen, daß jede Erscheinung, die mit dem Makel der End¬
lichkeit behaftet ist, dem allgemeinem Ausdruck der Idee geopfert werden muß, wobei
die eigenthümliche Ironie eintritt, daß dieser allgemeinere Ausdruck sich in seiner
Erscheinung immer mehr ins Enge zusammenzieht. Das Christenthum wird dem
Templerorden geopfert, der Orden dem „Thal". Das Eine ist immer exclusiver
als das Andere. — Im zweiten Theil, der den Proceß des Ordens enthält,
sollte man einen noch größern Realismus erwarten. Wir befinden uns am Hos
Philipp des Schönen, der eben so wie sein Kanzler Nogaret sehr endliche und
sehr praktische Interessen an der Aufhebung des Ordens hat; aber es tritt uns
sogleich eine mystische Person entgegen, der Vorsitzende der Inquisition, Erz¬
bisch of, Wilhelm, der in der Verfolgung des Ordens mit den Feinden desselben
Hand in Hand geht, aber eigentlich nur, um ihn zu läutern und zu verklären.
Er ist ein Sohn des Thals und hat den Austrag, den Orden von dem Makel
der Endlichkeit zu befreien, d. h. seine Mitglieder -verbrennen zu lassen und sie
dadurch zu Märtyrern zu machen, nachdem sie vorher ihre Prüfung bestanden haben.
Diese Prüfung liegt darin, daß sie alle menschlichen Gefühle dem idealen Zweck
zum Opfer bringen müssen. Es ist also eigentlich eine Verherrlichung des Jesuitismus,
der Triumph eiuer Abstraction über das concrete Leben, jene eigenmächtige Selbst¬
gerechtigkeit, die mit den Seelen der Menschen Experimente anstellt und unter
dem Vorwand, einem höhern Wesen zu dienen, dem eignen Hochmuth Weihrauch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/458>, abgerufen am 27.07.2024.