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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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streut. Wilhelm ist ein ins Mystische gezogener Marquis Posa, der sich über die
Religion und Natur erhebt, aber ohne wie dieser, die Entschuldigung eines deut¬
lich ausgemalten und verständlichen Zwecks zu haben. Natürlich bringt es der
Mechanismus dieser Tendenz nur zu einer Reihe von Wiederholungen, und es wird
zuletzt gleichgiltig, ob Einer die Prüfung besteht oder nicht. Die angeborne
Gutmüthigkeit siegt über die Amtsmiene der Abstraction. Zum Schluß werden
wir in die Mysterien des Thals eingeweiht, die sich nicht weiter fühlen und be¬
greisen lassen. Eine allgemeine Bengalische Flamme, liebevolle Geister und zwei¬
hundertjährige Engel, redende Sphinxe und musicirende Memnonssäulen, kurz,
die vollständige Zauberflöte, wie sie im Buche steht, in einer überschwenglichern
und schwülstigern Sprache, als diese mystische Posse Schikaneder's, aber auch nicht
mit einem Gran mehr Verstand. -- Zum Führer der neuen Kreuzesbrüder wird
übrigens jener Robert Heredon gewählt, und so der höchste Spiritualismus auf
den ausgesprochensten Realismus gepfropft.

Werner hat selbst ganz gut eingesehen, daß die Tendenz seines Stückes zu
didaktisch ist, als daß man es als ein Werk der reinen Poesie betrachten könnte;
dagegen findet er von einer Stelle, wo ein Vater seinen Sohn wiederfindet, und
dazu ein Troubadour im Hintergründe ein beliebiges Lied spielt, daß sie einen
ihm selbst uuerklärbarcu Nachklang der göttlichen Stimme von sich giebt. ,,Wie
ich zu der Stelle gekommen bin, weiß ich nicht; uur das weiß ich, daß, so oft
ich sie ansehe, mich ein nnerklärbares Grauen vor meinem Innern überfällt. Es
ist möglich, daß ich dieser Stelle wegen geboren bin." -- Und diese Stelle ent¬
hält doch Nichts, als den rohen Operneffect; so verwirrt waren damals durch eine
falsche Theorie alle Begriffe über poetischen Gehalt.

Nach dem Tode seiner Mutter kehrte Werner nach Warschau zurück, wo er
sich an seinen Landsmann T. A. Hoffmann anschloß. Dort dichtete er den ersten
Theil seines "Kreuzes an der Ostsee", "Die Brautnacht", welcher 1806 im Druck
erschien. Das Stück schildert die Ankunft der ersten Deutschen Ritter in Preußen
und den Ueberfall des Polnischen Schlosses Plock durch die heidnischen Preußen,
wobei die ersten Ankömmlinge des Ordens sich am Kampfe gegen die Ungläubi¬
gen betheiligen. Also eigentlich ein epischer Stoff, was noch dadurch schärfer
hervortritt, daß sowol die Sitte" der heidnischen Preußen, wie die der liederli¬
chen und treulosen Polen sehr breit und ausführlich geschildert werdeu, ohne daß
diese Schilderung zu dem Wesen der Handlung Etwas beitrüge. Der novellisti¬
sche Inhalt tritt dagegen zurück. Es ist folgender. Warmio, der Sohn des alten
Waidewuth, welcher deu Preußen, um sie zu knechten, eine Art Nüturreligion ge¬
geben, wird von. den Polen gefangen und durch die Liebe zu einer Polnischen
Prinzessin zum Christenthum bekehrt. Sein Bruder sano sucht ihn mit seinem
heidnischen Haufen aus, wird vor Plock zurückgeschlagen, trifft ihn aber mit seiner
Braut auf einer Insel in der Weichsel, tritt eine Hostie mit Fußen, mit welcher


streut. Wilhelm ist ein ins Mystische gezogener Marquis Posa, der sich über die
Religion und Natur erhebt, aber ohne wie dieser, die Entschuldigung eines deut¬
lich ausgemalten und verständlichen Zwecks zu haben. Natürlich bringt es der
Mechanismus dieser Tendenz nur zu einer Reihe von Wiederholungen, und es wird
zuletzt gleichgiltig, ob Einer die Prüfung besteht oder nicht. Die angeborne
Gutmüthigkeit siegt über die Amtsmiene der Abstraction. Zum Schluß werden
wir in die Mysterien des Thals eingeweiht, die sich nicht weiter fühlen und be¬
greisen lassen. Eine allgemeine Bengalische Flamme, liebevolle Geister und zwei¬
hundertjährige Engel, redende Sphinxe und musicirende Memnonssäulen, kurz,
die vollständige Zauberflöte, wie sie im Buche steht, in einer überschwenglichern
und schwülstigern Sprache, als diese mystische Posse Schikaneder's, aber auch nicht
mit einem Gran mehr Verstand. — Zum Führer der neuen Kreuzesbrüder wird
übrigens jener Robert Heredon gewählt, und so der höchste Spiritualismus auf
den ausgesprochensten Realismus gepfropft.

Werner hat selbst ganz gut eingesehen, daß die Tendenz seines Stückes zu
didaktisch ist, als daß man es als ein Werk der reinen Poesie betrachten könnte;
dagegen findet er von einer Stelle, wo ein Vater seinen Sohn wiederfindet, und
dazu ein Troubadour im Hintergründe ein beliebiges Lied spielt, daß sie einen
ihm selbst uuerklärbarcu Nachklang der göttlichen Stimme von sich giebt. ,,Wie
ich zu der Stelle gekommen bin, weiß ich nicht; uur das weiß ich, daß, so oft
ich sie ansehe, mich ein nnerklärbares Grauen vor meinem Innern überfällt. Es
ist möglich, daß ich dieser Stelle wegen geboren bin." — Und diese Stelle ent¬
hält doch Nichts, als den rohen Operneffect; so verwirrt waren damals durch eine
falsche Theorie alle Begriffe über poetischen Gehalt.

Nach dem Tode seiner Mutter kehrte Werner nach Warschau zurück, wo er
sich an seinen Landsmann T. A. Hoffmann anschloß. Dort dichtete er den ersten
Theil seines „Kreuzes an der Ostsee", „Die Brautnacht", welcher 1806 im Druck
erschien. Das Stück schildert die Ankunft der ersten Deutschen Ritter in Preußen
und den Ueberfall des Polnischen Schlosses Plock durch die heidnischen Preußen,
wobei die ersten Ankömmlinge des Ordens sich am Kampfe gegen die Ungläubi¬
gen betheiligen. Also eigentlich ein epischer Stoff, was noch dadurch schärfer
hervortritt, daß sowol die Sitte» der heidnischen Preußen, wie die der liederli¬
chen und treulosen Polen sehr breit und ausführlich geschildert werdeu, ohne daß
diese Schilderung zu dem Wesen der Handlung Etwas beitrüge. Der novellisti¬
sche Inhalt tritt dagegen zurück. Es ist folgender. Warmio, der Sohn des alten
Waidewuth, welcher deu Preußen, um sie zu knechten, eine Art Nüturreligion ge¬
geben, wird von. den Polen gefangen und durch die Liebe zu einer Polnischen
Prinzessin zum Christenthum bekehrt. Sein Bruder sano sucht ihn mit seinem
heidnischen Haufen aus, wird vor Plock zurückgeschlagen, trifft ihn aber mit seiner
Braut auf einer Insel in der Weichsel, tritt eine Hostie mit Fußen, mit welcher


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/459>, abgerufen am 27.07.2024.