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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band.

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A --Z" satyrisch dargestellt hatte, wird in Jean Paul's "unsichtbarer Loge",
wie in dem letzten Theil der "Lehrjahre Wilhelm Meisters", mit aller Romantik
eines zwar aufgeklärten, aber doch sehr intensiven Glaubens wieder aufgenommen.
Die bedeutendsten Dichter der Zeit gehörte" dem Orden an und waren zum Theil
sehr eifrige Mitglieder desselben. Es war überhaupt der Grundirrthum des da¬
maligen Humanismus, daß man die echte Menschlichkeit außerhalb des geschäftigen
Kreises der menschlichen Interessen, daß man die ideale Welt außerhalb der realen
suchte. In Romanen übt die unsichtbare Kirche einer geheimen Gesellschaft, die
von Zeit zu Zeit mit geheimnißvollem Wirken in den Lauf der Begebenheiten
eingreift, und deren Tendenzen man dunkel ahnt, ohne sie je vollständig zu über¬
sehen, so lange einen gewissen Reiz aus, als das Centrum des Ordens hinter
den Coulissen bleibt; sobald er aber an's Licht des Tages tritt, zeigt sich die
Poesie unfähig, das Überschwengliche darzustellen; sie sieht sich genöthigt, zu
Symbolen und Allegorien ihre Zuflucht zu nehmen, die nur Denjenigen befriedigen,
der keinen Sinn für lebendige Realität hat. Es ist wie mit einem gelösten Räthsel,
oder mit einem analystrten Zauberstück. So ist es Goethe am Schluß seiner
"Lehrjahre", noch mehr am Schluß der "Wanderjahre" gegangen, wo die tiefen
Ideen der geheimen Erziehnngsgesellschaft sich in leere, für das Gedächtniß ein¬
gerichtete Formeln verlieren; so geht es ihm im zweiten Theil des Faust, als er
den Himmel darzustellen unternimmt.

Die Neigung zu geheimen Gesellschaften wurde in jener Zeit noch bestärkt
durch die wiederausgewachte Sehnsucht nach einer Religion, die über die Nüchtern¬
heit sowol der Aufklärung und der aus ihr hervorgegangenen Theophilanthro¬
pie, wie über die Dürre des eigentlich theologischen Wesens das strebsame Gemüth
gleichmäßig erheben sollte. Ich habe diese Richtung, die sich in Deutschland und
Frankreich gleichzeitig aussprach, an einem andern Orte bereits ausführlich geschildert.
In Frankreich wandten sich die Chateaubriand, die De Maistre und Andere einfach
zum Katholicismus zurück; in Deutschland strebte man nach einer Universalkirche,
welche durch die Benutzung der Mythen und Mysterien aller Zeiten und aller Na¬
tionen, so wie durch die Symbolistrung der Naturphilosophie sich zu einem
Kunstwerk im höchsten Styl gestalten sollte. Geistreiche Männer, wie Schleier¬
macher (in seinen "Reden über die Religion", 1799), Novalis und Schelling
gaben die leitenden Ideen an; die Herolde der Partei, die Schlegel, Görres,
Adam Müller u. s. w., stießen in die Posaune und verkündeten in ihren Zeit¬
schriften Athenäum, Europa u. s. w. mehr durch Ausrufungen, als durch Auseinander¬
setzungen das neue Evangelium, welches die Kunst, die Religion, die Philosophie
und das Leben mit einander versöhnen sollte, der erstaunten Welt. Auch suchte
man bereits durch poetische Werke, wie Tieck's Genoveva, das Licht der neuen
Zeit vorzubereiten.

Werner wurde durch alle diese Versuche im höchsten Grade angezogen, aber


A —Z" satyrisch dargestellt hatte, wird in Jean Paul's „unsichtbarer Loge",
wie in dem letzten Theil der „Lehrjahre Wilhelm Meisters", mit aller Romantik
eines zwar aufgeklärten, aber doch sehr intensiven Glaubens wieder aufgenommen.
Die bedeutendsten Dichter der Zeit gehörte» dem Orden an und waren zum Theil
sehr eifrige Mitglieder desselben. Es war überhaupt der Grundirrthum des da¬
maligen Humanismus, daß man die echte Menschlichkeit außerhalb des geschäftigen
Kreises der menschlichen Interessen, daß man die ideale Welt außerhalb der realen
suchte. In Romanen übt die unsichtbare Kirche einer geheimen Gesellschaft, die
von Zeit zu Zeit mit geheimnißvollem Wirken in den Lauf der Begebenheiten
eingreift, und deren Tendenzen man dunkel ahnt, ohne sie je vollständig zu über¬
sehen, so lange einen gewissen Reiz aus, als das Centrum des Ordens hinter
den Coulissen bleibt; sobald er aber an's Licht des Tages tritt, zeigt sich die
Poesie unfähig, das Überschwengliche darzustellen; sie sieht sich genöthigt, zu
Symbolen und Allegorien ihre Zuflucht zu nehmen, die nur Denjenigen befriedigen,
der keinen Sinn für lebendige Realität hat. Es ist wie mit einem gelösten Räthsel,
oder mit einem analystrten Zauberstück. So ist es Goethe am Schluß seiner
„Lehrjahre", noch mehr am Schluß der „Wanderjahre" gegangen, wo die tiefen
Ideen der geheimen Erziehnngsgesellschaft sich in leere, für das Gedächtniß ein¬
gerichtete Formeln verlieren; so geht es ihm im zweiten Theil des Faust, als er
den Himmel darzustellen unternimmt.

Die Neigung zu geheimen Gesellschaften wurde in jener Zeit noch bestärkt
durch die wiederausgewachte Sehnsucht nach einer Religion, die über die Nüchtern¬
heit sowol der Aufklärung und der aus ihr hervorgegangenen Theophilanthro¬
pie, wie über die Dürre des eigentlich theologischen Wesens das strebsame Gemüth
gleichmäßig erheben sollte. Ich habe diese Richtung, die sich in Deutschland und
Frankreich gleichzeitig aussprach, an einem andern Orte bereits ausführlich geschildert.
In Frankreich wandten sich die Chateaubriand, die De Maistre und Andere einfach
zum Katholicismus zurück; in Deutschland strebte man nach einer Universalkirche,
welche durch die Benutzung der Mythen und Mysterien aller Zeiten und aller Na¬
tionen, so wie durch die Symbolistrung der Naturphilosophie sich zu einem
Kunstwerk im höchsten Styl gestalten sollte. Geistreiche Männer, wie Schleier¬
macher (in seinen „Reden über die Religion", 1799), Novalis und Schelling
gaben die leitenden Ideen an; die Herolde der Partei, die Schlegel, Görres,
Adam Müller u. s. w., stießen in die Posaune und verkündeten in ihren Zeit¬
schriften Athenäum, Europa u. s. w. mehr durch Ausrufungen, als durch Auseinander¬
setzungen das neue Evangelium, welches die Kunst, die Religion, die Philosophie
und das Leben mit einander versöhnen sollte, der erstaunten Welt. Auch suchte
man bereits durch poetische Werke, wie Tieck's Genoveva, das Licht der neuen
Zeit vorzubereiten.

Werner wurde durch alle diese Versuche im höchsten Grade angezogen, aber


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[0456] A —Z" satyrisch dargestellt hatte, wird in Jean Paul's „unsichtbarer Loge", wie in dem letzten Theil der „Lehrjahre Wilhelm Meisters", mit aller Romantik eines zwar aufgeklärten, aber doch sehr intensiven Glaubens wieder aufgenommen. Die bedeutendsten Dichter der Zeit gehörte» dem Orden an und waren zum Theil sehr eifrige Mitglieder desselben. Es war überhaupt der Grundirrthum des da¬ maligen Humanismus, daß man die echte Menschlichkeit außerhalb des geschäftigen Kreises der menschlichen Interessen, daß man die ideale Welt außerhalb der realen suchte. In Romanen übt die unsichtbare Kirche einer geheimen Gesellschaft, die von Zeit zu Zeit mit geheimnißvollem Wirken in den Lauf der Begebenheiten eingreift, und deren Tendenzen man dunkel ahnt, ohne sie je vollständig zu über¬ sehen, so lange einen gewissen Reiz aus, als das Centrum des Ordens hinter den Coulissen bleibt; sobald er aber an's Licht des Tages tritt, zeigt sich die Poesie unfähig, das Überschwengliche darzustellen; sie sieht sich genöthigt, zu Symbolen und Allegorien ihre Zuflucht zu nehmen, die nur Denjenigen befriedigen, der keinen Sinn für lebendige Realität hat. Es ist wie mit einem gelösten Räthsel, oder mit einem analystrten Zauberstück. So ist es Goethe am Schluß seiner „Lehrjahre", noch mehr am Schluß der „Wanderjahre" gegangen, wo die tiefen Ideen der geheimen Erziehnngsgesellschaft sich in leere, für das Gedächtniß ein¬ gerichtete Formeln verlieren; so geht es ihm im zweiten Theil des Faust, als er den Himmel darzustellen unternimmt. Die Neigung zu geheimen Gesellschaften wurde in jener Zeit noch bestärkt durch die wiederausgewachte Sehnsucht nach einer Religion, die über die Nüchtern¬ heit sowol der Aufklärung und der aus ihr hervorgegangenen Theophilanthro¬ pie, wie über die Dürre des eigentlich theologischen Wesens das strebsame Gemüth gleichmäßig erheben sollte. Ich habe diese Richtung, die sich in Deutschland und Frankreich gleichzeitig aussprach, an einem andern Orte bereits ausführlich geschildert. In Frankreich wandten sich die Chateaubriand, die De Maistre und Andere einfach zum Katholicismus zurück; in Deutschland strebte man nach einer Universalkirche, welche durch die Benutzung der Mythen und Mysterien aller Zeiten und aller Na¬ tionen, so wie durch die Symbolistrung der Naturphilosophie sich zu einem Kunstwerk im höchsten Styl gestalten sollte. Geistreiche Männer, wie Schleier¬ macher (in seinen „Reden über die Religion", 1799), Novalis und Schelling gaben die leitenden Ideen an; die Herolde der Partei, die Schlegel, Görres, Adam Müller u. s. w., stießen in die Posaune und verkündeten in ihren Zeit¬ schriften Athenäum, Europa u. s. w. mehr durch Ausrufungen, als durch Auseinander¬ setzungen das neue Evangelium, welches die Kunst, die Religion, die Philosophie und das Leben mit einander versöhnen sollte, der erstaunten Welt. Auch suchte man bereits durch poetische Werke, wie Tieck's Genoveva, das Licht der neuen Zeit vorzubereiten. Werner wurde durch alle diese Versuche im höchsten Grade angezogen, aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_345603/456>, abgerufen am 28.07.2024.